Hartnäckiger Pulverdampf

23. Juli 2004 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Blinde Flecken in der Kritik der Kriegsberichterstattung
Diente der Medienjournalismus als Korrektiv zu Mängeln der Kriegsberichterstattung? Eine Untersuchung überregionaler deutscher Pressetitel äussert sich skeptisch. Sie erkannte blinde Flecken in der Selbstreflexion.

Die Berichterstattung über den Irak-Krieg ist seit Monaten heftig ins Kreuzfeuer geraten. Bemängelt wurden nicht nur ihre Einseitigkeit, sondern auch die Tendenz zum Entertainment und zur mediengerechten Inszenierung von Kriegsereignissen. Medienschelte kam dabei auch von den Medien selbst. Die Kommunikationswissenschafterin Meike Vögele (Universität Bamberg)* hat jetzt analysiert, wie sich die Medien mit ihrer eigenen Kriegsberichterstattung auseinandergesetzt haben, und fragt, ob Medienjournalismus – also die Berichterstattung von Medien über Medien – zur Verbesserung der Kriegsberichterstattung beitragen kann.

Die gute Nachricht vorweg: Die überregionale deutsche Qualitätspresse hat laut der Studie beim Publikum an Glaubwürdigkeit gewonnen, weil sie zunehmend die schwierigen Bedingungen der Kriegsberichterstattung offen gelegt hat. Untersucht wurden die medienjournalistischen Beiträge der überregionalen Tageszeitungen («Frankfurter Allgemeine Zeitung», «Süddeutsche Zeitung», «Die Welt», «Frankfurter Rundschau» und «Tageszeitung»), der Wochenzeitung «Die Zeit» und der Nachrichtenmagazine «Spiegel» und «Focus». Insgesamt bescheinigt die Kommunikationswissenschafterin den analysierten Titeln ein gewachsenes Problembewusstsein. In den Berichten sei durchgängig thematisiert worden, welche Konsequenzen die Berichterstattungsbedingungen hätten, und die Leserschaft sei auf verharmlosende Sprache, die einseitig-militärische Perspektive und die emotionalisierenden Bilder vieler Kriegsberichte aufmerksam gemacht worden.

Doch mit der Bereitschaft zur Kritik am eigenen Medium hapert es offenbar noch. In 90 Prozent der untersuchten Presseartikel wurde die Kriegsberichterstattung der Fernsehsender und nicht die der Presse kritisiert; man schreibt also lieber über andere und übt nur selten Selbstkritik. Dass es auch anders geht, bewies vor kurzem die «New York Times», als sie unerschrocken mit der eigenen Irak-Kriegsberichterstattung ins Gericht ging und unter ihrer täglichen Rubrik «Korrekturen» eine lange Liste mit all den Artikeln veröffentlichte, die falsche Informationen zur Vorgeschichte des Irak-Kriegs enthalten hatten.

Ein weiteres Beispiel für die blinden Flecken der Selbstreflexion: In den Printmedien, insbesondere in der «Frankfurter Allgemeinen», sei dem Fernsehen mehrfach eine einseitige Berichterstattung zugunsten des «Opfers» Irak vorgeworfen worden. Selbst habe man aber den gleichen Fehler begangen und arabische journalistische Quellen gegenüber amerikanischen bevorzugt. Offensichtlich hätten die deutschen Medienjournalisten Sender wie al-Jazira als willkommenes Gegengewicht zu der als vorherrschend empfundenen amerikanischen Position betrachtet.

In knapp einem Drittel der untersuchten Artikel sei eingeräumt worden, dass eine «objektive» Berichterstattung unter den gegebenen Umständen nicht möglich sei. Fast die Hälfte der Artikel habe eine Parteinahme der Kriegsreporter angeprangert. Dafür machten viele Medienjournalisten neue Formen der Kriegsberichterstattung verantwortlich – wie das Einbetten der Kriegsreporter in die kämpfenden Truppen. Dies berge die Gefahr zu grosser Identifikation der Reporter mit den Soldaten in sich. Ausserdem sei die Selbstthematisierung der Kriegsreporter leicht zur Selbstinszenierung geraten. Statt die Rolle des neutralen Beobachters zu übernehmen, hätten sich insbesondere die eingebetteten Journalisten selbst zur Nachricht gemacht und zu Helden stilisiert. Der Boom journalistischer Kriegstagebücher belegt diese Tendenz.

In der Auseinandersetzung mit den Mängeln medialer Kriegsberichterstattung fehlt laut Meike Vögele die Analyse tiefer liegender ökonomischer Ursachen. Ganze sieben Prozent der untersuchten Artikel hätten den wachsenden ökonomischen Druck, die zunehmende Konkurrenz der Medien und ihre fortschreitende Kommerzialisierung thematisiert. All dies habe zu einer 24-Stunden-Berichterstattung, live und direkt, geführt, in der zunehmend Ungeprüftes oder auch Unwichtiges veröffentlicht worden sei. Nicht Propaganda oder Zensur sei das eigentliche Problem der Kriegsberichterstattung, sondern der Konkurrenz- und Aktualitätsdruck, der keine Zeit mehr für eigene Recherchen lasse.

Die Forscherin kommt zu einer eher ernüchternden Einschätzung, inwieweit der Medienjournalismus als Korrektiv zur defizitären Kriegsberichterstattung dienen könnte. Die Medien geständen sich zwar Mängel ihrer Arbeit ein, gäben aber zu wenig Gegensteuer. Sie benutzten vielmehr den Hinweis an das Publikum, ihre Kriegsnachrichten seien mit Vorsicht zu geniessen, als eine Art Freibrief, so weiterzuschreiben und zu senden wie bisher.

Meike Vögele: Kritischer Medienjournalismus als Chance für eine bessere Kriegsberichterstattung? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie (ZfK), Ausgabe 1/2004, 6. Jg., S. 67-70.

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