Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung
Der US-Journalist Peter Laufer bürstet gegen den Strich
Als Radiojournalist und Buchautor befasst sich der Amerikaner Peter Laufer mit Aussenseitern. Er bürstet gerne gegen den Strich und bleibt dabei unvoreingenommen neugierig.
Die Vermutung drängt sich auf, dieser Spagat könne nicht gelingen. Peter Laufer schafft ihn jedoch mühelos. Er ist mit Leib und Seele Radiojournalist, er arbeitet in einem Genre, das man bei uns eher vom Fernsehen her kennt – er moderiert Gesprächssendungen. Neben dem flüchtigsten huldigt er aber auch dem ältesten und beständigsten aller Massenmedien: Er schreibt Bücher, und zwar, gleichsam als Serientäter, mehr von ihnen, als andere jemals lesen.
Intellektuelle im Gespräch
Jetzt hat er, diesmal zusammen mit Markos Koulanakis vom «Washington Monthly», wieder eines herausgegeben. Es ist aus einem gemeinsamen Radioprogramm hervorgegangen. Im Gespräch loten rund fünfzig Intellektuelle aus, wie es nach Präsident Bush mit Amerika weitergehen soll.¹ Wer Amerikas Rundfunklandschaft kennt, weiss, dass es Sternstunden gewesen sein müssen, als die Sendungen über den Äther gingen.
Doch diese Anthologie ist eher die Ausnahme von der Regel. Was Laufers Radio- und Buchproduktionen von herkömmlichem Journalismus unterscheidet, ist eine wilde Entschlossenheit, gegen den Strich zu bürsten. Sie wiederum paart sich auf eine sehr amerikanische Weise mit bemerkenswert unvoreingenommener Neugier. Laufer spürt meist Aussenseitern oder Underdogs der Gesellschaft nach – und damit auch ausseralltäglichen (Alltags-)Geschichten.
«Exodus nach Berlin»
Eines der frühen Projekte charakterisiert bereits seine Ambition, auch wenn es unvollendet und unveröffentlicht geblieben ist. Als Fellow der Robert-Bosch-Stiftung war Laufer kurz vor dem Fall der Mauer nach Deutschland eingeladen worden. Sehr zum Schrecken der Stifter hatte er damals nichts Besseres im Sinn, als den Schicksalen jener Zeitgenossen nachzuspüren, die – gänzlich gegen den Trend – vom Westen in den Osten Deutschlands übergesiedelt waren. Ein späteres Buch variiert das Thema und spielt ebenfalls in Deutschland. «Exodus to Berlin» beschäftigt sich mit jenen Juden, die nach dem Holocaust in ihre deutsche Heimat zurückkehrten oder aus Osteuropa in die Bundesrepublik einwanderten.²
Laufer hat ein gutes Dutzend Titel publiziert. Der Bogen ist weit gespannt – aber in der Themenwahl ist er sich treu geblieben: Er hat sich für die Schicksale amerikanischer Soldaten interessiert, die beim Irak-Einsatz Gewissensbisse bekamen und ihren Dienst in der Armee quittierten.³ Sodann erregte ihn, dass die Bush-Regierung an der Südgrenze der USA Grenzanlagen errichtete, die an Ulbrichts «sozialistischen Schutzwall» erinnern. In einem weiteren Buch befasste sich Laufer mit legalen und illegalen mexikanischen Einwanderern und zeichnete nach, welche absurden sozialen Folgen ein übersteigerter Sicherheitswahn für die Menschen mit sich bringt, welche die Südgrenze der USA passieren wollen oder nicht mehr passieren können.⁴
Laufers investigative Neugier richtet sich nicht so sehr darauf, Skandale aufzudecken und korrupte Politiker oder Wirtschaftsführer zu entlarven. Er ist kein «muckraker», kein «Schmutzaufwirbler» im klassischen Sinne, wie sich in den USA investigative Reporter nennen. Er guckt zwar Machthabern auf die Finger, tut das aber, indem er sich für Menschen interessiert, die von den Mächtigen an den Rand gedrängt werden oder gegen den Strom schwimmen. Den Erlebnissen und Erfahrungen dieser Aussenseiter nachzuspüren, ist sein Programm, mit dem er sich Kommerz und professionellem Zynismus widersetzt.
Als Experte fürs Talkradio hat sich Laufer in einem weiteren Buch verewigt, das sogar ins Chinesische übersetzt wurde.⁵ In den neunziger Jahren versuchte er, aus dem Genre einen Exportschlager für Europa zu machen. Aber weder in den Niederlanden noch in Berlin ist dieses Experiment geglückt. Letztlich, so meint er, habe das wohl damit zu tun, dass vor allem in Deutschland sehr viel mehr Menschen zögerten, sich mit ihrer Meinung öffentlich zu exponieren. In den USA ist und bleibt Talkradio dagegen ein Hit – und alle, die sich ein bisschen auskennen, wundern sich, weshalb gerade dieses Medium so fest in der Hand der populistischen Rechten geblieben ist. Moderatoren wie Rush Limbaugh und Michael Savage scharen als ultrakonservative Rattenfänger unglaublich grosse Publika um sich.
Laufer, der sich viele Jahre um ein linksliberales Gegengewicht bemühte, hält zwar Vorträge zur Frage, warum «Rechtsaussen-Rhetorik und Schwadronieren das US-Talkradio dominieren», er zögert aber, eine klare Antwort zu geben. Die Welt ist ungerecht: Während Limbaugh soeben einen Vertrag unterschrieben hat, der ihm jährlich 38 Millionen Dollar einbringt, um weiterhin sein Land mit Demagogie zu überziehen, geht es bei Laufer nicht ohne Selbstausbeutung.
Lebensfreude und Entdeckerdrang
Dafür gehört er zu den Journalisten, die hingucken, wenn andere längst wegschauen. «Treibende Kraft», so sagt er, sei für ihn «die Chance, gesellschaftlichen Wandel anzustossen, politische Entscheidungen zu beeinflussen, anderen Leuten, anderen Kulturen nahezukommen, die Vielfalt und die Schätze des Lebens auszukosten». Lebensfreude und Entdeckerdrang paaren sich bei ihm in einer Weise, wie man sie unter Linken und Grünen bei uns nur selten findet, und halten sein Sendungsbewusstsein in Schach.
Die Situation in Amerika am Ende der Ära Bush vergleicht Laufer mit der Europas zu Zeiten des Kalten Kriegs – «voller Paranoia», die sich nach dem Fall der Mauer in Luft aufgelöst habe. Dass sich die Wahnvorstellungen in den USA verflüchtigen, dafür kämpft Laufer als unermüdlicher Aufklärer mit seinen Büchern und Radiosendungen. Sein nächstes Projekt hat mit Schmetterlingen zu tun. Wer vermutet, er würde sich von nun an der Leichtigkeit des Seins hingeben, tippt daneben. Es geht um den lukrativen Schmuggel geschützter und bedrohter Arten aus Nicaragua. Der Grenzgänger, der wie kaum ein anderer Randbereiche der Gesellschaft ausleuchtet, wird also weitere Grenzerfahrungen sammeln.
¹ Hope is a Tattered Flag. Voices of Reason and Change for the Post-Bush Era. PoliPointPress, Sausalito 2008.
² Exodus to Berlin: The Return of the Jews to Germany. Ivan R. Dee, Chicago 2003. ³ Mission Rejected: U.S. Soldiers Who Say No to Iraq. Chelsea Green Publishing, 2006. ⁴ Wetback Nation: The Case for Opening the Mexican Border. Ivan R. Dee, Chicago 2004. ⁵ Inside Talk Radio: America’s Voice or Just Hot Air? Birch Lane Press, New York 1995.
Schlagwörter:Bücher, Gespräche, Leute, Radiojournalismus, USA