Von der Kunst, Mythen zu widerlegen

12. Juni 2019 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Wissenschaftsmythen und Falschmeldungen verbreiten sich schnell und verankern sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen. Falsche Informationen zu entkräften ist nicht einfach – ein erfolgloser Versuch kann diese sogar noch verstärken. Warum Menschen so empfänglich sind für Falschnachrichten und wie es gelingen kann, diese nachhaltig zu widerlegen.

Was haben Donald Trump und Chuck Norris gemeinsam? Beide haben in der Vergangenheit die Falschnachricht verbreitet, dass der Impfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR) Autismus verursache. Dieser Impfmythos wurde in den Medien weltweit und in der Wissenschaft wiederholt als Falschnachricht entlarvt und durch starke wissenschaftliche Evidenz widerlegt. Trotzdem ist er noch heute weltweit verbreitet. Die Impfquote nahm wahrscheinlich auch als Folge der Verbreitung dieses Impfmythos in den USA und Großbritannien signifikant ab. Die wirtschaftliche Belastung von Masernausbrüchen allein in den USA wurde auf mehrere Millionen Dollar geschätzt.

Im täglichen Leben haben Menschen oft wenig Zeit, Konzentration oder Motivation, um komplexe Themen wie wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse oder politische Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Dadurch kommt es häufig zu Missverständnissen, zum Glauben an Mythen und Falschnachrichten. Diese bleiben dann relativ stabil in den Köpfen der Menschen verankert und sind schwer zu beseitigen.

Der Glaube an bestimmte Mythen oder Falschnachrichten wirkt sich auf individuelle Entscheidungen aus. Das wiederum kann negative Folgen haben – nicht nur für den eigenen Geldbeutel und die eigene Gesundheit, sondern für ganze gesellschaftliche Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Wirtschaft.

„Wissenschaftliche“ Falschnachrichten, deren Verbreitung ein hohes Risiko für Individuen und Gesellschaft darstellen, sind Falschaussagen wie jene, wonach der Mensch nicht für die Klimaerwärmung verantwortlich sei oder der Klimawandel nicht existiere. Wenn zu viele Menschen an diese Mythen glauben, investieren wir als Gesellschaft zu wenig darin, den Klimawandel zu stoppen. Die möglichen Folgen, wie vermehrte Naturkatastrophen und Wetterextreme, haben Medien und wissenschaftliche Studien weithin erläutert.

Andere bekannte Mythen besagen, dass Impfungen krankmachen würden oder Homöopathie besser wirke als Schulmedizin. Würde eine Mehrheit der Menschen an diese Mythen glauben, würden diese nicht nur Geld für wirkungslose homöopathische Mittel aufwenden und im Ernstfall die eigene Gesundheit gefährden. Auch beinahe ausgerottete Infektionskrankheiten könnten sich wieder verbreiten und zum Kostenfaktor für die Gesellschaft werden.

Erkenntnisse dazu, wie Medien Falschnachrichten widerlegen können, sind nicht nur für das einzelne Individuum wichtig, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Insbesondere im Internet sind Wissenschaftsmythen und Falschnachrichten weit verbreitet. Sie finden sich sowohl auf vertrauenswürdigen als auch auf nicht vertrauenswürdigen Websites, auf Nachrichtenseiten, auf journalistisch aussehenden Internetseiten, auf Blogs, in Foren, auf Facebook und Twitter – kommuniziert von vermeintlichen Expert*innen oder Laien. So argumentieren zum Thema Impfen etwa deutschsprachige Internetseiten von Impfgegner*innen wie zum Beispiel impfentscheid.ch oder impfkritik.de mit fragwürdigen wissenschaftlichen Studien und vermeintlichen Expert*innen, mit emotionalen Fallbeispielen und Verschwörungstheorien.

Ihre Vertreter*innen geben Studienergebnisse oft selektiv wieder, lassen Informationen zu Studiendesign, Stichprobe und Methode aus und Studien mit anderen Ergebnissen einfach ganz weg. Es werden nicht zuletzt auch durch den Einsatz von Bildern und Videos von weinenden Kindern und großen Spritzen Angst und Misstrauen gegen Medizin und Politik geschürt. Studien, die diese Art der Kommunikation untersuchen, zeigen: Falschnachrichten werden im pseudowissenschaftlichen Gewand bspw. von Impfgegner*innen gezielt genutzt, um die eigenen Argumentationen zu untermauern; wissenschaftliche Ergebnisse werden dann entsprechend strategisch um- und missinterpretiert (Davies et al., 2002; Kata, 2010; Zimmerman et al., 2005).

Statt einer unvollständigen Erklärung akzeptieren viele Menschen lieber eine vollständige, aber falsche Erklärung.

Wenn Menschen eine Nachricht oder einen Wissenschaftsmythos das erste Mal hören, bilden sie sich unbewusst und automatisch ein mentales Bild des entsprechenden Sachverhalts. Wird die Falschnachricht später widerlegt, entsteht eine Lücke im mentalen Bild. War etwa Impfen und Autismus im mentalen Modell durch eine Falschnachricht eng miteinander verknüpft, nimmt die Wiederlegung des Impfmythos diese Verbindung weg. Dem Menschen fehlt nun aber eine Erklärung dafür, was Autismus verursacht.

Psychologische Studien (Ecker, Lewandowsky, Swire & Chang, 2011; Johnson & Seifert, 1994) zeigen, dass viele Menschen ein falsches Bild gegenüber einem unvollständigen Bild bevorzugen: Statt einer unvollständigen Erklärung akzeptieren sie lieber eine vollständige, aber falsche Erklärung.

Beim Beispiel des Impfmythos zeigen großangelegte, aktuelle und wissenschaftlich gesicherte Studien und Metastudien, dass es zwischen Impfungen und Autismus nachweislich keinen Zusammenhang gibt. Am wahrscheinlichsten verursachen genetische Faktoren Autismus.

Mit der Zeit verblassen bei uns Menschen leider meist die Erinnerungen an Details. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Falschnachrichten trotz nachträglicher Widerlegung und Erklärungen bestehen bleiben. Dass Menschen sich falsche Informationen dauerhaft merken, auch wenn diese klar und wiederholt korrigiert werden, wird als „Continued influence effect“ bezeichnet.

Je öfter man einen Wissenschaftsmythos hört, für umso wahrer hält man ihn.

In der Kommunikationswissenschaft und Psychologie zieht man zur theoretischen Erklärung und Entstehung des Effektes unter anderem die „Zweiprozessmodelle der Informationsverarbeitung“ heran. Abhängig von ihrer Konzentration, also ihren momentanen kognitiven Fähigkeiten und ihrer Motivation, verarbeiten Menschen Informationen unterschiedlich. Entweder sie verarbeiten Informationen „systematisch“, also mit hoher Konzentration und Motivation. Das ist sehr aufwändig, ermöglicht aber eine detaillierte Erinnerung, insbesondere auch an Korrekturen. Oder sie verarbeiten Informationen „peripher“ – also schnell und automatisch, wodurch sie auch schnell an passende Bilder und vertraute Sachverhalte „andocken“.

Die periphere Verarbeitung von Informationen kann den Glauben an Falschnachrichten begünstigen (Cook, & Lewandowsky, 2011; Swire & Ecker, 2014), auch weil die Bewertung einer Information unter anderem damit zusammenhängt, wie vertraut sie einem vorkommt („Illusory Truth Effect“). Je öfter man einen Wissenschaftsmythos hört, für umso wahrer hält man ihn.

Versuche, eine falsche Information zu widerlegen, können diese sogar noch verstärken.

Beim alltäglichen Lesen von Nachrichten bekommen erste Berichte über ein Ereignis oder einen Sachverhalt mehr Aufmerksamkeit als ihre spätere Widerlegung. Leser*innen lesen erste Berichte konzentriert, Korrekturen tendenziell eher peripher. Dabei bräuchte die Korrektur einer Falschnachricht genauso viel Konzentration und eben eine systematische Informationsverarbeitung.

Versuche, eine falsche Information zu widerlegen, können diese sogar noch verstärken. Sogenannte Bumerang- oder Backfire-Effekte ergeben sich, wenn eine Falschnachricht sehr geläufig ist und Medien zu viele oder zu komplizierte Widerlegungsargumente aufzählen – oder wenn sie Beweise vorbringen, die die ganze Weltanschauung einer Person ins Wanken bringen.

Dahinter stecken psychologische Erkenntnisse (Cook & Lewandowsky, 2011), die zeigen, dass nicht nur vertraute, sondern auch leicht zu verarbeitende Informationen eher als korrekt akzeptiert werden. Eine einfache Falschnachricht ist somit attraktiver als eine komplizierte Korrektur.

Weiter können Gegenargumente bei Personen, deren Ansichten sehr fest verwurzelt sind, zu einer Verstärkung dieser Ansichten führen. Die Personen verbringen dann nämlich deutlich mehr Zeit und Konzentration damit, aktiv gegen die Gegenargumente zu argumentieren. Der Prozess, sich die unterstützenden Fakten zu vergegenwärtigen, führt dann mitunter zur Verstärkung der falschen Überzeugungen.

Medien sollten es vermeiden, eine Falschnachricht zu wiederholen. Stattdessen sollten sie auf die korrekten Fakten fokussieren.

Es braucht eine professionelle Wissenschaftskommunikation, die weiß, wie Medien Falschnachrichten widerlegen können. Aus den Erkenntnissen der kommunikationswissenschaftlichen und psychologischen Forschung (Cook & Lewandowski, 2011; Swire & Ecker, 2014) ergeben sich diesbezüglich folgende Ratschläge:

Auf die korrekten Fakten fokussieren. Medienschaffende sollten die Vertrautheit der Falschinformation minimieren. Sie sollten es also vermeiden, eine Falschnachricht zu wiederholen. Stattdessen sollten sie auf die korrekten Fakten fokussieren.

Systematische Informationsverarbeitung fördern. Medien sollten eine systematische Informationsverarbeitung bei den Leser*innen fördern. Die Leser*Innen sollten bspw. implizit oder explizit im Text dazu aufgefordert werden, sich kognitiv anzustrengen. Dies kann implizit schon durch eine Warnung für die Leser*Innen gelingen, dass die Folgeinformation falsch ist „Vorsicht es folgen schon wieder Fake-News: …“ und indem eine gewisse allgemeine Skepsis bei den Leser*Innen durch Aufklärungsarbeit geschult wird.

Eine neue, korrekte Erklärung liefern. Die Widerlegung sollte eine wissenschaftlich gesicherte Erklärung beinhalten. Idealerweise ist die Erklärung plausibler als die Falschnachricht, auf jeden Fall sollte sie aber kurz und leicht verständlich sein. Die faktisch korrekte Erklärung füllt so die entstandene Lücke im mentalen Bild, ohne dass sich die Leser*innen stark konzentrieren müssen.

Gründe für die Falschnachricht aufzeigen. Medienschaffende sollten Gründe darlegen, warum eine Falschnachricht überhaupt existiert und gestreut wird.

Auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Medienschaffende sollten sich bei der Berichterstattung auf wissenschaftliche Evidenz stützen, also auf Quellen verweisen und Daten leicht zugänglich zur Verfügung stellen. Damit minimieren sie Fehlinterpretationen und erleichtern den Leser*innen die Einschätzung der Richtigkeit einer Nachricht.

Zweifelhafte Quellen ausleuchten. Medienschaffende sollten schlüssig darlegen, weshalb sie an der Zuverlässigkeit einer Verbreitungsquelle von Falschnachrichten zweifeln. Gleichzeitig sollten sie die Zuverlässigkeit der eigenen Quellen und die eigene Glaubwürdigkeit als Kommunikator herausstellen und belegen.

Einfach und verständlich kommunizieren. Medienschaffenden sollten Inhalte kurz, prägnant und leicht lesbar präsentieren und Informationen so darstellen, dass sie weniger bedrohlich für die Weltanschauung einer Person sind. So vermeiden sie Bumerang-Effekte, die dazu führen, dass sich eine Falschnachricht noch verstärkt.

 

Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 11. Juni 2019

 

Der Beitrag ist Teil einer Serie der Schweizer Medienwoche zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung. Die Serie wurde von Forscherinnen des DGPuK-Mentoring Programms und der MFG – MedienforscherInnengruppe initiiert.

Bislang in der Serie erschienen:

Die Nicht-Themen zum Thema machen

Facebooks gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit

Wie weit geht die Meinungsfreiheit für Bots?

Die Wissenschaft als Schlagzeilenlieferantin 

Wie Medien mitbestimmen, was ein Risiko ist

Automatisierung im Journalismus: Evolution statt Revolution

Datenjournalismus auf dem Prüfstand

Wie glaubwürdig ist algorithmischer Journalismus?

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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