Wie sich Fake News zum Coronavirus verbreiten

9. April 2020 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Ein Team des Reuters Institute hat 225 Falschmeldungen zu Covid-19 unter die Lupe genommen und die wichtigsten Formen, Quellen und Behauptungen identifiziert.

Der Ausbruch des Coronavirus sei von einer „massiven Infodemie“, einer Überschwemmung an irreführenden Informationen begleitet worden, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte Februar mit. Viele Journalisten, politische Entscheidungsträger und Wissenschaftler schlossen sich der Aussage der WHO an und betonten, dass Falschinformationen über die Pandemie eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit und das öffentliche Handeln darstellten.

Cristina Tardáguila, stellvertretende Direktorin des International Fact-Checking Network (IFCN), bezeichnete Covid-19 als „die größte Herausforderung, vor der Faktenprüfer je standen“. Medien reagieren auf die Fake News, indem sie Faktenchecks veröffentlichen. Soziale Medien und Plattformen entfernen oder verbergen Falschmeldungen zum Coronavirus. Einige Regierungen haben Einheiten eingerichtet, um potenziell schädlichen Inhalten entgegenzuwirken.

Wir haben ein Factsheet veröffentlicht, in dem anhand einer Stichprobe von Faktenprüfungen einige der wichtigsten Formen, Quellen und Behauptungen von Covid-19-Fehlinformationen identifiziert werden. Es handelt sich dabei um 225 Meldungen, die von Faktenprüfern als falsch oder irreführend eingestuft und zwischen Januar und Ende März 2020 in englischer Sprache veröffentlicht wurden. Die Meldungen stammen aus einer Faktencheck-Sammlung von First Draft, einem internationalem Netzwerk, in dem sich Nachrichtenredaktionen, Menschenrechtsorganisatonen und Plattformunternehmen aus aller Welt gemeinsam gegen Falschinformationen aller Art einsetzen.

Wir haben jede faktengeprüfte Meldung systematisch analysiert und sie nach der Art der Falschinformation, der Quelle der Falschinformation, den spezifischen Behauptungen, die sie enthält, und der Motivation, die wir dahinter vermuten, kodiert. Außerdem haben wir Daten über die Interaktion der Nutzer mit allen von den Faktenprüfern identifizierten Inhalten gesammelt. So können wir Aussagen darüber treffen, welche Reichweite die einzelnen Inhalte haben und wie intensiv die Nutzer damit interagieren.

 

Im Folgenden unsere wichtigsten Ergebnisse:

 

1. Umfang: Massiver Anstieg der Faktenchecks zu Covid-19

Unabhängige Faktenprüfer haben schnell auf die wachsende Menge an Falschinformationen rund um Covid-19 reagiert; die Zahl der englischsprachigen Faktenchecks stieg von Januar bis März um mehr als 900%.

 

2. Formen: Nur ein kleiner Anteil der Coronavirus-Fehlinformationen ist vollständig. Und: Sie werden mit einfachen Mitteln produziert

Bei den meisten (59%) der Fehlinformationen in unserer Stichprobe handelt es sich um Meldungen, die auf eigentlich wahren Informationen basieren, die aber abgewandelt, in ihrer Bedeutung verändert und in einen anderen Kontext gesetzt wurden. Weniger Falschinformationen (38%) wurden vollständig erfunden. Trotz der großen Bedenken, die in jüngster Zeit aufgekommen sind, haben wir in unserer Stichprobe keine Beispiele für Deepfakes, also mit künstlicher Intelligenz hergestellte Fake-Videos, gefunden. Stattdessen handelt es sich vielmehr um „billige Fälschungen“, die mit viel einfacheren Mitteln hergestellt wurden. Die rekonfigurierten Fake News machten 87% der Social-Media-Interaktionen in der Stichprobe aus, der erfundene Inhalt 12%.

 

3. Quellen: Fake News werden sowohl von Politikern als auch von einfachen Bürgern in die Welt gesetzt

Nur 20% der Falschinformationen in unserem Sample wurden von Politikern, Prominenten und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verbreitet – allerdings machten diese Fake News 69% der Social-Media-Interaktionen aus. Während der Großteil der Fehlinformationen in den sozialen Medien von einfachen Bürgern stammte, schienen die meisten dieser Posts weit weniger Interaktion zu erzeugen (mit vereinzelten Ausnahmen). Unsere Analyse war aber nicht in der Lage, die Verbreitung in privaten Gruppen und über Messenger-Anwendungen zu erfassen, in denen wahrscheinlich eine hohe Anzahl an Fake News kursiert.

 

4. Behauptungen: Viele Fehlinformationen betreffen das Handeln der Behörden

Viele der irreführenden oder falschen Behauptungen betrafen die Maßnahmen oder die Politik von Behörden, der Regierung und internationaler Organisationen wie der WHO oder der UNO. Diese Falschinformationen machten 39% unserer Stichproben aus.

 

5. Reaktionen: Social-Media-Plattformen haben auf viele, aber nicht auf alle Falschmeldungen reagiert

Social-Media-Plattformen haben auf einen Großteil der von Faktenprüfern als falsch eingestuften Beiträge reagiert, indem sie diese gelöscht oder vor ihnen gewarnt haben. Es gibt jedoch von Unternehmen zu Unternehmen erhebliche Unterschiede. Auf Twitter blieben 59% der von den Faktenprüfern in unserer Stichprobe als falsch eingestuften Tweets online, auf YouTube 27% und auf Facebook 24% – ohne jegliche Warnhinweise.

 

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Unabhängige Medien, Faktenprüfer und Plattformunternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Falschinformationen über das Coronavirus. Unsere Feststellung, dass viele Fehlinformationen direkt oder indirekt das Handeln, die Kompetenz oder die Legitimität von Behörden in Frage stellen, lässt vermuten, dass es für diese Institutionen schwierig wäre, selbst gegen die Falschinformationen vorzugehen. Unabhängige Faktenprüfer aber können seriöse Analysen liefern und Plattformen helfen, irreführende und problematische Inhalte zu erkennen. Unabhängige Medien können glaubwürdig darüber berichten, wie Regierungen und Behörden (mehr oder weniger erfolgreich) auf die Pandemie reagieren.

Unsere Analyse ergab auch, dass vor allem Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eine große Rolle bei der Verbreitung von Fehlinformationen über Covid-19 spielen. Zwar stammte nur ein kleiner Prozentsatz der einzelnen Falschmeldungen in unserer Stichprobe von Politikern, Prominenten und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aber ihre Behauptungen lösten oft ein sehr hohes Maß an Interaktion in den sozialen Medien aus.

Die wachsende Bereitschaft einiger Medien, Unwahrheiten und Lügen von prominenten Politikern aufzudecken, kann vielleicht dazu beitragen, dem entgegenzuwirken. Auch die Entscheidung von Twitter, Facebook und YouTube Ende März, vom brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro geteilte Beiträge zu löschen, weil sie Fehlinformationen über das Coronavirus enthielten, stellte unserer Ansicht nach ein wichtiger Schritt der Plattformen im Kampf gegen Fake News dar.

Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass Faktenprüfern nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen und sie diese umverteilt haben, um Falschinformationen über Covid-19 besser bekämpfen zu können. Es ist wichtig, dass die Faktenprüfer sich untereinander besser abstimmen, damit es nicht zu Überschneidungen bei der Überprüfung von Falschinformationen kommt. Und auch wenn Fake News zum Coronavirus gerade die Agenda beherrschen, sollte die Überprüfung von Fehlinformationen zu anderen Themen, die weltweit im Umlauf sind, nicht vernachlässigt werden. Angesichts der Wichtigkeit unabhängiger Faktenüberprüfer können wir nur hoffen, dass in Zukunft mehr Geldgeber bereit sein werden, ihre Arbeit zu unterstützen.

 

Das vollständige Factsheet „Types, sources, and claims of COVID-19 misinformation“ findet sich auf der Website des Reuters Institute.

Neben dem Hauptautor Dr. J. Scott Brennen waren auch Felix Simon, Dr. Philip N. Howard und Prof. Rasmus Kleis Nielsen an der Analyse und dem Factsheet beteiligt. 

 

Bildquelle: pixabay.de 

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer

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