Dieser Beitrag ist Teil der COPE-Reihe.
Ein großes Manko der deutschen Berichterstattung zur Kohäsionspolitik der Europäischen Union ist das sehr geringe Niveau an journalistischen Beiträgen. Es gibt keine regelmäßige Berichterstattung zu dem Thema. Diese Beobachtung wird besonders deutlich bei der Recherche von journalistischen Veröffentlichungen, denn viele Beiträge sind relativ alt. Das hat Folgen. Viele Aspekte, die die EU-Kohäsionspolitik umfasst, bleiben im Dunkeln. Dabei sind diese hoch relevant.
So unterstreicht ein Artikel von Euronews vom 6. März 2018 die Bedeutung der EU-Kohäsionspolitik, zum Beispiel für die Wettbewerbsfähigkeit und Schaffung von Arbeitsplätzen im deutschen Technologiesektor. Dank der EU-Kohäsionsförderung würden neue Forschungsstellen entstehen und die Gründung von Start-ups erleichtert. In einem kurzen Interview geht die damalige EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Creţu, auf die Diskussion über Nettoempfänger und Nettozahler in der Europäischen Union ein. Sie sagt, dass Auftragnehmer, die Projekte in Osteuropa durchführen, häufig aus Westeuropa kämen. Daher würden auch die Nettozahler von der Kohäsionspolitik der EU profitieren. Außerdem betont Creţu die Bedeutung von Digitalisierung und Innovation für die weitere regionale Entwicklung in der Europäischen Union. Aber funktioniert die EU-Kohäsionspolitik in ihrer jetzigen Form auf lange Sicht? Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist es entscheidend, darüber nachzudenken, welche Art von Institutionen bestimmte Regionen brauchen und nicht nur welche Projekte. Die finanzielle Unterstützung sollte mit notwendigen Reformen kombiniert werden.
Journalist Richard A. Fuchs geht in seinem Artikel für die Deutsche Welle vom 4. Mai 2018 der Frage nach: Wie lange wird die EU den Fortschritt in Ostdeutschland noch unterstützen? Der damals hochaktuelle Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, zwingt die Gemeinschaft zum Sparen. Deshalb fürchten ostdeutsche Bundesländer wie Brandenburg und Sachsen Kürzungen der EU-Finanzbeiträge. Sie sind große Nutznießer der EU-Kohäsionsfonds, zum Beispiel im Hinblick auf Stadtentwicklungsmaßnahmen. Der Artikel stellt das konkrete Beispiel einer kontaminierten Wasser- und Brachfläche im brandenburgischen Bernau vor, die mit Hilfe der EU-Kohäsionsfonds saniert und zu einem Standort für neuen Wohnraum werden soll. Kathrin Schneider, damalige Infrastrukturministerin des Landes Brandenburg, kritisiert die EU-Kohäsionspolitik. Sie verweist auf die hochgradig bürokratischen und ineffizienten Prozesse und fordert eine Vereinfachung der Verfahren, die viel Geld einsparen könnte.
Andre Tauber hinterfragt in seinem Artikel für die Welt vom 28. Juli 2016 generell die Effizienz und die Effekte der EU-Kohäsionspolitik. Italiens südlicher Teil, auch “Mezzogiorno” genannt, hinke wirtschaftlich weiter anderen Regionen in der Europäischen Union hinterher. Neben Süditalien hätten auch Regionen in Griechenland, Frankreich und Deutschland zu kämpfen. Ein konkretes Beispiel sei der Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg, der ein vergleichbares Wachstum wie Süditalien aufweise.
Ingeborg Gräßle, CDU-Haushaltsexpertin im Europäischen Parlament, übt massive Kritik an der EU-Kohäsionspolitik. Gelder würden nicht sinnvoll eingesetzt, sondern verschwendet. Die Verteilung der Gelder für die EU-Kohäsionspolitik sei zum Selbstzweck geworden. Misserfolge von Projekten würden nicht sanktioniert, aber Erfolge auch nicht wirtschaftlich honoriert. Gräßle fordert, dass die EU keine Kindergärten oder Krankenhäuser mehr finanzieren solle, die Förderquote sollte ihrer Meinung nach auf 70% der Projektsumme gedeckelt werden. Zsolt Darvas, Forscher bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, weist jedoch darauf hin, dass es schwierig sei, den Erfolg oder Misserfolg der EU-Kohäsionspolitik zu messen, da niemand das Gegenszenario kenne, nämlich wenn die EU-Gelder zur Förderung von Projekten nicht vorhanden gewesen wären. Die EU-Kohäsionspolitik helfe vor allem Ländern, denen es an grundlegender Infrastruktur fehle. Sie könne aber keine strukturellen Probleme lösen.
Wirtschaftliche Themen sind häufig schwer greifbar
Die Berücksichtigung journalistischer Nachrichtenwerte (Harcup & O’Neill, 2017; Müller & Hornig, 2020) erklärt, warum Wirtschaftsthemen wie die EU-Kohäsionspolitik so gut wie nie auf der Agenda der Medien stehen. Der Wirtschaftsjournalismus befasst sich hauptsächlich mit sich langsam entwickelnden Problemen, die sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis beziehen lassen. Häufig stehen eher abstrakte und komplexe Geschichten im Zusammenhang mit Politikfeldern wie der Finanz- oder Steuerpolitik im Mittelpunkt der Berichterstattung. Diese Geschichten sind an weit entfernten Orten oder in trans- und supranationalen Kontexten angesiedelt.
Was die EU-Kohäsionspolitik betrifft, so kann zudem die geteilte Verwaltung der EU-Fonds mit ihren verschiedenen Ebenen und Verflechtungen zwischen der Europäischen Kommission und den Behörden der Mitgliedstaaten den Bürgern ziemlich kompliziert erscheinen, wodurch der Anreiz, in den Medien über die EU-Kohäsionspolitik zu berichten, noch weiter sinkt.
Ein zusätzliches Defizit in der deutschen Medienberichterstattung über die EU-Kohäsionspolitik ist das Fehlen der Stimmen von Bürger:innen. Während sowohl Expert:innen wie Wissenschaftler:innen als auch Akteur:innen wie Politiker:innen häufig befragt werden, fehlen Eindrücke davon, wie die EU-Kohäsionspolitik vor Ort gesehen und wahrgenommen wird, völlig. Anstatt auf persönliche Geschichten einzugehen, konzentriert sich die Medienberichterstattung eher auf den Austausch von Argumenten und Ansichten zur EU-Kohäsionspolitik.
Quellen:
Euronews. (6. März 2018). Europas Kohäsionspolitik: Mehr als Geben und Nehmen. Euronews. https://de.euronews.com/next/2018/03/06/europas-kohasionspolitik-mehr-als-geben-und-nehmen
Fuchs, R. A. (4. Mai 2018). Wie lange hilft Brüssel noch beim Aufbau Ost?. Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/regionalf%C3%B6rderung-wie-lange-hilft-die-eu-noch-beim-aufbau-ost/a-43657692
Harcup, T., & O’Neill, D. (2017). What is News? Journalism Studies, 18(12), 1470–1488. https://doi.org/10.1080/1461670X.2016.1150193
Müller, H. (2023). Challenging Economic Journalism. Covering Business and Politics in an Age of Uncertainty. Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-3-031-31030-0
Müller, H., & Hornig, N. (2020). “I heard the News today, oh Boy”DoCMA Working Paper; 2-2020. http://dx.doi.org/10.17877/DE290R-21669
Schlagwörter:Berichterstattung, COPE, EU, Europa, Kohäsionspolitik