Medien haben einen schlechten Einfluss auf die Demokratie, das glaubt fast die Hälfte aller tschechischen Parlamentsangehörigen. Außerdem sind 80 Prozent von ihnen der Meinung, dass die Medien das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politiker untergraben würden. Dennoch befinden sie ihre Beziehungen zu Journalisten überwiegend harmonisch oder neutral.
Dies sind nur einige der Ergebnisse aus einer Studie, die die Einstellungen tschechischer Politiker gegenüber den Medien und der Qualität im Journalismus untersucht hat. Sie wurde in den vergangenen Monaten vom Institut für Kommunikations- und Journalismusforschung an der Karls-Universität in Prag durchgeführt.
Welche Macht schreiben Politiker den Medien zu? Was denken sie über die Funktionen der Medien und ihre Rolle in einer demokratischen Gesellschaft? Wie beschreiben sie ihre Beziehungen zu Journalisten? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Untersuchung. Sie gelten als wichtige Indikatoren für die Art und Weise, wie Politiker mit Medien umgehen und wie im Umkehrschluss Journalisten Politiker behandeln.
An der Befragung nahmen 110 Mitglieder des Tschechischen Parlaments teil (82 Parlamentsabgeordnete und 28 Senatoren) – ungefähr die Hälfte jeder Parteienfraktion (bei der Regierungskoalition waren es etwas weniger).
Einflussreiche Medien
Die Ergebnisse im Einzelnen: Tschechische Politiker sind offenbar von der Macht der Medien überzeugt, vor allem der des Fernsehens. 75 Prozent der Befragten glauben, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen hohen Einfluss auf die Politik habe. 60 Prozent schreiben dem Privatfernsehen einen solchen zu, 52 Prozent den Qualitätszeitungen, 49 Prozent den Boulevardzeitungen und 41 Prozent den Online-Medien. Darüber hinaus hält etwa ein Drittel der Befragten Social Media wie Facebook und Twitter für einflussreich.
Außerdem gaben 80 Prozent der Befragten an, dass die Medien über die Topthemen in der Politik entschieden und nur 75 Prozent, dass es Politiker seien, die die Themen setzten. Den Medien wird also eine große Bedeutung bei der Bestimmung der politischen Agenda eingeräumt, was mit der Einschätzung eines starken Einflusses auf die Gesellschaft insgesamt korrespondiert.
Fast die Hälfte der Politiker denkt, dass die Medien negative Auswirkungen auf die Demokratie hätten – nur 13 Prozent glauben an einen positiven Effekt. Unter dem schlechten Einfluss ist dabei sowohl ein Vertrauensverlust gegenüber politischen Führungsfiguren (80% der Befragten gaben das an) als auch gegenüber dem politischen System generell (72%) zu verstehen.
Hohe Reichweite, schnelle Bereitstellung
Nach Einschätzung der Parlamentsangehörigen verfolgt der politische Journalismus die folgenden Ziele: Informationen mit einer möglichst hohen Reichweite zu publizieren (90%) und diese in einer möglichst schnellen Zeit bereitzustellen (77%). Zudem meinen 60 Prozent der Befragten, dass Journalisten vor allem deshalb über Politik schrieben, weil sie ihre eigene Meinung verbreiten wollten.
In den vergangenen Jahren habe die Berichterstattung über politische Ereignisse einen überwiegend negativen Ton angeschlagen, sagen 85 Prozent der Befragten. Ein ähnlich großer Anteil ist der Meinung, dass sie sich zu stark auf politische Taktiken konzentriere (wer wählt wen und wer agiert gegen wen) und dabei die eigentlichen Inhalte vernachlässige. Zugleich sinke auch eine umfassende Berichterstattung über komplexe Themen, meint etwa ein Drittel der Politiker.
Gute Beziehungen zu Journalisten
Unabhängig von diesen negativen Wahrnehmungen betrachtet die Mehrheit der Politiker ihre Beziehungen zu Journalisten als überwiegend harmonisch und professionell (53%), 41 Prozent sehen sie als neutral und nur fünf Prozent als konfliktgeladen.
Es ist nicht üblich, dass Politiker viele Freunde unter den Journalisten haben: 45 Prozent der Befragten sagen, dass sie keine Journalisten zu ihren persönlichen Freunden zählen und 43 Prozent gaben an, einen oder maximal fünf Journalisten zum Freund zu haben. Die Ursache für mögliche Konflikte zwischen Politikern und Journalisten sehen die Politiker zumeist in einer Fehlinterpretation der Informationen aufseiten der Journalisten.
Social Media als alternative Kommunikationsform
Auch wenn die Politiker Sozialen Medien einen geringeren Einfluss auf die Politik zuschreiben als anderen Medien, betrachten 90 Prozent der Parlamentsangehörigen sie als wichtiges Mittel für politische Kampagnen und 80 Prozent als bedeutsam für ihre Arbeitsroutinen.
Die Einflussmöglichkeiten von Social Media bestünden vor allem in der Umgehung der traditionellen Medien. Darüber hinaus glaubt eine knappe Mehrheit der Befragten, dass sie mittels Sozialer Medien den Bürgern näher kommen könne. Dabei spiele Facebook eine größere Rolle für die Verständigung mit den Bürgern, Twitter für die mit Journalisten.
Ähnlichkeiten mit Südeuropa
Die Umfrage lehnt an eine Studie an, die in den vergangenen Jahren unter dem Titel „Politische Kommunikationskulturen in Westeuropa“ in neun Ländern durchgeführt wurde (Deutschland, Österreich, Schweiz, Finnland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Spanien und Slowenien). Die tschechischen Politiker gleichen ihren deutschen, österreichischen und französischen Kollegen, die den Einfluss der Medien auf die Demokratie ähnlich negativ einschätzen. In den anderen Ländern werden die Medien positiver wahrgenommen.
Zahlreiche andere Einstellungen und Wahrnehmungen erinnern aber eher an die Kollegen aus Südeuropa. Besonders viele tschechische Politiker (79%) halten die Medien für fähig, auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Dahingegen teilen nur 39 bis 59 Prozent der Politiker in den anderen untersuchten Ländern diese Einschätzung – am häufigsten in Spanien, am seltensten in Deutschland.
Erstveröffentlichung: EJO Tschechisch vom 16. Februar 2015
Übersetzung aus dem Englischen: Judith Pies
Literatur:
Roman Hájek (2015) Einstellungen tschechischer Politiker gegenüber den Medien und der Qualität im Journalismus. Prag. [auf Tschechisch]
Pfetsch, Barbara (Hg.) (2014) Political Communication Cultures in Europe Attitudes of Political Actors and Journalists in nine Countries. New York: Palgrave Macmillan.
Bildquelle: Philip Schatz/Flickr.com
Schlagwörter:Europa, Medienmacht, Politiker, Politische Kommunikation, Tschechische Republik, Umfrage, Vergleich