In der kürzlich erschienenen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Polen auf Platz 57, neun Plätze höher als im vergangenen Jahr. Für einen externen Beobachter mag das so wirken, als habe sich die Situation in Bezug auf die Medienfreiheit in Polen verbessert – dabei könnte nichts weniger wahr sein.
Die Maßnahmen, die in letzter Zeit gegen Privatsender ergriffen wurden, haben bewiesen, dass die regierende politische Partei formelle und informelle Mittel einsetzt, um die Medienfreiheit einzuschränken. Dass Polen in der Rangliste besser dasteht, liegt vor allem daran, dass sich die Situation in anderen Ländern verschlechtert.
Vor nur acht Jahren erreichte Polen seine bisher beste Platzierung (18. Position) im Index der Pressefreiheit. Im Laufe der folgenden sieben Jahren ging es dann konstant und schnell bergab. Nachdem sie die öffentlichen Medien zu Propagandainstrumenten gemacht hat, hat die Regierung immer wieder versucht, die redaktionelle Linie der privaten Medien zu ändern und Informationen über sensible Themen zu kontrollieren, so die Autoren des Berichts von Reporter ohne Grenzen. Die privaten Medien bleiben pluralistisch und weitgehend unabhängig, aber die Regierungspartei hört nicht auf, auch sie zu kontrollieren. Im Jahr 2021 hat ein staatliches Ölunternehmen 20 von 24 unabhängigen Regionalzeitungen übernommen, als Teil des sogenannten “Repolonisierungsprozesses”. Im selben Jahr wartete der Nationale Rundfunkrat bis zum letzten Moment damit, die Lizenz von TVN24, dem größten privaten Nachrichtensender, zu verlängern. Erst nach mehreren Wochen voller Proteste und internationalem Druck aus vielen Ländern und Institutionen, einschließlich der Vereinigten Staaten (TVN24 ist im Besitz des amerikanischen Unternehmens Warner Bros. Discovery) erneuerte der Nationale Rundfunkrat schließlich Lizenz.
Die jüngsten Ereignisse zeigen jedoch, dass die Partei Recht und Gerechtigkeit (polnisch Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS) nicht aufgegeben hat, Druck auf private Medien auszuüben. Der Vorsitzende des Nationalen Rundfunkrats (von der Regierungspartei ernannt) verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 80.000 PLN (17.500 EUR) gegen den Radiosender TOK FM. Der Sender wurde damit für den Post eines Journalisten bestraft, der ein umstrittenes Buch für Schüler mit einem Lehrbuch für die Hitlerjugend verglichen hatte. Der Radiosender reagierte auf diese Entscheidung mit den Worten: Wir glauben, dass dies ein rücksichtsloser Angriff auf die unabhängigen Medien ist, die eine Plattform für den Meinungsaustausch in einer gesellschaftlich wichtigen öffentlichen Debatte sind. Der Radiosender TOK FM ist dafür bekannt, dass er liberale Ansichten vertritt und die rechtsgerichtete Regierung für ihre konservativen Änderungen, wie etwa die massive Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche, kritisiert. Jetzt wartet der Sender auch noch auf eine Entscheidung über die Erneuerung seiner Lizenz für die nächsten zehn Jahre. Unsere Lizenz läuft am 3. November aus. Wenn der Nationale Rundfunkrat bis dahin nicht über eine Verlängerung entschieden hat, müssen wir die Sender abschalten, erklärt Kamila Ceran, die Chefredakteurin von Radio TOK FM.
Medien unter Beobachtung im Wahljahr
Der Vorsitzende des Nationalen Rundfunkrats ist auch auf dem Kriegspfad gegen andere private Medien. Eine seiner Untersuchungen richtet sich gegen TVN24. Der Privatsender hat vor kurzem einen Dokumentarfilm über den verstorbenen Papst Johannes Paul II. ausgestrahlt, in dem es heißt, er habe als Bischof von Krakau nicht nur von Kindesmissbrauch in seiner Erzdiözese gewusst, sondern auch dazu beigetragen, diesen zu vertuschen, indem er betroffene Priester von einer Gemeinde in eine andere versetzte. Die TVN-Berichterstattung über diese Vorfälle hat eine heftige Debatte unter den politischen Führern ausgelöst, wobei auf der einen Seite diejenigen stehen, die das Erbe des Papstes neu bewerten wollen, und auf der anderen Seite diejenigen, die die Berichterstattung verurteilen. Die rechten Politiker der Regierungspartei sehen in der Berichterstattung von TVN ein linkes Komplott, um eine Figur zu diskreditieren, die im Zentrum der nationalen Identität steht, wie Reuters berichtet. Der Vorsitzende des Nationalen Rundfunkrats hat eine Untersuchung gegen TVN eingeleitet, weil die Dokumentation möglicherweise gegen das Mediengesetz verstößt. Er verwies auf zwei Artikel des Rundfunkgesetzes: die Nichtdiskriminierungsregel und einen weiteren, der besagt, dass Programme oder andere Sendungen die religiösen Überzeugungen der Zuschauer und/oder Zuhörer respektieren müssen, insbesondere das christliche Wertesystem. Der Sender antwortete, der Bericht sei das Ergebnis monatelanger Arbeit, stütze sich auf zuverlässige Quellen und Zeugenaussagen von Opfern und entspreche allen Grundsätzen eines verantwortungsvollen Journalismus. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, kann aber zu einer empfindlichen Geldstrafe führen.
In Polen stehen noch in diesem Jahr Parlamentswahlen an, die einen grundlegenden politischen Wandel im Lande einleiten könnten. Die Umfragen deuten darauf hin, dass die rechtsgerichtete Regierung nach 8 Jahren die Macht verlieren könnte. Es steht viel auf dem Spiel, und die Propaganda der öffentlich-rechtlichen Medien ist keine Garantie für einen Wahlsieg, aber Recht und Gerechtigkeit könnte versuchen, die privaten Medien zum Schweigen zu bringen. Auf jeden Fall wird dieses Jahr für die Journalist*innen in Polen extrem herausfordernd sein, obwohl sich die Positionierung im Pressefreiheitsindex leicht verbessert hat.
Quellen: polishnews.co.uk, tvn24.pl, rsf.org, Reuters
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Der Autor dieses Artikels ist ein Medienforscher und Journalist, der bei TVN24 beschäftigt ist. Alle in diesem Artikel dargestellten Meinungen sind seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten der Arbeitgeber und Organisationen, mit denen er zusammenarbeitet, wider.
Schlagwörter:Polen, Pressefreiheit, Pressefreiheitsindex, Reporter ohne Grenzen, Wahlen