Rumänien: Unabhängige Berichterstattung unter schwierigen Bedingungen

18. Januar 2024 • Aktuelle Beiträge, Medienpolitik, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Die Pressefreiheit in Rumänien steht unter Druck, vor allem Wirtschafts- und Machtinteressen haben großen Einfluss auf die Arbeit von Journalisten. Können die öffentlich-rechtlichen Medien unabhängig berichten und ihrer Kontrollfunktion gerecht werden? Eher nicht. Dafür sorgen nun andere Kräfte für unabhängigeren Journalismus im Land.

Bukarest. Bildquelle: Wikimedia Commons

Das meiste findet Online statt, viel übers Fernsehen, ein bisschen Radio – und Zeitungen braucht niemand mehr. So lassen sich die Umfrageergebnisse des Reuters Instituts zum rumänischen Mediennutzungsverhalten zusammenfassen. Die Wirkungskraft von Onlinemedien ist in Rumänien nicht zu unterschätzen. Etwa 70 Prozent der Rumänen gaben Online und damit auch Social Media als regelmäßig genutzte Nachrichtenquelle an. Das haben auch die großen privaten Medienunternehmen in Rumänien erkannt. Und auch die öffentlich-rechtlichen Medien mit dem Fernsehsender TV Romania (TVR) und dem Radiosender Radio Romania mischen dabei mit. Allerdings haben sie alle zwei große Probleme: fehlende finanzielle Unabhängigkeit und die Übergriffigkeit des Staates.

Gefährliches Klima für investigativen Journalismus

Wie in Rumänien mit aufrührerischen Journalisten umgegangen wird, besonders mit Investigativjournalisten, konnte das ganze Land erst kürzlich am Fall von Emilia Șercan erfahren. Die bekannte Journalistin hatte im Frühjahr 2022 enthüllt, dass die Doktorarbeiten von mehr als 50 Politikern, Staatsanwälten, Militärangehörigen und Universitätsrektoren Plagiate sein sollen. Darunter auch die Arbeit des damaligen Premierministers Nicolae Ciucă. Wenig später entdeckte sie durch eine Facebook-Nachricht, dass fünf private Fotos von ihr auf Websites für Erwachsene veröffentlich wurden. Șercan erstattete Anzeige bei der Polizei wegen Diebstahls und Verletzung ihrer Privatsphäre. Vierzig Minuten später veröffentlichte eine moldauische Website einen Verleumdungsartikel über sie, zusammen mit den Bildern und einem Screenshot, den Șercan der Polizei übermittelt hatte. Danach erschienen weitere Online-Artikel, die Șercan diskreditieren sollten, als gesponserte Beiträge bei Facebook. Eine Enthüllungsplattform fand heraus, dass die Beiträge von einer Werbeagentur bezahlt wurden, die auch an Wahlkampagnen der PNL, der Partei von Nicolae Ciucă beteiligt war. Nach über einem Jahr wurde der Fall nun vorerst von der rumänischen Justiz abgeschlossen, ohne dass es zu einer Verurteilung oder ernsthaften Ermittlungen kam, wie unabhängige Journalistenverbände wie Reporter ohne Grenzen oder die European Federation of Journalists danach empört äußerten. Nicolae Ciucă wurde trotz der Plagiatsenthüllungen 2023 Präsident des Senats von Rumänien. Eine der mächtigsten Positionen im Land.

Dieser jüngste Vorfall zeigt, in welchem Klima Journalisten in Rumänien arbeiten und leben müssen. Sowohl freie Investigativjournalisten als auch festangestellte Medienschaffende.

Ioana Avădani ist Medienexpertin der NGO „Center for Independent Journalism“, die sich seit 25 Jahren für einen unabhängigen Journalismus in Rumänien einsetzt. Avădani selbst hat 25 Jahre Fernsehjournalismus Erfahrung. Sie sagt, es gäbe in vielen privaten und öffentlich-rechtlichen Medienhäusern ein Klima der stillen Zensur. Erregt ein Beitrag zu viel Aufmerksamkeit, streichen „Autoritäten“ wie Eigentümer oder Politiker wichtige Gelder, oder einzelne Journalisten werden gefeuert nach dem Motto „Du kannst frei berichten, nur nicht hier.“  Den besten Journalismus machen laut Avădani seit den letzten Jahren viele kleinere unabhängige Investigativteams, die ihre Ergebnisse über ihre eigene Website und Social Media veröffentlichen. Medienstartups wie RISE, The Recorder oder das erst 2022 gestartete Projekt CONTEXT fielen in Rumänien bereits mit ihren Enthüllungen auf. RISE war beispielweise auch an den Recherchen zu den „Panama-Papers“ 2016 beteiligt. Trotzdem taucht keiner von den Dreien als genannte Nachrichtenquelle in der Reuters Umfrage zur online Nachrichtennutzung auch nur auf. Aber sie alle versuchen Missstände aufzudecken, Dinge ans Licht zu bringen und dem Staat auf die Finger zu schauen. Und doch stehen sie vor der gleichen Herausforderung: Wer zahlt dafür? Wie wollen die Investigativreporter sicher gehen, dass sie nicht auch wie die größeren Medienhäuser in Rumänien abhängig von ihren finanzstarken Gönnern werden? Ein offizielles Abonnementsystem mit Paywall ist laut der rumänischen Verfassung nicht erlaubt. Die Lösung sind private Spenden und Förderungen ausländischer Stiftungen. Dies soll sogar so gut funktionieren, dass die Rechercheteams der Investigativprojekte schon personell wachsen konnten. An redaktionellen Entscheidungen sollen die Geldgeber dabei aber nicht beteiligt werden. Dass dieses Finanzierungssystem aber auch einstürzen kann, musste das Investigativteam Inclusiv erfahren. Obwohl es anfangs eine große Spendenbereitschaft gab, sank diese durch die Coronapandemie rasant wieder ab. Im Oktober 2021 war dann Schluss und die Redaktion löste sich auf. Es ist ein Drahtseilakt, den diese Projekte leisten müssen.

Die Lage der öffentlich-rechtlichen Medien

Doch wie steht es um die öffentlich-rechtlichen Medien im Land, könnten sie nicht unabhängig von Spenden oder einzelnen Geldgebern guten Journalismus anbieten? TV Romania (TVR) und Radio Romania bieten beide spezielle Programme für unterschiedliche Altersgruppen oder für die lokale Abdeckung in verschiedenen Regionen des Landes an.

Offiziell ist vorgesehen, dass sie inhaltlich und finanziell unabhängig berichten. Doch von rumänischer Regierungsseite soll es laut Reporter ohne Grenzen auch immer wieder Einmischungsversuche in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geben. Beispielsweise über ein mächtiges öffentlich-rechtliches Rundfunkkuratorium, welches zum größten Teil aus Politikern besteht. Es soll auch zahlreiche Versuche gegeben haben, Journalisten mit juristischen Mitteln zur Preisgabe ihrer Quellen zu drängen. Das betrifft auch die Investigativjournalisten.

Besonders finanzielle Einmischung wird dem Staat immer wieder vorgeworfen. Seit 2017 werden die öffentlich-rechtlichen Medien in Rumänien direkt und allein über Staatsgelder finanziert. Vorher gab es zusätzlich Rundfunkgebühren, die einen großen Teil der Kosten decken konnten. Umgerechnet 1,50€ pro Haushalt und pro Monat. Jetzt kommt im Grunde alles Geld direkt vom Staat. Durch die Beitragskürzung ist das Budget für beide Sendeanstalten deutlich kleiner geworden. Besonders für TVR gab es eine starke Kürzung. Während der Fernsehsender vor der Änderung noch mit umgerechnet etwa 210 Millionen Euro planen konnte, waren es 2018 wohl nur noch etwa 100 Millionen Euro. Immerhin die Fernsehwerbeeinnahmen konnten, trotz starker Konkurrenz durch die privaten Sender, von vier Millionen Euro im Jahr 2017 auf über sieben Millionen Euro im Jahr 2018 gesteigert werden. Trotzdem zog dies wahrscheinlich interne Veränderungen nach sich, die die öffentlich-rechtlichen Medien erst einmal verkraften mussten.

Sollten die öffentlich-rechtlichen Medien bewusst klein gehalten werden? Der Gedanke liegt nahe, besonders wenn man bedenkt, dass vielen privaten Medienhäusern oft inhaltlich parteiliche Zugewandtheit angelastet wird. Laut Medienexpertin Avădani soll hier auch über dubiose Marketingverträge Geld in die von den Parteien bevorzugten privaten Sender fließen. Und private Medien haben in Rumänien viel größere Reichweiten als öffentlich-rechtliche.

Fernsehen gehört zu den wichtigsten Medien in Rumänien. Bildquelle: Wikimedia Commons

Maßnahmen der Öffentlich-Rechtlichen gegen die drohende Bedeutungslosigkeit

Trotz erheblicher finanzieller Einschnitte hat TV Romania (TVR) im vergangenen Jahr einen 24-Stunden Nachrichtenkanal namens TVR Info und einen Kulturkanal wiederbelebt. Etwa zehn Jahre zuvor waren beide Kanäle abgesetzt worden. Damals offiziell um die Kosten zu stabilisieren – allerdings auch, nachdem kurz zuvor bei TVR Info ausführlich über einen Skandal rund um Plagiatsvorwürfe bei der Doktorarbeit des damaligen Premierministers Victor Ponta berichtet wurde. Wie bei der Investigativjournalistin Emilia Șercan ging es also um abgeschriebene Doktorarbeiten, um ranghohe Politiker die gelogen hatten. Damals hatten die öffentlich-rechtlichen Medien darüber offen und kritisch berichtet.

Dass der einst abgesetzte Nachrichtensender Sender TVR Info trotz allem wieder läuft, könnte auch ein Zeichen eines Neuanfangs sein. Raluca Radu ist Professorin an der Fakultät für Journalismus und Kommunikation an der Universität Bukarest. Sie meint, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sein Angebot unter seinem neuen Leiter ausweiten möchte. Dieser neue Chef ist Dan Christian Turturica, der 2021 mit großer Mehrheit vom rumänischen Parlament gewählt wurde. Man würde hier wahrscheinlich jemanden erwarten, der als eher staatsnah gilt, aber das scheint er nicht zu sein. Turturica hat in den 1990ern Kommunikation in den USA studiert, hat 30 Jahre lang bei Zeitungen und im Fernsehen gearbeitet und 2019 mit Universul ein Nachrichtenportal gegründet. Die Deutsche Welle beschrieb ihn in einem Beitrag von 2014 als einen unabhängigen rumänischen Journalisten. In einem Artikel der britischen BBC von 2004 wird Turturica als Herausgeber von „Rumäniens offenster und unabhängigster Tageszeitung“ vorgestellt, während er sich darin kritisch zu den finanziellen Einmischungen der Regierung seines Landes in den Journalismus äußert. Ein bekannter, kritischer Journalist in dieser Position: Möchte man von Regierungsseite vielleicht zeigen, dass man sich ändern möchte?

TVR Info.

Wie bei den meisten Kanälen und Sendern der öffentlich-rechtlichen Medien sind auch die Quoten für TVR Info nicht besonders gut, meint Professorin Radu. Gerade einmal 0,2 Prozent des gesamten Marktanteils (das sind etwa 7000 Zuschauer) haben im Durchschnitt im November diesen Jahres zugesehen. Die Berichterstattung sei aber trotzdem gut, so Radu.

Dass gut funktionierende öffentlich-rechtliche Medien wichtig für eine Demokratie sind, wissen auch die meisten Rumänen. In einer Umfrage im Jahr 2019 waren 78 Prozent dieser Ansicht. Doch bei der Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Medien frei von politischem Einfluss sind, sagten 56 Prozent der Befragten „Nein“. Und trotzdem haben die meisten Rumänen das Vertrauen in ihre öffentlich-rechtlichen Medien nicht verloren. Laut des diesjährigen Berichts des Reuters Instituts, gehören sowohl TVR (60%), als auch Radio Romania News (62%) zu den Medienmarken mit dem größten Vertrauen. Und das, obwohl laut dem Bericht nur etwa jeder Dritte den Medien und speziell den Nachrichten insgesamt vertraut.

In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Rumänien Platz 53. Drei Plätze besser als im Vorjahr. Im Vergleich zu seinen Nachbarländern steht Rumänien fast am besten da. Es gibt die unabhängigen, investigativen Journalisten im Land. Die drei jungen Medienunternehmen RISE, The Recorder und CONTEXT sowie Journalisten und Journalistinnen wie Emilia Șercan zeigen was möglich ist, wenn zumindest die Spendenbeträge und Fördergelder von außen stabil bleiben. Und vielleicht weht jetzt ja auch mit Dan Christian Turturica nochmal ein neuer Wind durch die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser. Doch die großen rumänischen Parteien, besonders die regierenden, bleiben weiterhin eine mächtige Kraft in den Hintergründen der Medienlandschaft. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich der Journalismus in Rumänien weiterentwickelt.

Der Autor hat im Mai 2023 an einer Recherchereise des Instituts für Journalistik der TU Dortmund teilgenommen. 16 Studierende sind nach Rumänien gereist, um zu recherchieren, welche Binde- und Fliehkräfte europäische Politik im Land entfaltet. Dazu sprach die Gruppe vor Ort mit Medienschaffenden, Vertretern von NGOs und der EU sowie weiteren Organisationen. Gefördert wurde die Exkursion durch PROMOS.

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