Kann man im Internet Wahlen gewinnen?

24. Mai 2013 • Digitales • von

Jetzt laufen sie wieder heiß, die Websites, Blogs, Facebook-Seiten und Twitter-Accounts der Kandidaten für die Wahl des deutschen Bundestags im September. Online-Wahlkampf war schon bei der Bundestagswahl 2009 ein großes Thema und Politiker jeder Couleur scheinen auch in diesem Jahr der Devise zu folgen: Wer im Web nicht präsent ist, hat schon verloren.

Vor allem in die sozialen Medien wie Facebook und Twitter investieren Politiker oder ihre Wahlkampfhelfer mittlerweile viel Zeit und Mühe. Doch besteht überhaupt eine Verbindung zwischen den Online-Kampagnen und den realen politischen Erfolgen der Kandidaten? Zwei aktuelle Studien beschäftigen sich mit dieser Frage. Während ein Team von Kommunikationsforschern aus Rumänien den sozialen Medien durchaus eine gewisse Bedeutung im Wahlkampf einräumt, sprechen deutsche Wissenschaftler der Universität Münster Facebook, Twitter und ähnlichen Plattformen jegliche Wirkung als Wahlkampfinstrument ab.

Dabei sind sich die Forscher einig darüber, dass Anwendungen wie Facebook und Twitter bestimmte Funktionen in der politischen Kommunikation ausfüllen. Sie sehen folgenden Trend: Bereits etablierte politische Kandidaten nutzen ihre Profile in sozialen Medien weniger um Wähler anzusprechen, als vielmehr dazu, ihre Statements in die klassischen Medien zu tragen.

Wie ihre ausländischen Kollegen greifen auch deutsche Journalisten häufig und gern auf die Zitate in den Netzwerken zurück, etwa wenn Umweltminister Peter Altmaier sich auf Twitter über kritische Studien zur Energiewende auslässt.

Die deutschen Wissenschaftler fanden unter anderem heraus, dass ein Kandidat umso erfolgreicher bei einer Wahl abschneidet, je öfter er während des Wahlkampfs im Internet genannt wird, etwa in Artikeln von Online-Medien. Teils zitierten die Journalisten wie oben beschrieben die Statements der Politiker von deren persönlichen Internetseiten und Accounts, die Onlinekampagnen wirkten also auch in die klassischen Medien hinein.  Doch können die Tweets und Facebook-Einträge auch ohne Umweg die Wähler erreichen und überzeugen?

In diesem Zusammenhang schreiben die deutschen Kommunikationsforscher der Universität Münster wie auch ihre rumänischen Kollegen so genannten Meinungsführern in Online-Netzwerken eine gewisse Bedeutung zu. Die deutschen Forscher sehen in ihrer Studie „Lassen sich mit dem Internet Wählerstimmen gewinnen?“ soziale Medien vor allem als Plattform für ohnehin politisch engagierte Personen. Diese tragen laut den Autoren ihre im Netz gefestigten Überzeugungen auch an andere Menschen in der realen Welt heran.

Was den direkten Wahlkampf angeht, kommen die Wissenschaftler aber zu einem vernichtenden Urteil über die Wirkung sozialer Medien: „Unsere Daten liefern keinerlei Beleg für die populäre Annahme, Anwendungen des Web 2.0 und insbesondere soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter seien vergleichsweise wirkungsmächtigere Wahlkampfmedien als Web1.0-Anwendungen.” Stattdessen schreiben die Autoren, bei den von ihnen untersuchten Wahlen sei das Gegenteil der Fall gewesen.

Das Team um Kommunikationswissenschaftlerin Julia Metag wertete die Bundestagswahlen 2009 sowie die Kommunalwahlen 2009 und die Landtagswahlen 2010 in Nordrhein-Westfalen aus. Es befragte insgesamt 1.205 Kandidaten zu ihren Online-Wahlkampf-Aktivitäten und stellte deren Aussagen den jeweiligen Wahlergebnissen gegenüber.

Egal ob Kommunal-, Landes- oder Bundestagswahl: Der Studie zufolge entscheiden jeweils die gleichen Kriterien über Erfolg oder Misserfolg eines Kandidaten. Sein vorheriger politischer Status, also ob er ein Amt inne hatte und/oder die Dauer der Parteizugehörigkeit, beeinflusst das Wahlergebnis demnach signifikant. Wahlkampfkampagnen können insgesamt wenig ausrichten; am ehesten beeinflussen unter den Wahlkampfinstrumenten Zeit und Geld, die ein Kandidat investiert, das Ergebnis.

Die einzig substanziellen Erfolge von Internetwahlkampf, welche die Wissenschaftler fanden, konnten Kandidaten mit ihren personalisierten Websites erzielen. Metag und ihre Kollegen zweifeln deshalb an der häufig geäußerten Annahme ‚Wem es nicht gelingt, seine Botschaften ins Netz und vor allem in die sozialen Netzwerke zu tragen, der wird in Zukunft keine Chance mehr haben’.

Tatsächlich gibt es kaum einen Politiker, für den die sozialen Medien nicht Teil seiner Strategie sind. Der Befragung zufolge sind Facebook und andere soziale Netzwerke in den Augen deutscher Politiker das zweitwichtigste Online-Wahlkampf-Instrument nach persönlichen Websites. Ob Politprofi oder Bundestagsanwärter, alle wollen sich in den sozialen Medien präsentieren. So polemisiert etwa der Fraktionschef der Grünen im Bundestag Jürgen Trittin auf seiner Facebook-Seite: „Die drei fossilen Fossile Oettinger, Seehofer und Boufier wollen mit Fracking-Gas die Energiewende abfackeln“, und verlinkt zu einem Artikel auf Spiegel-Online über neue Pläne des EU-Kommissars Günther Oettinger zu europaweiten Fracking-Regelungen.

Auf einer persönlicheren Ebene kommuniziert die 24-jährige Jessica Messinger von der Grünen Jugend in Baden-Württemberg, die erstmals für den Bundestag kandidiert, mit ihren potenziellen Wählern. Sie ruft auf ihrer Facebook-Seite zu Aktionstagen rund um die Maifeiertage auf: „Viel schöner als dieser seltsame exklusive-Männerbesäufnis-Tag: heute ist Europatag und die Grüne Jugend Stuttgart beteiligt sich mit ihrer Aktion I am European daran“.

Folgt man der Argumentation der Medienwissenschaftler aus Münster, dürfte sie damit jedoch wenig Erfolg haben. Sie empfehlen vor allem unbekannteren, bisher eher regional aktiven Politikern wie Jessica Messinger, sich nicht allzu sehr auf Online-Wahlkampf zu konzentrieren. Laut ihrer Studie ist für Kandidaten wie sie eher persönliche Präsenz im Wahlkreis entscheidend. Zwar kamen für die Kandidaten bei der Landtagswahl 2010 rein rechnerisch auf 1.000 Facebook- oder Twitter-Abonnenten vier zusätzliche Prozent bei den Wählerstimmen. Doch die Forscher merken an, dass der Grund dafür auch sein könnte, dass bekanntere Kandidaten von vorne herein mehr Aufmerksamkeit der Facebook-Nutzer auf sich ziehen.

Sie kommen zu folgender Schlussfolgerung: „Überdurchschnittliches Interesse bei Facebook-Nutzern und hohe Webpräsenz auf Nachrichtenplattformen sind vermutlich ein Effekt einer aussichtsreichen Kandidatur, nicht etwa umgekehrt.” Nachweisen ließen sich die Korrelation und vor allem die Kausalität zwischen Online-Popularität und Wahlerfolg nicht.

Dies können auch die beiden rumänischen Autoren Tănase Tasenţe und Nicoleta Ciacu von der Andrei Şaguna Universität in Constanţa und der Universität Braila nicht leisten. Doch sie sehen in den sozialen Medien zumindest Potenzial, Bürger politisch zu aktivieren. Sie beobachteten, wie aktiv rumänische Parteien und Politiker im Internet und insbesondere in sozialen Netzwerken Werbung für ihre Inhalte betrieben. Außerdem werteten sie anhand der Anzahl der jeweiligen Facebook-Fans und deren Aktivitäten aus, wie groß die Unterstützung für die Parteien in den sozialen Medien ausfiel. Da die Facebook-Nutzerzahlen in Rumänien eine rasante Entwicklung genommen haben – waren 2009 erst 110.000 Rumänen angemeldet, nutzten 2012 schon knapp fünf Millionen und somit 22,50 Prozent aller Rumänen das Portal – konzentrierten sich die Forscher auf dieses soziale Netzwerk.

Sie betrachteten zudem, welche Anteile die einzelnen Parteien im rumänischen Parlament zu Beginn der Legislaturperiode 2008 und zum Ende 2012 hielten. Die Parteien waren demnach in den beiden Kammern, Senat und Abgeordnetenhaus, jeweils ähnlich stark vertreten, wie sie auf Facebook Unterstützung erfuhren. In den Augen der Forscher spricht dies dafür, dass eine Verbindung zwischen der Online-Präsenz und dem politischen Erfolg besteht. Die jüngsten Wahlen im Dezember 2012 konnten die Autoren nicht mehr berücksichtigen. Bezieht man die Forschungsergebnisse jedoch auf die Resultate der Parteien bei dieser Wahl, so zeigt sich:  Nach den Neuwahlen haben sich die Mehrheiten teils analog zur Online-Aktivität der jeweiligen Parteien und ihrer Kandidaten verschoben.

Die politische Situation in Rumänien gestaltete sich in den vergangenen Jahren kompliziert. Bis April 2012 regierte die Liberal-Demokratische Partei (PDL); sie wurde entmachtet, als einige Abgeordneten die Seiten wechselten oder neue Fraktionen bildeten. Seitdem regieren die direkten Kontrahenten der Sozialdemokratischen Partei (PSD), die sich mitten in der Legislaturperiode 2011 mit der Konservativen Partei und der Nationalliberalen Partei verbunden hatten. Viele Beobachter warfen der Sozial-Liberalen Union vor, Gesetze zu brechen, um ihre Macht zu sichern, teilweise war sogar von einer Staatskrise die Rede.

Im Internet verhielten sich die die Liberal-Demokraten der Studie zufolge eher passiv und fuhren keine Online-Kampagnen, mit denen sie wieder die Oberhand hätten gewinnen können. Sie konnten auf Facebook knapp fünf Prozent der rumänischen Nutzer des sozialen Netzwerks als „Fans“ gewinnen.

Das neue Bündnis der Sozial-Liberalen Union (USL) dagegen lud auf verschiedenen Kanälen von ihren Websites über Facebook und Twitter bis hin zu Youtube die Wähler zur Interaktion ein. Es konnte bis August 2012 laut der Studie sieben Prozent der rumänischen Facebook-Nutzer als Fans gewinnen, die zudem auf der Facebook-Seite aktiver als die Unterstützer der Liberal-Demokraten waren. Sie mischten sich mehr ein und diskutierten auch das neue Bündnis.

Als im Dezember 2012 neu gewählt wurde, hängte die Sozial-Liberale Union die gestürzte Regierungspartei der Liberal-Demokraten ab. Diese erreichten in der neu gebildeten Allianz Rechtes Rumänien  nur 56 der 412 Sitze in der Abgeordnetenkammer, während die Sozial-Liberale Union 273 Sitze errang.  Im Senat kam die USL auf 122 Sitze, die Allianz Rechtes Rumänien wurde mit 24 Sitzen abgestraft.  Tanase Tasente sagt dazu: „Ich sehe eine Verbindung zwischen der Repräsentation der Parteien im Parlament und ihrer Unterstützung in den sozialen Medien.“

Eine Kausalität möchte er nicht zuordnen, doch seiner Meinung nach spielten die sozialen Medien eine große Rolle im zurückliegenden Wahlkampf. Die politisch engagierten Gruppen in den sozialen Netzwerken seien auch im realen Leben sehr aktiv gewesen, sagt er, wie die knapp 50.000 Mitglieder der Facebook-Gruppe „Gegen Traian Basescu, für USL“, die sich gegen den zuvor amtierenden Präsidenten richtete und dies zuletzt auch mit Demonstrationen auf der Straße deutlich machte.

Tasente und seine Kollegin sehen den größten Erfolg der sozialen Medien für die politische Kommunikation darin, dass sie die Bürger zu politischer Diskussion untereinander anregen können. Die Botschaften der Politiker in den sozialen Netzwerken würden aber nicht direkt von der breiten Öffentlichkeit interpretiert, so die Forscher. Die Meinungsführer in den Online-Portalen verbreiten die Botschaften als erstes, andere Nutzer tragen sie weiter. Die Autoren sehen in den politisch engagierten Netzwerknutzern Multiplikatoren. „Faktisch ist das die große Revolution der sozialen Medien: Die Wirkung der Interaktion.“

Ob sich die rumänischen Facebook-Nutzer durch die sozialen Medien politisieren lassen, vermögen die Autoren jedoch nicht nachzuweisen, sie können lediglich bilanzieren, dass sich die realen Erfolge der Parteien auch in der Online-Welt  spiegeln. Tasente glaubt aber – auch anhand seiner nicht empirischen Beobachtungen des jüngsten Wahlkampfes – dass sich gewisse Tendenzen aus der virtuellen Welt auch in die reale Welt übertragen lassen: „Die Leute, die auf Facebook Stimmführer für oder gegen einen Kandidat waren, wurden auch zu Stimmführern im TV, im Radio und auf der Straße”, so Tasente.  

Tatsächliche Wirkung hin oder her –für die Wahl zum deutschen Bundestag läuft der Stimmenfang in den sozialen Medien bereits. Für die meisten Politiker sind sie seit dem Siegeszug des US-Präsidenten Barack Obama 2008, der auch seinen Videobotschaften zugeschrieben wird, nicht mehr wegzudenken.

Marcinkowski, Frank; Metag, Julia (2013): Lassen sich mit dem Internet Wählerstimmen gewinnen? In: Publizistik, 58. Jg., H.1, S. 23-44.

Tasente, Tanase; Ciacu, Nicoleta (2013): Social media and political communication: Case study – the parliamentary parties in Romania, In: Global Media Journal Pakistan Edition, H.3; VI(I).

Tanase Tasente ist Mitarbeiter im rumänischen EJO-Team

Bildquelle: Gerd Altmann / pixelio.de

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