Wer sind heute die größten Feinde der Meinungsfreiheit? Eine Mahnung, sechs Monate nach Paris und Kopenhagen.
#GewaltgegenJournalisten
Charlie Hebdo ist am Anfang dieses Jahres zum Symbol der Meinungsfreiheit geworden. Aber auch zu einem Symbol dafür, wie gefährdet sie ist und das nicht erst seit den Attentaten. Zwischen 2002 und 2012 wurden laut dem Committee to Protect Journalists 506 Journalisten getötet, in den zehn Jahren zuvor waren es 390. Morde an Journalisten gehören heute zu den Aufmerksamkeitsstrategien asymmetrischer Kriegsführung. Journalisten werden als Identifikationsfiguren wahrgenommen, deren Ermordung — ein schreckliches Wort in diesem Kontext – publikumswirksam im Internet inszeniert wird.
Joel Simon attestiert in seinem Buch „The New Censorship — Inside the Global Battle for Media Freedom“: „Repression and violence against journalists is at record levels, and press freedom is in decline.” Simon sieht dafür vier Gründe: Repressive Regimes, Terrorismus, digitale Überwachung und die Regionalisierung – immer mehr Medienkonzerne ziehen sich aus Kostengründen aus Krisengebieten zurück und überlassen die Berichterstattung lokalen Journalisten, die so umso mehr zu Zielscheiben werden.
#KrisederGeschäftsmodelle
Betrachtet man die Entwicklung von Charlie Hebdo, kommt man nicht umhin, einen Punkt zu ergänzen, der schon im letzten Argument Simons anklingt: fehlende finanzielle Souveränität. So zynisch es klingen mag: Erst die enorme Nachfrage seit dem 7. Januar dieses Jahres konnte Charlie Hebdo finanziell absichern. Das Magazin, dessen Geist als identitätsstiftend für die freie Gesellschaft gilt, wäre ohne diesen Rückenwind alsbald verschwunden — nicht wegen terroristischer Bedrohung, sondern aufgrund fehlender Liquidität.
Die Ritter der Meinungsfreiheit kämpfen mit dünn-rationalisierten Rüstungen. Und so bleiben die meisten lieber in der Burg, als sich in die Schlacht zu wagen. Sicher wird die öffentliche Wahrnehmung von den schillerndsten Vertretern geprägt. Doch, wie es der am Neujahrstag verstorbene Journalistik-Professor Kurt Koszyk einmal treffend formulierte: „Nicht die weithin bekannten und in Talkshows präsenten Edelfedern (…) sind ja charakteristisch für den Beruf, sondern die tausenden Wasserträger ohne Aufstiegschancen oder die Freien, die von Zeilenhonoraren oder einem Fixum überleben müssen.“ Sie sind unser Aufgebot gegen diejenigen Rattenfänger, die Unfreiheit und Fanatismus predigen. Viele, die ihren Job lieben und sich mit großer Leidenschaft in den Dienst der Öffentlichkeit stellen, doch auch viele Desillusionierte, die unter prekären Bedingungen am Rand der Belastbarkeit arbeiten.
#WenigVielfalt
Anlässlich der Gründung des „Deutschen Instituts für Zeitungskunde“ 1924 schrieb sein späterer Direktor Emil Dovifat: „Die tüchtigsten Journalisten sind immer die gewesen, die vorher gründlich wissenschaftlich arbeiten gelernt haben, die tüchtige Philologen waren oder Juristen, tüchtige Kaufleute oder Offiziere…“ Natürlich sind die Wege, die in den Journalismus führen, heute vielgestaltiger als dazumal — doch die gestiegene Vielfalt der Ausbildungswege spiegelt sich nicht zwingenderweise in einer Vielfalt derer, die journalistisch arbeiten. Wie wahrscheinlich ist es heute, dass Menschen, die ihren Beruf erfolgreich ausüben, vom publizistischen Impetus erfüllt, zu ökonomisch leidensbereiten Quereinsteigern werden? Oder wie wahrscheinlich ist es, dass ein junger Mensch, der in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, einen Beruf ergreift, der ihm keine gesicherte Zukunft mehr versprechen kann? Was macht das mit der Diversität journalistischer Stimmen? In einer Studie der TU Dortmund zu journalistischen Berufsperspektiven junger Migranten konstatieren die Autoren: Zwar sei der „gute Wille“ der Medienunternehmen spürbar, allein: An „konkreten Maßnahmen, die aus der Einsicht resultieren“, um die kulturelle Diversität in den Redaktionen tatsächlich zu erhöhen, hapere es noch immer.
#MangelndeResonanz
Doch nicht nur aus ökonomischer Perspektive ist Journalismus heute unattraktiv — unattraktiv ist er auch deshalb, weil das Ansehen des journalistischen Berufs auf einem Tiefpunkt angelangt ist.
„Lügenpresse“, das Unwort des Jahres, ist nicht nur Ausdruck eines breiten Unwissens über die Mechanismen der Massenmedien. „Lügenpresse“ ist auch Ausdruck derer, die im massenmedialen Diskurs zu wenig Resonanz erfahren. Wobei Resonanz hier nicht Anwaltschaft heißen soll – Resonanz schon im basalen Sinne von Reaktion. Der Habitus deutscher Journalisten ist aus historischen Gründen geprägt von unbedingter Unabhängigkeit. Man muss indes achtgeben, dass diese Unabhängigkeit nicht zur Isolation wird. Redaktionsentscheidungen offensiv transparent machen, sich der Diskussion mit dem Publikum stellen, Leservertreter bestimmen, Subjektivität und Fehler eingestehen — all diese Forderungen der Medienselbstkontrolle sind bisher zumeist ignoriert worden.
#DigitaleZerreißprobe
Ein weiterer Grund für diese Entfremdung ist in der zunehmenden Zentrierung gesellschaftlicher Diskurse auszumachen: Die politische Willensbildung durch demoskopische Messverfahren wird seit einigen Jahren exzessiv betrieben. In den Worten Habermas’: „Als hätten sich die Politiker den entlarvenden Blick der Systemtheorie zu eigen gemacht, folgen sie schamlos dem opportunistischen Drehbuch einer Demoskopie geleiteten Machtpragmatik…“
Die Presse folgt in weiten Teilen der fatalen Zentrierung der Merkel-Ära. Ungläubig staunend beschrieb George Packer in dem grandiosen Merkel-Portrait „The quiet German“ die deutsche Medienlandschaft als homogene Veranstaltung konsonant klingender CDU-Wähler: „The German media, reflecting the times, are increasingly centrist (…). Almost every political reporter I spoke with voted for Merkel, despite the sense that she’s making their work irrelevant.“
Parallel dazu bilden sich Filter-Blasen, in sozialen Netzwerken, in Blogs und Foren — Gegenöffentlichkeiten, die in ihrer Abgeschlossenheit Zerrspiegel massenmedialer Berichterstattung darstellen. Christoph Kucklick spricht in seinem Bestseller „Die granulare Gesellschaft“ vom „ausgedeuteten“ Menschen, vom Vermessenen, der sein Leben ständig (mit-)teilt.
Differenzierung auf der einen, Zentrierung auf der anderen Seite — die demoskopisch und digital ausgedeutete Öffentlichkeit kämpft mit systemischen Widersprüchen: in den sozialen Medien ein hochauflösender Spiegel der Individualität, im massenmedialen politischen Diskurs das Zerrbild einer widerspruchsfreien Gesellschaft.
#NationaleBrille
Wir reden mehr denn je über Europa — doch es ist das Europa der Krise, das leidige, das jeder aus der Perspektive seiner Nation betrachtet. Und doch birgt es auch eine Chance, dass Europa überhaupt in diesem Maße in das Bewusstsein der Öffentlichkeiten rückt. Es birgt die Chance für eine Öffentlichkeit, die, wie Carolin Emcke es jüngst in der SZ forderte, „mehr ist als nur mediale Spiegelung jeweils national bevorzugter Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“.
Die Frequenz der Wirtschaftskrisen ist in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen.Jede führte zunächst zu einer Nationalisierung und überdies zu einer Verminderung medialer Perspektiven. Ist eine Welt andauernder Krisen also auch eine Welt des medialen Gleichklangs, des medialen Isolationismus? Nicht, wenn wir mediale Resonanzräume schaffen, in denen Widersprüche zugelassen werden. Räume, die zunehmend Grenzen überschreiten, die Zusammenhänge aufzeigen und Begegnungen schaffen.
Meinungsfreiheit muss in diesem Sinn nicht nur verteidigt werden — eine freie Gesellschaft muss sich bemühen, Bedingungen für Meinungsfreiheit immer wieder neu zu erschaffen.
Eine längere Version des Beitrags erschien am 7. Juli 2015 auf medium.com/@gvnordheim. Dort will der Autor die Liste monatlich um eine weitere Gefahr ergänzen.
Bildquelle: flickr.com/dreamwhile
Schlagwörter:Charlie Hebdo, Finanzierungsmodelle, Internationalität, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vertrauenskrise, Vielfalt
Sehr geehrter Herr Nordheim,
da ich seit inzwischen mehr als zwanzig Jahren im gymnasialen Deutschunterricht
(mit einem Schwerpunkt in der gymnasialen Oberstufe) regelmäßig zu medienpädagogischen
Themen arbeite und das abnehmende Interesse von Schülerinnen und Schülern an
etablierter journalistischer Arbeit ebenso mitbekomme wie das völlige
Desinteresse an traditioneller Parteipolitik, kann ich nur mit Bestürzung
feststellen, dass selbst diejenigen Artikel in letzter Zeit, in denen
offensichtlich Journalisten sich mit der Frage der mangelnden
Publikumsakzeptanz auseinandersetzen wollen, ein fatales Unverständnis
gegenüber der Stimmungslage der Bevölkerungsmehrheit offenbaren.
Dies lässt wenig Vertrauen in die Fähigkeiten von Journalisten wie auch des in
ähnlicher Weise sich artikulierenden politischen Funktionspersonals erwarten,
die aktuelle bedrohliche Erosion unserer Demokratie durch eine neue Kultur des
Dialogs überhaupt aufhalten zu wollen.
Denn offensichtlich haben beide Berufsgruppen noch nicht ansatzweise begriffen,
“wo der Hammer hängt”. Hierbei spielt die – durch Hilflosigkeit
erzeugte? – Selbstimmunisierung gegen die Kritik offensichtlich eine große
Rolle: So wird die spätestens mit der schlimm einseitigen und
konflikteskalierenden medialen Präsentation der Ukraine-Krise überbordende
Medienkritik der Leser/Zuschauer, die nahezu alle politischen Spektren auch
“der Mitte” sowie unterschiedlichste Altersstufen und soziale Hintergründe
umfassen, hier wieder verkürzt auf jenes Milieu, das sich unflätig artikuliert
& einen historisch vorbelasteten Terminus wie den der
“Lügenpresse” (obgleich ihn auch bereits die Gegner der Nazis während
der NS-Herrschaft ebenso gegen die gleichgeschaltete Presse im Schlepptau des
Völkischen Beobachters wandten wie zuvor die NSDAP gegen die Presse der
Weimarer Republik) nicht zu vermeiden versteht.
Schaut man sich aber die Kommentarspalten der großen Zeitungen genau an, so
zeigt sich ein anderes Bild als das des unflätigen Kritikers (- zumindest bevor nach weltanschaulichen
Gründen Forenzensur betrieben wurde- das dies empirisch nachweislich geschah,
habe ich mit Schülern in einem Experiment am Beispiel von 2000 Posts
ausgetestet: Bei der falschen Position zum Gegenstand des Artikels war eine
zivilisierte Ausdrucksweise einer Veröffentlichung hinderlich, während
unflätige Posts, durch die sich die darin geäußerte Auffassung ). Während
Kommentare, die die Artikel kritisierten in der Regel auf gut informierte
Kritiker mit einer hohen Bereitschaft, Quellen zu nennen, schließen ließen und
sprachlich komplex und differenziert waren, neigten Verteidiger der
Mainstreamsicht zur Beschimpfung Anersdenkender, prägten Ausdrücke wie
“Putin-Troll”, “Putinisten”, empfahlen ihnen, “nach
Putinistan zu gehen”, pöbelten friedenspolitsische Posts mit
“Querfront”-‘Vorwürfen’ an (unter offenischtlich historisch
gravierenden Verständnislücken, was denn eine solche genau war), beschimpften
sie als “pro-russische Faschisten”, wenn auf die Wolfsangel etwa des
Asow-Batallions hingewiesen wurde, und unterstellte ihnen, bezahlte Agenten des
russischen Geheimdienstes zu sein.)
Besonders schlimm war, dass solche Anwürfe Journalisten in nachfolgenden
Leitartikel übernahmen, dann aber dem unter der Gürtellinie beschimpften
Publikum die Kommentarfunktion bis zur Unkenntlichkeit zusammen stutzten. Da
dies mit der Propagierung einer allgemeinen Militarisierung deutscher
Außenpolitik und einer Aufforderung zur Konflikteskalation gegenüber Russland
einherging, erweckte es bei geschichtsbewussten Menschen, die gründlich Karl
Krauss und Kurt Tucholsky gelesen haben, Erinnerungen an die unheilvolle
Veränderung des deutschen Mediendiskurses vor dem ersten Weltkrieg und nach der
Machtergreifung Hitlers.
Demgemäß – und da zeigt sich Ihr zweites gravierendes Missverständnis – geriet
auch der politische Parkettmarsch nach der Ermordung der
Charlie-Hebdo-Mitarbeiter – für die Leser nicht zu einem “Symbol der
Pressefreiheit”, sondern umgekehrt zur heuchlerischen Show einer gerade –
gegen den Willen der Bevölkerung und unser Grundgesetz – auf den Kriegsmodus
schaltenden politschen und medialen Elite, die für die neue militarisierte
Geopolitik noch einmal den stets “humanitären” Vorwand in Szene
setzen konnten.
Denn wie bitte sollen bloß kriminelle Attentäter, die dazu noch derart
dilettantisch sind, ihre Ausweise am Tatort zurückzulassen und gleich am
nächsten Tag eine offene Bluttat in einer jüdischen Einrichtung zu begehen, die
Pressefreiheit einschränken? Pressefreiheit ist die Freiheit nicht nur
etablierter Labels, sondern aller Bürger, ihre Erkenntnisse und Auffassungen
zur politischen Wirklichkeit ohne staatliche Einschränkungen aufzuschreiben und
veröffentlichen zu dürfen. Für Mörder – welcher Opfergruppe auch immer – ist
das Strafgesetzbuch, die Polizei und die Judikative zuständig. Wenn jetzt
Staatschefs für Pressefreiheit demonstrieren, dann ist das ungefähr so, als
demonstrierten Lehrer dafür, dass ihre Schüler endlich einen qualifizierten
Unterricht bekommen. Das ist also Show, keine Demonstration. Noch billiger aber
wurde die Farce durch den Zusammenschnitt von Bildern, die suggerierten, die
auf einem separaten Straßenabschnitt posierenden Politiker hätten eine breite
Bevölkerungsdemonstration angeführt.
Hier wurde von einer westlichen Presse also eine hegemoniale Show inszeniert,
die die moralische Überlegenheit des westlichen Staatenbündnisses und seiner
politischen Repräsentanten ins Bild setzen wollte — und dies in einer Zeit, in
der unter dem Vorwand “humanitärer Kriege” eine belebte Region im
Nahen Osten infrastrukturell entkernt und in Schutt und Asche gelegt wurde.
Journalismus im Sinne der “räsonierenden Öffentlichkeit” der
Aufklärung oder eines “kritischen Diskurses” (Habermas) ist das nicht
mehr. Dies ist keine “vierte Gewalt” mehr, die Staatsmacht
kontrolliert, sondern Hofberichterstattung. Dies ist nicht mehr das diskursive
Debattierfeld, in dem Meinungen sich erst bilden, sondern nur noch die Trommel,
mit der militärische Werber zum Krieg rüsten: gegen die bösen Muslime, Russen
oder welchen “Erbfeind” auch immer (- dieser Begriff fand sich ernsthaft
jüngstens in einer WDR-5 -Ankündigung für Russland angesichts des Todes des
Verständigungspolitikers Egon Bahr.)
Die Konzentration der Medienkonzerne und die lukrative Nähe zur Macht haben in
einer durch den Kahlschlagkapitalismus seit den 90er Jahren immer
unegalitäreren Welt die Journalisten zu einem Menschenschlag mutieren lassen,
der die verlorene ökonomische Sicherheit vergangener Zeiten durch eine
Kuschelnähe zur Macht kompensieren möchte. Erbitterte Debatten zwischen zwei
Lagern wie in den 70ern, denen sich alternativ Menschen zuordnen können, findet
schon lange nicht mehr statt.
Der Journalismus ist nur mehr “embedded”, nicht nur auf den
militärischen Feldern, sondern auch im politischen Alltag. Dass der vulgäre
Teil des Publikums dies mit unschönen Begriffen wie “Maulhuren”
ausdrückt, heißt nicht, dass hierin der Tatbestand unzutreffend charakterisiert
wäre. Dass mancher Journalist dabei am liebsten selbst den Scharfrichter
abgäbe, zeigte ARD Brüsel-Korrespondent Krause, als er im Fernsehstudio
letztens mit Karacho (verbal) den Rausschmiss der Griechen aus dem Euro
besorgte. Da denken inzwischen zwei Drittel der Leser (laut Umfrage):
“Meister, bleib bei Deinen Leisten!”
Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer führte in seiner Schrift “Die
Unbelehrbaren” diese Verhaltensänderung auf die sich seit den 90ern
erreichte Homogenität der sozialen Herkunft jener Bevölkerungsgruppe zurück,
aus der sich sowohl Politiker wie Journalisten rekrutieren und in dem es keine
aufgestiegenen Arbeiterkinder mehr gibt.
Nur anders als das politische Personal kann das Publikum dem journalistischen
den Rücken kehren. Ein hegemonialer Journalismus gräbt sich selbst das eigene
Grab.
Mit freundlichen Grüße,
Anja Böttcher