Journalismus unter Druck – Pressefreiheit in Europa

5. Mai 2017 • Internationales, Pressefreiheit • von

Zwischen Gewalt und Selbstzensur: Im demokratischen Europa nimmt die öffentliche Geringschätzung gegenüber Journalisten zu. Die Angst vor Ablehnung, aber auch vor Gewalt, Überwachung und Belästigung wirkt sich auf die Arbeit aus. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie des Europarats gekommen.

Für die Studie Journalists under pressure – Unwarranted interference, fear and self-censorship in Europe wurden von den Forscherinnen Marilyn Clark und Anna Grech (Universität Malta) 940 Journalisten zwischen April und Juli 2016 aus den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates und Weißrussland befragt. Die Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ, da die Journalisten vorwiegend aus dem Netzwerk fünf großer Journalisten- und Pressefreiheitsorganisationen (Association of European Journalists, European Federation of Journalists, Index on Censorship, International News Safety Institute, Reporters without Borders) stammen, zeigt aber dennoch bedenkliche Tendenzen in der Medienwelt auf. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie gefährlich die Arbeit der Journalisten sein kann und dass auch Angst vor ungerechtfertigter Einmischung die Pressefreiheit beeinträchtigen kann.

Häufig psychische Gewalt: On- und Offline

In den vergangenen drei Jahren erlebten die Befragten, hauptsächlich Print- und Onlinejournalisten, nach eigener Aussage besonders häufig psychische Gewalt. 69% der Journalisten berichteten von psychischer Gewalt, Verleumdung und Demütigung; in erster Linie in Form von Demütigung (48%), Einschüchterung (56%), Bedrohungen (41%) und Verleumdung (43%) durch öffentliche Behörden. 35% aller Journalisten erklärten sogar, dass sie Einschüchterung durch die Polizei erlebt hätten und 43% durch politische Gruppen (mit 64,4% war letztere ganz besonders hoch in der Türkei). Jeder zweite Journalist gab an, von anderen Interessengruppen eingeschüchtert worden zu sein. Das traf am meisten auf Befragte in der südosteuropäischen Region zu (63%). Knapp ein Drittel fühlte sich auch durch andere Journalisten verleumdet.

Gut die Hälfte der Journalisten berichtete, Opfer von Cyber-Mobbing geworden zu sein: Im Netz mussten sich die betroffenen Journalisten mit Vorwürfen der Parteilichkeit, persönlichen Angriffen und Beleidigungen auseinandersetzen. Diese Erfahrungen machten am häufigsten Journalisten in der Türkei (71%), gefolgt von Berichterstattern in Südosteuropa (59%) sowie in den EU- und Nicht-EU-Staaten Westeuropas (56,1%).

Etwas mehr als ein Drittel aller Journalisten (39%) berichtete, dass es einer gezielten Überwachung unterzogen würde – in der Türkei waren es mit 86,7 % die meisten. Drei von vier Befragten fühlten sich nicht ausreichend vor solch einer Überwachung geschützt.

Körperliche Bedrohungen

Über die Hälfte der Journalisten wurde nach eigener Aussage schon mehr als einmal Opfer psychischer Gewalt. Bei körperlicher Gewalt traf das nur auf knapp jeden fünften Journalisten zu. Diese trat auch generell seltener auf. 31% aller befragten Journalisten wurden laut eigener Aussage Opfer physischer Angriffe. Vor allem Journalisten im Südkaukasus erlebten körperlicher Gewalt, dicht gefolgt von ihren Kollegen in der Türkei. 46% der befragten Journalisten wurden nach eigenen Angaben mit Gewalt bedroht. Hier gaben zumeist türkische Journalisten (69,2%), sehr dicht gefolgt von Berichterstattern im Südkaukasus (66%) und Osteuropa (60%) an, schon einmal bedroht worden zu sein. 20% aller Befragten wurden Opfer von Raub, Beschlagnahmung oder Zerstörung ihres Eigentums – hauptsächlich in ost- und südosteuropäischen Ländern. 13% berichteten über sexuelle Belästigung und/oder Gewalt – am häufigsten in der Türkei (18,3%) und in Westeuropa (15,2%).

Beeinträchtigung der befragten Journalisten in den vergangenen drei Jahren (Quelle: Europarat-Studie)

Fast jeder vierte Journalist gab an, eine Verhaftung, Untersuchung oder Androhung von Strafverfolgung erlebt zu haben. Die Daten zeigen auch, dass oftmals Gesetze wie Anti-Terrorismus- und nationale Sicherheitsgesetze verwendet werden, um Journalisten daran zu hindern Öffentlichkeit herzustellen.

Mehr als ein Drittel der Journalisten fühlte sich durch die Beeinträchtigungen seiner Arbeit auch persönlich beeinflusst. 35% hatten zudem das Gefühl, dass sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten. Wenn überhaupt wandten sich die Befragten an soziale Medien oder an Nichtregierungsorganisationen, um über ihre Situation und Erlebnisse zu sprechen. Die Folge der Hilflosigkeit der Journalisten war aber meist: die Erlebnisse totzuschweigen. 28% verschwiegen ihrem Arbeitgeber die Vorfälle, 40% meldeten sie nicht der Gewerkschaft und 57% nicht der Polizei. Diejenigen, die Bedrohungen, Verleumdungen und weitere gewaltvolle Erfahrungen bei den Behörden gemeldet hatten, waren mitunter dann nicht zufrieden mit der Reaktion der Polizei (23%).

Als Folge: Angst

Das mangelnde Vertrauen in die vorhandenen Schutz- und Beschwerde-Mechanismen hatte vor allem zur Folge, dass Journalisten die Konsequenzen ihrer Beschwerde über Beeinträchtigungen fürchteten: Die Bandbreite reichte von der Angst gefeuert zu werden bis hin zu dem Argument, dass Konsequenzen durch die Regierung erfolgen. Viele fürchteten um ihre persönliche Sicherheit und die ihrer Familien und Freunde sowie um die ihrer Interview-Quellen.

Ein großer Teil der Befragten (67%) berichtete, dass ungerechtfertigte Behinderungen oder die Angst davor sie psychologisch auf unterschiedliche Weise beeinflusste. Viele der Befragten berichteten über eine Zunahme von Stress, Angst und Veränderungen in ihren Schlafmustern.Kleinere, aber signifikante Prozentsätze berichteten über depressive Emotionen und ein niedriges Selbstwertgefühl. Besonders in der Türkei hatten Journalisten Angst, körperliche sowie psychische Gewalt, sexuelle Belästigungen, Cyber-Mobbing und Einschüchterung durch Polizei und politische Gruppen zu erleben – also dort, wo Journalisten tatsächlich solche Erfahrungen am häufigsten gemacht haben.

Einfluss auf die Arbeit

Dies wirft ein neues Licht auf das Verhalten der Journalisten: Die Befragten, die das Gefühl äußerten, dass ihr Leben oder private Aktivitäten von unerwünschter Einmischung (oder Angst vor unerwünschter Einmischung) betroffen waren, nannten auch Selbstzensur (37%) als eine Reaktion darauf.  Zum Beispiel erklärte ein Befragter, dass er „nervös war, mehr zum selben Thema zu berichten“. Ein anderer Befragter gab an, dass er „den Fokus einer Geschichte geändert“ habe. Als ein anderes Beispiel für Selbstzensur wurde immer wieder das Auslassen von Fakten genannt.

Haben die ungerechtfertigten Beeinflussungen Auswirkung auf die Arbeit? (Quelle: Europarat-Studie)

Die Angst wirkt sich auch auf die Rolle der Journalisten als vierte Gewalt aus: Journalisten gaben an, dass sie sensible, kritische Geschichten auslassen oder in einer weniger kritischen Art und Weise berichten bzw. die Elemente und den Rahmen der Berichterstattung anpassen. Die Selbstzensur war vor allem unter türkischen Journalisten ein Thema. Dort gaben die Befragten an, entweder über weniger kontroverse Inhalte zu berichten (51%), die Kritik in Geschichten herunterzufahren bzw. ganz auszulassen (42%) oder die Inhalte in einen von Kritikern akzeptierten Rahmen zu pressen (42%). Ein Drittel aller Befragten gab allerdings an, dass gerade die Angriffe sie motiviert hätten, ihre Berichte nicht zu zensieren. Diejenigen aus den EU- und Nicht-EU-Staaten Westeuropas (44%) und Südosteuropas (43%) gaben am häufigsten an, nicht in Selbstzensur verfallen zu wollen.

Wer also genauer hinschaut, dem wird klar: Die Pressefreiheit ist nicht nur in Ländern wie Ägypten, Burundi, China oder Krisenländern wie Syrien, Libyen oder dem Jemen (Reporter ohne Grenzen-Ranking), sondern auch in Europa ein angreifbares Gut. Es gibt immer wieder Versuche, Journalisten zu gängeln und damit die Freiheit der Berichterstattung auch hier bei uns direkt vor der Tür einzuschränken.

Bildquelle: pixabay.com

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