Abstand halten!

1. Februar 2012 • Qualität & Ethik • von

Journalisten schmieren Polizisten! Polizisten holen sich Journalisten ins Bett! Journalisten stecken mit Politikern unter einer Decke! Distanz und Nähe – ein generelles Problem im Journalismus.

Ob Medien und Polizei, ob Medien und Politik: Die Frage der Nähe und Distanz ist ein generelles Problem im Journalismus. Die Affäre um den deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff hat erneut deutlich gemacht, wie heikel es wird, wenn die professionelle Distanz aufgegeben wird. Hauptthema war zwar die Beziehungskorruption zwischen Politik und Wirtschaft. Zumindest auf dem Nebenschauplatz ging es aber um das unselige Verhältnis, dass der deutsche Bundespräsident zu dem Chefredaktor der größten deutschen Boulevard-Zeitung unterhielt.

Auch in den Nachbarländern Deutschlands gibt es vergleichbare und aktuelle Beispiele: In der Schweiz den Fall Hildebrand, in Österreich den Fall Pelinka. Die Weltwoche hat im Fall des Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand nicht einfach investigativ recherchiert und das selektiert, was öffentlich relevant ist, sondern auch sortiert, wie die Zeit in ihrer aktuellen Ausgabe analysiert. Kurz gefasst: Die „Hildebrand-Geschichte“ lief anscheinend nach dem Muster: Gefällt uns (das heißt dem SVP-Chefstrategen Christoph Blocher und dem „Weltwoche“-Chefredaktor Roger Köppel), gefällt uns nicht. Diese Nähe, bei der Politiker und Medienmensch unter eine gemeinsame Decke schlüpfen, ist untragbar.

Ein weiteres Beispiel eines solch unseligen Zusammenbandelns ist die letztlich glücklicherweise gescheiterte Ernennung von Niko Pelinka zum Büroleiter des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz, die ebenfalls im Januar für Furore sorgte. Pikant war dieses Ansinnen, weil sich der Chef des öffentlich-rechtlichen Monopolsenders einen 25-jährigen Shootingstar ins Haus holen wollte, der bis dahin in der Parteizentrale der Regierungspartei SPÖ gearbeitet hatte. Ob Pelinka nun tatsächlich aus der Machtzentrale des Senders heraus Informationen an die Sozialdemokraten ausgeplaudert hätte oder nicht, das wollte Belegschaft des ORF gar nicht erst herausfinden. Sie protestierte. Diese Nähe war den meisten Redaktionsmitgliedern zu viel. Ihnen genügte schon die Befürchtung, dass, egal wie auch immer der Alltag aussähe, die Personalie an sich bereits das Ansehen des Senders vehement beschädigen würde.

Ein solcher Distanzverlust zeigt sich auch in der Beziehung zwischen Medien und Polizei. Dazu drei Beispiele.

Die britische Polizei durchsuchte am letzten Januarsamstag Büros des Boulevardblatts Sun. Fünf Personen wurden wegen Korruptionsverdacht festgenommen: vier Journalisten, ein Polizist. Um an Informationen zu kommen, sollen Journalisten  Polizisten geschmiert haben. Ein Beispiel für eine, sollte sich der Verdacht bestätigen,  kriminelle „Nähe“ zwischen Journalisten und Polizisten und eine weitere Facette des Skandals rund um die Abhörattacken britischer Boulevardjournalisten auf Prominente und Nicht-Prominente.

Nicht kriminell, aber verwegen ist folgendes Beispiel: Vor dem ersten Einsatz dieses Jahres am Stuttgarter Bahnhofsgebäude lud die Polizei eine Anzahl handverlesene Journalisten ein, das Geschehen aus Polizeiwarte zu begleiten. Es wurde offenbar ein Deal mit der baden-württembergischen Landespressekonferenz geschlossen; dort nicht akkreditierte Journalisten sollten draußen bleiben. Dieses „Embedden“, das Einbetten von Journalisten erinnern wir aus dem Irakkrieg, wo die Journalisten, die ihn aus der Perspektive des Militärs verfolgten, zunächst zu einem ziemlich falschen Bild in der Öffentlichkeit beigetragen haben. Die (übrigens „eingebettete“) Stuttgarter Zeitung leistete sich einen entlarvenden Fehler: Ihr rutschte ein vorgeschriebener Text ins Blatt, in dem bereit am Abend zu lesen war, die Polizei habe nach Mitternacht das Gelände geräumt…

Das historisch betrachtet vielleicht gravierendste Rollendurcheinander kennen wir durch die Geiselnahme in der deutschen Kleinstadt Gladbeck im August 1988. Polizei und Journalisten gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Polizei wegen grober Fehler in der Einsatzkoordination. Die Journalisten, weil sie erstens teils den Job der Polizei machten, indem sie halfen, dass fünf Geiseln frei kamen, weil sie zweitens die Polizei in ihrer Arbeit behinderten durch ihre viel zu große Nähe zu den Ereignissen: sie fuhren im Fluchtwagen, interviewten die Täter, ließen sie Pressekonferenzen halten…

Jeder hat seinen Platz. Journalisten vermitteln, Polizisten ermitteln; Journalisten recherchieren, sie interviewen, Polizisten verhören; die Polizei ist zuständig für die öffentliche Ordnung, die Medien für öffentlichen Diskurs. Journalisten müssen herausfinden, wie etwas wirklich war – ohne zu schmieren und ohne ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Kurzum: Journalisten müssen raus aus den Betten der anderen!

Und wer soll Sorge tragen, dass dies auch geschieht? Was auch immer Journalisten sich an Fehlleistungen erlaubt haben, in Ordnung bringen kann dies zumindest in einem demokratischen System sinnvoller Weise vor allem die Branche selbst. Alles andere würde letztlich Zensur befördern.

In Großbritannien diskutiert die Leveson Inquiry nach dem Telefonhacking bei Murdochs News of the World Empfehlungen, welchen Spielregeln die britische Presse künftig folgen soll. Eines hat die von Lordrichter Brian Leveson präsidierte Kommission bereits signalisiert: Es werden Empfehlungen sein für eine bessere Selbstkontrolle als die, welche der britische Presserat, die Press Complaints Commission (PCC), derzeit betreibt, aber keine für eine staatliche Aufsicht über die Medien.

In Sachen Selbstreflexion ist offenbar Bewusstseinsarbeit zu leisten. Das machte Mike Jempson (The Media Wise Trust) klar, der sich seit Jahren als Journalist, Dozent und Forscher mit Medienethik befasst. Bei einer Tagung über die Chancen und Fallen verantwortungsbewussten Medienschaffens am letzten Januarwochenende in Lugano (Media Accountability. Potentials and Pitfalls in the Era of Web 2.0) schilderte er, wie mühsam er mit einer Studie vorankomme, für die er britische Journalisten nach ihrem medienethischen Verständnis befragte. Viele legten den Fragebogen lieber zur Seite, als über sich selbst zu reflektieren.

Sie müssen aufpassen, dass die Ereignisse sie nun nicht überrollen. Im britischen Presserat sitzen bislang Leute, die sich mit Medien wenig auskennen, und Chefredaktoren, die eigene Interessen vertreten. Der Leveson-Kommission schweben eher Strukturen vor wie etwa in der Schweiz, wo in der Stiftung Schweizer Presserat  die Verleger, die SRG, Journalistenverbände und die Organisation der Chefredaktoren vertreten sind. Und Guardian-Chefredaktor Alan Rusbridger droht Kollegen, die nicht mitmachen würden, bereits mit einem Vorschlag, der – sollte er sich durchsetzen – wehtun würde: Wer sich der Selbstregulierung entzieht, verliert die Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer.

Noch ist dies Zukunftsmusik. Am einfachsten wäre ohnehin, jeder Journalist, den dies betrifft, schlägt die Decke zurück und geht in sein eigenes Bett. Idealismus? Ja. Aber auch der lohnt sich. Und wirkungsvoll wäre, wenn gleichzeitig der Medienjournalismus auf breiter Ebene auflebte und die kritische Selbstbeobachtung nicht nur von Leuchttürmen der Branche aus stattfände. In anderen Branchen hat man längst erkannt, welchen Wert Reputation hat. Nicht zuletzt die Boulevardkrise in Großbritannien zeigte, wie sehr solche Fehlleistungen den Ruf (und mittelbar die finanzielle Basis) eines gesamten Berufsstandes ramponieren.

Erstveröffentlichung: Kleinreport vom 1. Februar 2012

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