Der Islam in den Schweizer Medien: Zerrbild oder Realität?

6. September 2019 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Berichten Medien über den Islam, geht es meist um Negatives wie islamistischen Terror oder die Unterdrückung von Frauen – aber kaum um Muslime in der Schweiz und ihren Alltag. Warum die Berichterstattung über den Islam meist einseitig ist und was das mit der Gesellschaft macht.

Terror, Radikalisierung und Kopftuch-Debatte sind klassische Themen, wenn es in den Schweizer Medien um den Islam geht.

Muslime sind eine Minderheit in der Schweiz. Nur 5,4 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz sind islamischen Glaubens – und doch wird über den Islam viel und häufig debattiert. So überschätzen Schweizer regelmäßig den Anteil der im Land wohnhaften muslimischen Mitbürger*innen auf über 17 Prozent. Beinahe doppelt so häufig wie das Christentum ist der Islam Teil von politischen Vorstößen. Und auch Schweizer Medien berichten häufig über den Islam – jedoch selten positiv. Ob es nun um die vermeintliche Radikalisierung von Jugendlichen in einer Winterthurer Moschee oder um das Verhüllungsverbot im Tessin geht: Schaut man sich die Berichterstattung an, verwundert es nicht, dass 14 Prozent der Schweizer Bevölkerung Stereotypen zustimmen, wonach Muslime beispielsweise fanatisch und aggressiv seien.

Auch Nina Fargahi, Chefredaktorin des Schweizer Medienmagazins Edito, beobachtet diese Entwicklung: „Heute stellen Menschen aus islamisch geprägten Ländern eine Projektionsfläche für eigene Ängste dar, welche in vielen Massenmedien geschürt werden.“ Obwohl Medien eine Kritik- und Kontrollfunktion haben, sollen sie gleichzeitig gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und nicht diskriminieren, wie dies beispielsweise auch im Programmauftrag des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) vorgeschrieben ist. Wenn es jedoch um Islam und Muslime geht, funktioniert das bei Schweizer Medien nur teilweise. Drei Probleme prägen die Berichterstattung über den Islam.

Problem 1: Konfliktfokus. Terror, Radikalisierung, Kopftuch-Debatte: Das sind klassische Themen, wenn es in den Medien um den Islam geht. Laut einer Studie zu Schweizer Printmedien (Ettinger, 2019) war im ersten Halbjahr 2017 mehr als jeder zweite Beitrag zu Muslimen in der Schweiz dem Thema „Radikalisierung“ bzw. „Terrorismus“ gewidmet. Auch Fernsehnachrichten verbinden Muslime häufig mit Terror, Integrationsproblemen oder Fundamentalismus (Jecker, 2014). Eines haben all diese Themen gemeinsam: Sie drehen sich um Konflikte. Der Islam und Muslime werden medial oft mit Negativem wie Gewalt oder Terror assoziiert (Arendt & Karadas, 2017).

Wenn Medien vom „radikalen Islam“ sprechen, sobald es um terroristische Anschläge geht, steigert das die Angst der Nachrichtennutzer*innen vor Muslimen im Allgemeinen (Hoewe & Bowe, 2018). Das bedeutet aber nicht, dass man nun nicht mehr darüber berichten soll. Extremismus ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass Medien nicht nur mit dem Islam in Verbindung bringen dürfen. Die Medien sollten also unbedingt mehr Ausgewogenheit bei der Wahl der Themen anstreben.

Problem 2: Unkenntnis. Wer sind die Schweizer Muslime, wie leben sie und was zeichnet sie aus? Das ist eine Frage, die Schweizer Medien kaum beantworten. „Medienschaffende müssen versuchen, das ganze Bild zu zeigen. Dazu gehören auch Muslime, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben, hier arbeiten und Steuern zahlen und nichts mit den genannten Themen [etwa: Extremismus] zu tun haben. Diese Menschen bleiben allerdings meistens unsichtbar“, kritisiert Edito-Chefredaktorin Nina Fargahi. Durch die Verengung auf Konfliktthemen ist die Berichterstattung oft ereignisgetrieben und behandelt meist Muslime im Ausland. Dadurch vermittelt sie kaum Hintergrundwissen über den Islam und Muslime in der Schweiz.

Themen wie der „Alltag von Muslimen“ oder „gelingende Integration“, die die Lebenswelt von muslimischen Bürger*innen in der Schweiz spiegelt, werden kaum beleuchtet (Ettinger, 2019). Anders als das Christentum wird der Islam eher in politisch-rechtlichen Kontexten diskutiert (Jecker, 2014), auch weil die Politik das Thema im Zuge von Kampagnen und Wahlen oft instrumentalisiert. Wenn Mediennutzer*innen kein Bild davon haben, wer Schweizer Muslime sind und wie ihr Alltag aussieht, fördert auch dies Stereotype und Vorurteile.

Problem 3: Verallgemeinerung. Was ist das überhaupt – „der Islam“? Und wer sind „die Muslime“? Kaum jemand würde wohl davon ausgehen, dass alle Christen weltweit ähnliche Eigenschaften aufweisen. Und doch impliziert der Großteil der Berichterstattung über „den Islam“ und „die Muslime“ genau dies vom Islam. Eine britische Studie (Moore et al., 2008) zeigt, dass Muslime medial oft auf ihre Religion reduziert werden.

Medien ignorieren, dass Muslime, wie Christen, Juden oder Buddhisten, sehr unterschiedlich sind in ihrer Religionsauffassung und auch in anderen Aspekten. „Was prägt denn diese Leute? In erster Linie ihre Familie, Kultur, oder Landeszugehörigkeit. Die Religion, beziehungsweise der Islam, kommt nicht an erster Stelle. Bei uns werden diese Menschen aber rekategorisiert. Sie fallen dann plötzlich alle in einen Topf und gehören in erster Linie der Kategorie Islam an“, sagt Christoph Keller, der lange bei Radio SRF2 Kultur als Redaktionsleiter tätig war und nun freischaffend ist.

Solche Verallgemeinerungen führen dazu, dass bestimmte Menschen nicht mehr als Individuen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften wahrgenommen werden – sondern einzig als „Muslime“. Auf solch ein Religionsstereotyp reduziert zu werden, ist zudem problematisch, da es auch innerhalb des Islams unterschiedliche Strömungen gibt, ähnlich wie im Christentum. In der Schweiz gibt es beispielsweise das moderate und breit abgestützte Forum für einen fortschrittlichen Islam gegenüber dem radikalen und marginalen islamistischen Zentralrat Schweiz.

Durch die Verengung des medialen Fokus auf den „einen“ Islam werden Vielfalt, Debatten und Entwicklungen im Islam selbst außer Acht gelassen – auch so entstehen Stereotype. Monika Bolliger, ehemals Nahost-Korrespondentin der NZZ und nun freischaffende Journalistin, sieht Schwächen in der Berichterstattung zum Islam: „Mir ist unheimlich, dass manchmal ganz selbstverständlich Sätze geschrieben werden, bei denen jemand – zu Recht – seinen Job verlieren würde, wenn man im betreffenden Satz das Wort ‚Muslim‘ durch ‚Jude‘ ersetzen würde.“

Ein Grund für zu vereinfachte Berichterstattung ist sicherlich auch die mangelnde Diversität in Redaktionen, insbesondere dass Medien selten Journalist*innen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen beschäftigen (Telekom, 2019). Mehr muslimische Journalist*innen einzustellen, kann jedoch nicht die einzige Lösung sein, so Christoph Keller: „Es nützt nichts, wenn man Kolleginnen und Kollegen einfach bei sich in der Redaktion aufnimmt und dann alibimäßig sagt, ‚die sind doch da in unserer Redaktion, alles ist gut‘. Man muss sich eben mit ihnen auseinandersetzen, ihr Wissen und ihre Expertise abholen und ihnen dann auch tatsächlich zuhören.“

Ein weiteres Problem: der Zeitdruck in Redaktionen und die Aufmerksamkeitsökonomie. Negative Nachrichten, dazu gehören auch solche zu Terrorismus oder Radikalisierung, sind beim Publikum gefragt und verkaufen sich entsprechend gut (Arango-Kure et al., 2014). Aber auch bei kritischer oder negativer Berichterstattung sollten Redaktionen journalistische Standards einhalten. Das heißt: differenziert berichten, verschiedene Positionen zu einem Thema beleuchten und Zusammenhänge erklären. Der Journalismus muss sich zudem immer wieder daran erinnern, komplexere Geschichten zu liefern und aus bekannten Erzählmustern auszubrechen: etwa indem er den Alltag von Muslimen beleuchtet, umfassend und unpolemisch Fakten präsentiert oder indem er Hintergrundwissen vermittelt, etwa zum Unterschied zwischen Islam und Islamismus.

Konfliktorientierung, Unkenntnis und Verallgemeinerungen sollten dagegen von Journalist*innen selbstkritisch reflektiert werden. „Ich bin gegen Selbstzensur. Aber es gehört auch zur Verantwortung von Journalist*innen, sich zu fragen, was ein Artikel auslöst oder bewirkt. Wenn die Debatte zu einer bestimmten Frage sowieso überkocht, ist es dann sinnvoll, extrem zuzuspitzen und in einer Weise zu vereinfachen, die den Tatsachen nicht mehr gerecht wird?“, fragt Monika Bolliger. „Journalist*innen könnten sich manchmal durchaus hinterfragen, ob sie jetzt ein Klischee bedienen, ob sie zu einseitig berichten, und ob es hier und dort Potenzial für etwas Konstruktives gibt.“

 

Die Islamberichterstattung wird immer wieder heiß diskutiert. An der Universität Zürich fand deshalb dieses Jahr eine Tagung zum Thema „Komplexität abbilden – Medien, Wissenschaft und die Darstellung von Islam & Nahem Osten“ statt. Drei Journalist*innen, die auf der Tagung zum Thema diskutierten, spiegeln hier ihre Eindrücke aus der Medienpraxis.

Nina Fargahi ist Chefredakteurin des Schweizer Medienmagazins Edito. Sie berichtet oft zum Thema Medien und Migration. Ihr Eindruck: „In den Medienhäusern muss bezüglich der Berichterstattung über den Islam der ethische Kompass justiert werden.“

Monika Bolliger ist freischaffende Journalistin und Forscherin in Beirut. Sie war lange Nahost-Korrespondentin der NZZ. Ihre Meinung zum Thema Islam in den Medien: „Der Diskursrahmen hat sich über der vielen Polemik verengt.“

Christoph Keller ist freischaffender Autor, Reporter und Podcaster, er war zuvor Leiter der Redaktion Kunst & Gesellschaft bei Radio SRF2 Kultur. Als Mitglied im Think und Act Tank Institut Neue Schweiz befasst er sich unter anderem mit der Frage, wie sich die gesellschaftliche Diversität in den Medien abbildet. Er meint: „Oft ist beim Thema Islam zu wenig Wissen, Zeit und Kompetenz von Seiten der Redaktion vorhanden und leider besteht auch kaum der Wille, dies zu ändern und den Islam und seine verschiedenen Strömungen besser zu verstehen.“

 

 

Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 5. September 2019

Bildquelle: pixabay.com

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