“Um den Lokaljournalismus steht es nicht gut”

2. Dezember 2013 • Qualität & Ethik, Ressorts • von

„Das verkannte Ressort“, so betiteln aufmerksamkeitsheischend der Journalistik-Professor Horst Pöttker (zuletzt TU Dortmund) und die freie Journalistin Anke Vehmeier ihr neuestes Buch um Lokaljournalismus. Ob das stimmt, sei dahingestellt: Fakt ist, dass schon lange vor der Heraufkunft des Internets das Lokale das tragende Ressort der meisten Zeitungen war.

Seit dem Siegeszug der digitalen Technologie haben lokale und hyperlokale Inhalte weiter an Gewicht gewonnen – sei es, weil es die einzigen „konkurrenzlosen“ Angebote im Internet sind, sei es weil in Zeiten der Globalisierung und Entwurzelung beim Publikum die Sehnsucht nach lokalen Identitäten, nach „Heimat“ wächst.

Der vorliegende Reader hat fraglos seine Verdienste: Es skizziert aus dem Blickwinkel handverlesener und engagierter Praktiker und Experten die bestehenden Strukturen und Probleme des Lokaljournalismus in Deutschland und bilanziert – mit einer etwas verengten Sicht auf Nordrhein-Westfalen als Schwerpunkt –  vor allem praxisnahe Initiativen zu seiner Verbesserung.

Schon in der Einleitung nimmt Pöttker kein Blatt vor den Mund: Die „Wichtigkeit des Lokaljournalismus“ ergebe sich „aus der Bedeutung der Berichterstattung vor Ort für die Teilhabe der Menschen am sozialen und kulturellen Ganzen“ sowie für die „politische Partizipation“. So plausibel das sei, so „hässlich“ sei aber die Realität – denn mit beidem, „der politischen Partizipation wie dem Lokaljournalismus, steht es nicht gut“. Die Ressourcen für „glaubwürdigen, um Unabhängigkeit bemühten sorgfältig recherchierten und gut verständlichen Lokaljournalismus“ würden zusehends knapper.

Trotz einer Fülle von Befunden wird der Band all jene enttäuschen, die sich eine Vielzahl neuer, relevanter Forschungsergebnisse zum Lokaljournalismus erwartet hatten. Da sieht die Bilanz erstaunlich dünn aus – was aber wohl auch damit zu tun hat, dass die Medienforschung seit langem Spezialgebieten wie dem Wissenschafts- oder dem Medienjournalismus ein Übersoll an Zuwendung gewährt und sich offenbar schwer damit tut, dem Lokaljournalismus als Forschungsobjekt jene Aufmerksamkeit zu zollen, die ihm gebührte.

Zu den rühmlichen Ausnahmen zählt die Analyse von Annika Sehl (Akademische Rätin auf Zeit an der TU Dortmund). Sie  präsentiert eine empirische Studie zum partizipativen Lokaljournalismus, die auf einer Inhaltsanalyse sowie auf Journalistenbefragungen beruht. Herausgefunden hat sie, dass die meisten Zeitungen die Optionen, ihre Leser zum Mitarbeiten einzuladen, noch längst nicht ausschöpfen. Meist setze Leserpartizipation erst als „Meinungsäußerung nach der Veröffentlichung eines professionell-journalistischen Beitrags“ ein. Damit verenge sich der Spielraum unnötig, die Chance, dass Leser auch zur Informationsvielfalt beitragen und Story-Ideen liefern könnte, werde zu wenig genutzt.

In dem Buch fehlt leider der Blick über den Tellerrand: „Wir haben so oft eine Wagenburgmentalität“, hat Janis Brinkmann seinen Beitrag überschrieben, in dem er unterstreicht, wie wichtig es wäre, Migranten stärker in den Lokaljournalismus zu integrieren und somit dafür zu sorgen, dass Minderheiten wie etwa Türken oder Italiener in der täglichen Redaktionsarbeit eine Rolle spielen. Hier hätte ein Ausbruch aus der deutschen Wagenburg, sprich: ein Blick auf die USA helfen können. Denn dort gibt man sich seit Jahrzehnten – mit bemerkenswert unterschiedlichen Erfolgen – viel Mühe, Afro-Amerikaner, Hispanics und asiatische Minoritäten in die Lokalredaktionen zu integrieren. Auch in Amerika mussten allerdings erst die Ghettos der Schwarzen brennen, bevor die Redaktionen umzudenken begannen und sich für ethnische Minderheiten öffneten.

Horst Pöttker/Anke Vehmeier (Hrsg.) (2013): Das verkannte Ressort. Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus, Wiesbaden: Springer VS

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