Der Osten Deutschlands hängt sich laut einer Studie medial ab. Das ist ein weiteres Alarmzeichen für die Medien, endlich mehr hinzuhören und zu den Menschen zu gehen.
Dass deutschlandweit viele Menschen ihre Themen und Sorgen selten in den Medien wiederfinden und sich wünschen, dass Medien ein Grundverständnis für die Gesellschaft als Ganzes fördern, ist bekannt. Ein leider weitgehend vergessener, aber zentraler Aspekt rückt durch eine Studie von Lutz Mükke ins Blickfeld: Die Reichweiten überregionaler Blätter (nur 2,5 Prozent der Gesamtauflage der Süddeutschen Zeitung z.B. wurden letztes Jahr im ehemaligen DDR-Gebiet verkauft) sind ein Indiz für ein massives Problem, mit dem sich Journalismus und Politik dringend auseinandersetzen müssen: „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“ nennt Mükke passend sein Arbeitspapier und legt den Finger in bis heute offene Wunden: Die meisten Medienunternehmen seien, befördert durch unfaire Wettbewerbsbedingungen, rasch in Westbesitz gelangt; ostdeutsche Neugründungen der Wendezeit verschwanden meist wieder. Auf den Führungsebenen waren und seien vor allem Menschen mit Westbiografie tätig – in privaten Medienhäusern wie auch in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Dies beförderte, dass in den Redaktionen keine gesamtdeutsche und erst recht keine ostdeutsche, sondern eine westdeutsche Perspektive vorherrschte. Mükke beschreibt, wie sehr auch medial vieles, was aus dem Osten kam, übersehen wurde: Akteure, Ideen, Erfahrungen. Das habe den Graben zwischen Ost und West vertieft. Viele Ostdeutsche fühlten sich doppelt ausgegrenzt: Ihnen fehlen in den Medien Themen, die sie umtreiben, und die Beschränkung vieler Inhalte im Osten auf Themen wie Stasi, Doping, DDR-Misswirtschaft oder Rechtsradikalismus verstärke ihr Gefühl, nicht verstanden zu werden und als minderwertig zu gelten. Das Thema trifft einen Nerv.
Der Politik darf dies alles nicht egal sein, und auch nicht, dass Journalismus zudem finanziell ausgehöhlt wird, indem sich westliche Medienhäuser (Du Mont, Funke etc.) gegenwärtig Schritt für Schritt aus Rentabilitätsgründen zurückziehen. Politik muss den Rahmen bieten für systemrelevanten Journalismus. Deutschlandweit. Die Zeit drängt. Medienvertrauen und Politikvertrauen sind aneinandergekoppelt.
Lutz Mükke (2021). 30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung. Schreiben Medien die Teilung Deutschlands fest? Arbeitspapier 45, herausgegeben von der Otto Brenner-Stiftung.
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 21. März 2021
Weitere Einblicke in die Studie von Lutz Mükke bietet der EJO-Artikel Ost-West-Denken bei deutschen Medien?
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