Rumänische Journalisten fordern die politische Elite heraus

15. Februar 2017 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Gigantische Demonstrationen mit hunderttausenden Menschen, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gehen – seit Tagen prägen diese Bilder hierzulande die Nachrichten aus Rumänien. Kaum bekannt ist in Deutschland hingegen: Die Proteste sind das Ergebnis eines herausragenden Journalismus.

 Journalisten haben in den vergangenen Wochen eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen der Protestwelle in der Zivilgesellschaft gespielt, indem sie die Öffentlichkeit auf die umstrittenen Regierungspläne zur Aufweichung der Anti-Korruptionsgesetze aufmerksam gemacht haben. Dennoch kämpft der unabhängige Journalismus in Rumänien ums Überleben. Viele rumänische Nachrichtenunternehmen sind unterfinanziert und verschuldet.

Die gewaltigen Proteste wurden Ende Januar durch die Einführung von zwei Verordnungen ausgelöst, die kleinere Korruptionsfälle im Staatsdienst entkriminalisieren sollten. Dabei sollte es um Fälle gehen, in denen der finanzielle Schaden geringer als 200.000 Lei (etwa 45.000 €) ist.

Die Gegner hielten dagegen, dass die neuen Verordnungen vor allem die Korruption der Regierung entkriminalisieren würden und Hunderten von aktuellen und ehemaligen Politikern dabei helfen sollten, strafrechtliche Ermittlungen zu stoppen. Zu den betroffenen Politikern gehört auch Liviu Dragnea, Vorsitzender der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD), der derzeit wegen illegaler Verträge in Höhe von etwa 25.000 € angeklagt ist.Trotz Widerstands der rumänischen Öffentlichkeit, der Justiz und auch des rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis verabschiedete Dragneas Regierung in der Nacht zum 31. Januar die Gesetze per Eilverfahren.

HotNews.ro warnte vor Regierungsplänen

Rumänische Journalisten hatten Wochen zuvor immer wieder vor den Absichten der Regierung gewarnt. So hatte der Journalist Dan Tapalagă am 13. Januar auf der Online-Nachrichtenseite HotNews.ro einen Artikel mit der Schlagzeile „ Alarm. Der Straferlass kommt“ veröffentlicht: „Offizielle Informationen, die HotNews.ro erhalten hat, deuten darauf hin, dass PSD, Dragnea und das Kabinett den Straferlass beschleunigt einführen wollen, so dass er spätestens im Februar in Kraft tritt.“

Ein paar Tage nach der Veröffentlichung seines Artikels auf HotNews.ro, am 17. Januar, schrieb Dan Tapalagă auf Facebook, dass die Katastrophe nur gestoppt werden könnte, wenn Präsident Iohannis eine Regierungsversammlung einberufen würde – ein Recht, das ihm laut Verfassung zusteht.

Am nächsten Morgen besuchte der Präsident – ohne Vorankündigung – das Regierungsgebäude in Bukarest – und diktierte den anwesenden eine Kriegserklärung an die umstrittenen Verordnungen in die Notizblöcke. Alle großen Redaktionen des Landes berichteten von der trotzigen Rede des Präsidenten als Breaking News.

Demonstrationen vor dem Regierungsgebäude auf dem Siegesplatz.

Die öffentliche Opposition wächst

Erst die große öffentliche Aufmerksamkeit zwang das Justizministerium, seine Verordnungen online zu veröffentlichen. Danach schlossen sich Kritiker der Verordnungen zusammen, um die Gesetzesentwürfe zu verhindern. Tausende von Menschen versammelten sich auf den Straßen. Die Verordnungen wurden dennoch von der Regierung erlassen und am 31. Januar bekanntgegeben. Eine sollte zehn Tage später, die andere 45 Tage später in Kraft treten.

Seitdem argumentiert die Staatsanwaltschaft, dass die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen dem Kampf gegen Korruption, Terrorismus und Menschenhandel im Wege stehen. Auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben große Besorgnis geäußert. Den Protesten in Rumänien schließen sich immer mehr Menschen an, Hunderttausende versammelten sich zuletzt in den Straßen von Bukarest und anderen rumänischen Städten. Medienberichten zufolge handelt sich um die größten Demonstrationen in Rumänien seit dem Fall des Kommunismus 1989.

Hervorragender Journalismus zeigt seine Wirkung

Der folgende Dialog fand zwischen der Journalistin Andrada Dumitrescu von Realitatea TV und dem Justizminister Florin Iordache während einer Pressekonferenz statt, kurz nachdem die Verordnung veröffentlicht worden war:

Journalistin: „Antworten Sie nicht theoretisch.”

Minister: „Bitte stellen Sie mir noch eine Frage, wenn Sie eine haben.”

J: „Wenn Sie angeklagt würden, aber jetzt [mit diesen Verordnungen] wird das unmöglich sein, nicht wahr?”

M: „Haben Sie noch eine Frage?”

J: “… dass Sie jemandem zu einer Straftat Beihilfe geleistet haben. Sie werden dafür nicht mehr haftbar gemacht werden können, richtig?“

M: „Ich habe Ihnen geantwortet. Noch eine Frage, wenn Sie eine haben. ”

R: „Sie haben mir nicht geantwortet. Es ist eine einfache geschlossene Frage, ja oder nein? ”

M: „Ich habe Ihnen geantwortet. Noch eine Frage, wenn Sie eine haben. ”

R: „Nein. Ja oder Nein?”

M: „Ich habe Ihnen geantwortet [lässt den Blick in den anderen Teil des Raums schweifen]. Noch eine Frage, wenn Sie eine haben. ”

Der Minister sagte 24 Mal „noch eine Frage“ – während derselben Pressekonferenz. Die Pressekonferenz wurde live in allen Nachrichtensendungen übertragen, die Worte „noch eine Frage“ wurden zum Slogan der Demonstrationen.

Journalismus in Rumänien: unabhängig, professionell, aber unterfinanziert

Hervorragende Journalisten können nicht von Luft leben: Um Informationen erhalten, verstehen und übermitteln zu können, müssen sich Journalisten auf ein Fachgebiet spezialisieren. Hervorragender Journalismus braucht eine finanzielle Basis – auch wenn die Zeiten ruhiger und die Menschen weniger am aktuellen politischen Geschehen interessiert sind.

Realitatea TV ist seit 2011 insolvent. Realitatea teilt sich den Markt mit vier anderen Nachrichten-Fernsehsendern. Der finanziell stabilste scheint Digi 24 zu sein. Es wird von einem Telekom-Kabel-Energie-Großkonzern unterstützt.

Die Schulden des rumänischen Fernsehsenders Televiziunea Romana (TVR) sind höher als seine Einnahmen. Narrativer Journalismus überlebt mit Mühe und Not mithilfe von Geldpreisen und Spenden (Casa Jurnalistului) oder wird von einem komplexen Geschäftsmodell aus Events und Merchandising unterstützt (Decât o revistă). Investigativer Journalismus greift auf Zuschüsse zurück (Rise Project).

Andere Medienunternehmen müssen mit immer geringeren Werbebudgets auskommen. Daher ist es hilfreich, wenn Nachrichtenredaktionen Teil eines Fernsehsenders wie ProTV oder in einer Firmengruppe mit einer Boulevardzeitung beheimatet sind, die oft Einnahmen für ihre Referenztitel  generieren kann (Adevărul und Click). Alle diese Redaktionen sind mit jungen Journalisten besetzt, die wissbegierig sind, sich entwickeln wollen und großes Interesse daran haben, einen guten und unabhängigen Journalismus zu produzieren.

Medienberichten zufolge handelt sich um die größten Demonstrationen in Rumänien seit dem Fall des Kommunismus.

Korruption – große Sorge der Öffentlichkeit

Die von der Politik unterstützte Korruption in Rumänien stand schon vor dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2007 ganz weit oben auf der öffentlichen Agenda. 2016 rückte das Thema wieder in das öffentliche Bewusstsein, nachdem investigative Journalisten aufgedeckt hatten, dass ein Pharmakonzern aus Profit-Gier stark verdünnte wirkungslose Desinfektionsmittel an Krankenhäuser lieferte, die vielen Patienten das Leben kosteten.

Die Regierungspartei PSD war aufgrund öffentlichen Drucks im November 2015 von der Regierung zurückgetreten, nachdem ein Brand im Bukarester Nachtclub Colectiv 32 Menschen das Leben gekostet hatte. Höchstwahrscheinlich wurden Brandschutzauflagen nicht beachtet, und es sollen Schmiergeldzahlungen geflossen sein.

Im Dezember 2016, nach einer sehr ruhigen Wahlperiode, gewann dann aber die PSD wieder die Parlamentswahlen und bildete eine Regierungskoalition mit der kleinen liberalen Partei ALDE. Die ruhige Phase hatte ein Ende, als die Diskussionen über den Straferlass begannen.


Rücktritte – und neue Proteste

Nach andauernden Protesten hat Rumäniens Regierung Anfang Februar die umstrittene Eilverordnung, die den Kampf gegen Korruption eingeschränkt hatte, zurückgezogen. Handelsminister Jianu und Justizminister Iordache traten zurück.

All dies hält die Menschen aber nicht von neuen Protesten ab. Es gehen weiterhin tausende Rumänen auf die Straße, die den Rücktritt der Regierung fordern. Anfang dieser Woche konnten die Demonstranten aber einen weiteren Erfolg verbuchen. Rumäniens Parlament hat eine Volksbefragung gebilligt, bei der sich die Rumänen zur Zukunft des Kampfs gegen Korruption äußern sollen.

Originalversion auf Englisch: “Another Question?” Journalism’s Role In Romanian Protests

Bilder: Raluca Radu und Alexandra Bardan

 

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