Wie der Lokaljournalismus in der Corona-Krise unterstützt werden kann

16. Juni 2020 • Aktuelle Beiträge, Medienökonomie • von

Damian Radcliffe von der University of Oregon regt sieben Maßnahmen für die Unterstützung US-amerikanischer Lokalmedien an, von denen viele auch für europäische Märkte bedeutsam sind.

Die Corona-Pandemie könnte für viele Medienunternehmen auf der ganzen Welt das Aus bedeuten. Da es keine Anzeichen für ein baldiges Abklingen der Krise gibt, ist es noch zu früh, um die vollen Auswirkungen zu erkennen. Es ist jedoch klar, dass die Medienindustrie nach der Krise ganz anders aussehen wird. von denen viele auch für europäische Märkte relevant sind.

Sogar Medien wie The Atlantic, die einen „Corona Bump“ erlebten, sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Das in Washington D.C. ansässige Unternehmen hat im Mai 68 Mitarbeiter entlassen, was 17% seines Personals entspricht, obwohl in den letzten acht Monaten 160.000 neue Abonnenten hinzugekommen sind (und 90.000 seit März 2020). Allein in den USA sind mehr als 36.000 Medienmitarbeiter von der Pandemie betroffen; es gingen Arbeitsplätze verloren, Journalisten wurden entlassen und Redaktionen wurden geschlossen. Weltweit spielen sich ähnliche Dynamiken ab.

Vor diesem Hintergrund stehen Regierungen, Technologieunternehmen, Stiftungen und andere Geldgeber zunehmend unter Druck, die Medienindustrie zu unterstützen. Diese lauten Rufe sind verständlich. Schließlich besteht ohne Unterstützung die sehr reale Gefahr, dass die durch die Corona-Krise verlorenen Arbeitsplätze in den Nachrichtenredaktionen und anderen Medien für immer verloren sind.

Wie können also politische Entscheidungsträger, Stiftungen, Geldgeber oder Einzelpersonen den Journalismus in dieser Krise am besten unterstützen?

Lokale Medien sind für die Gesellschaft lebenswichtig

Die Bemühungen sollten sich hauptsächlich auf den lokalen Journalismus konzentrieren – den am stärksten gefährdeten Sektor. Lokalmedien leiden am meisten unter dem Wirtschaftsabschwung und Einbruch des Werbegeschäfts. Die Schließung lokaler Nachrichtenmedien könnte sich zutiefst negativ auf die Gesellschaft auswirken, in der wir leben. Das ist nicht übertrieben. Es gibt Anzeichen dafür, dass ohne einen lebendigen Lokaljournalismus Behördenvertreter eventuell weniger berechenbar werden, dass weniger Menschen für ein Amt kandidieren und dass sich die Bürger weniger für Wahlen engagieren.

Darüber hinaus kann es während einer größeren Gesundheitskrise nicht ein einziges, allgemeingültiges Narrativ geben. Es gibt eine Menge an Narrativen, die in einen Zusammenhang gesetzt und erklärt werden müssen. Es war noch nie so deutlich wie heute, dass lokaler Journalismus gebraucht wird. Überregionale Medien können dem nicht allein nachkommen. Ihre Bemühungen müssen durch Redaktionen in verschiedenen Gemeinden ergänzt werden, die speziell einem lokalen Publikum erklären können, was aktuell geschieht und welche Auswirkungen dies hat.

Unter Berücksichtigung all dessen schlage ich die folgenden sieben Maßnahmen für politische Entscheidungsträger und Geldgeber vor:

1. Stellen Sie direkte Unterstützung bereit, um die Medienunternehmen funktionsfähig zu halten – auch bei reduzierter Kapazität.

Wenn die Medienunternehmen vollständig verschwinden, ist es unwahrscheinlich, dass sie je zurückkommen. Sie werden für immer verloren sein. Konzentrieren Sie sich auf Regionen mit nur einem Lokalmedium, um das Risiko zu mindern, dass sie zu Nachrichtenwüsten werden.

2. Unterstützen Sie die Berichterstattung über die wichtigsten Schlüsselthemen durch die Finanzierung spezifischer Rollen und Beitrags-Serien.

Die Texas Tribune, der Guardian und andere haben durch Crowdfunding erfolgreich Beitrags-Serien und Reporter finanziert, um die Berichterstattung bestimmter Themen zu liefern. Davon werden wir mehr brauchen, wobei wir uns auf die zum jetzigen Zeitpunkt wichtigsten Informationsbedürfnisse konzentrieren müssen. Diese Themen und Geschichten werden möglicherweise kein großes Publikum anziehen. Aber der Service-Journalismus ist mehr denn je von größter Bedeutung.

3. Unterstützen Sie nicht nur die traditionellen Medien und nicht nur die Printmedien.

Die lokalen Partner des National Public Radio (NPR) und Public Broadcasting Service (PBS) leisten unglaublich wichtige Arbeit. Das gilt auch für viele rein digitale Medien. Doch allzu oft konzentrieren sich die Finanzierungsbemühungen auf die Unterstützung der traditionellen Medien.

4. Bedenken Sie die Eigentumsstruktur der Unternehmen, die Sie unterstützen.

Viele traditionelle Medienunternehmen sind massiv überfinanziert. Bei einer Reihe von ihnen handelt es sich auch um öffentliche Unternehmen oder Hedge-Fonds, die sich verpflichtet haben, für Investoren und Aktionäre Erträge zu erwirtschaften. In der gegenwärtigen Situation müssen die Geldgeber sicherstellen, dass ihr Geld an vorderster Front eingesetzt wird und nicht für Dividenden oder Schuldentilgung verwendet wird.

5. Finden Sie Gelegenheiten für Ad-hoc-Maßnahmen in Nachrichten- und Breitbandwüsten.

Die digitale Kluft und das Informationsgefälle müssen überwunden werden, indem entschieden werden muss, welche Produkte am besten wichtige Informationen an die lokale Bevölkerung vermitteln können. Dazu sollten Inhalte in anderen Sprachen und die Übermittlung von Nachrichten per SMS gehören. Ad-hoc-Maßnahmen könnten eine unglaublich wichtige kurzfristige Wirkung haben und sollten daher nicht vernachlässigt werden.

6. Fragen Sie sich: Wie wird die Medienlandschaft nach der Corona-Krise aussehen?

Ja, wir brauchen Soforthilfe. Gleichzeitig sollten die Geldgeber jedoch prüfen, ob sie sowohl kurzfristige Bedürfnisse als auch langfristige Überlegungen berücksichtigen können. Schließen sich beide gegenseitig aus? Wie können Maßnahmen Medien-Entrepreneurs unterstützen? Wie können sie neue, kooperative, nachhaltige Verhaltensweisen fördern?

7. Unterstützen Sie Freiberufler und Journalisten, die Gefahr laufen, für die Branche „verloren zu gehen“.

Der Journalismus hat seit langem ein Diversitätsproblem. Die aktuelle Situation birgt die Gefahr, das Problem zu verstärken. Wir brauchen Härtefallfonds, zinslose Darlehen, kostenlose Fortbildungen, unterstützende Netzwerke (um die soziale Isolation und andere Probleme der psychischen Gesundheit anzugehen, die für Minderheiten und diejenigen, die auf sich allein gestellt arbeiten, am schwersten zu bewältigen sind) und andere Anstrengungen zur Unterstützung derjenigen, die am verletzlichsten sind und daher am ehesten die Branche verlassen werden. Wie die Medien, für die sie arbeiten, kommen sie, wenn sie einmal weg sind, vielleicht nie wieder zurück.

Das neuartige Coronavirus hinterlässt eine Spur der Zerstörung, die die Wirtschaftskrise von 2008-09 harmlos aussehen lassen könnte. Die hier skizzierten Probleme sind nicht neu, aber die Corona-Pandemie rückt die Notwendigkeit, sie anzugehen, stärker ins Blickfeld.

Wenn wir nicht anfangen, kreativ über die Lösungen und Prinzipien nachzudenken, die die Zukunft unserer Industrie – und ihre Rolle in der Gesellschaft – bestimmen werden, dann sind wir dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen; und das wäre gewissenlos. Ich hoffe daher, dass diese Vorschläge einige Denkanstöße bieten, während wir versuchen, das Geschehene zu verdauen und den besten Weg nach vorn zu bestimmen.

 

Dieser Text wurde zuerst am 1. Juni 2020 auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.

Bildquelle: pixabay.com

 

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