Klick im Kopf

20. November 2014 • Digitales, Medienökonomie • von

Eines haben die Online-Sites mit den Zeitungen gemeinsam. Zum Erfolg braucht es Seriosität. Ich weiß noch, wie es zu meiner Zeit war. Wir kamen morgens um elf verkatert auf die Redaktion. Von unseren Lesern wussten wir nichts.

Heute kommen sie morgens um neun hellwach auf die Redaktion. Und sie wissen alles über ihre Leser. Seit fünfzehn Jahren sind die Leser messbar geworden. Man kann sie im Tages- wie im Sekundenrhythmus erfassen. Man kann jederzeit sehen, wie viele Nutzer eine Website besuchen und was sie dort treiben.

Schauen wir also mal, wie sich die größten News-Angebote im Internet schlagen. Wir betrachten dazu die neuesten Zahlen ihrer Visits pro Monat. Ein Visit ist der Besuch eines Nutzers auf einer Website. Wenn er nach einer Pause von mehr als dreißig Minuten auf die Seite zurückkehrt, wird dies als neuer Visit gezählt.

Website – Visits (in Mio.) – Nutzerzeit (Ø in min/s)

20min.ch – 68,7 – 7:29

Blick.ch – 67,4 – 6:52

Srf.ch – 26,9 – 6:19

Tagesanzeiger.ch – 14,9 – 6:39

Nzz.ch – 10,6 – 5:07

Bazonline.ch – 4,3 – 7:12

Watson.ch – 4,2 – 5:16

Blickamabend.ch – 4,0 – 3:03

Wir sehen, dass die führenden Sites alle mit traditionellen Medienmarken verbunden sind. Die Schweiz macht hier keine Ausnahme. Auch die weltweit populärsten Online-Nachrichten kommen von alten Brands wie BBC, CNN und New York Times. Nur eine Ausnahme, die Huffington Post, hat es als News-Newcomerin in die Garde der arrivierten Medienhäuser geschafft.

Gute News-Sites leben von ihrer Kredibilität beim Publikum. Um diese Glaubwürdigkeit zu bekommen, sind sie konservativ gemacht und zurückhaltend im Stil. Sie orientieren sich an klassischen Einordnungskriterien wie Politik, Ausland, Wirtschaft und Sport. Thematisch sind sie allesamt aktualitätsfixiert, in der Schweiz etwa mit Ecopop, Ukraine, Asylfragen und Federer.

Vor allem bei Tagesanzeiger.ch und Nzz.ch ist die Tradition der Tageszeitung gut zu spüren. Ihre Auftritte unterliegen stärker den Kriterien der Relevanz als jenen der Resonanz. Die Themenwahl ist nicht allein durch die Klickraten der Nutzer getrieben, also durch deren Vorliebe für Sex und Crime. Ebenso wichtig sind die Kopfraten der Redaktion, also deren Skepsis gegen Sex und Crime.

Marktleader 20min.ch, wiewohl auf ein junges Publikum fokussiert, hat eine vergleichbar kühle Strategie. Er bietet zwar mehr Themen aus dem People- und Party-Journalismus, liefert auch mehr unterhaltende Videos und Spiele, hält sich aber sonst ans Prinzip der nüchternen Newsvermittlung. Der selbsternannte Konkurrent von 20min.ch, das neue Watson.ch aus dem Haus der Aargauer Zeitung, betreibt das Gegenteil, nämlich die Verulkung der eigenen Glaubwürdigkeit. Zehn Tipps, damit die Katze den Goldfisch nicht frisst, stehen hier als News gleichberechtigt neben zehn Dschihad-Opfern. Dass das Publikum dies als unseriös empfindet, erklärt vermutlich den unerwarteten Misserfolg des Portals.

Je mehr eine Informations-Site bietet, umso länger bleiben die User auf ihr hängen. Neben 20 Minuten erreichen hier auch führende Regionaltitel wie Tages-Anzeiger und die redaktionell verbundene Basler Zeitung gute Werte. Bei Infotainment-Sites wie jener des Blicks am Abend und bei Watson.ch hingegen schaut man nur kurz rein, was denen wieder an Jux eingefallen ist. Auch der Inhalt von Nzz.ch, so zeigt die Verweildauer, ist zu dünn.

Der Online-Markt der News und der traditionelle Markt der News sind keine zwei Welten. Die Besten sind dieselben.

Bildquelle: SplitShire / pixabay.com

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 13. November 2014

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