Wie Digitalisierung und Corona das Marktversagen im Journalismus offenbaren

2. Juni 2020 • Aktuelle Beiträge, Redaktion & Ökonomie • von

Der Journalismus braucht vor allem jetzt dringend gesellschaftliche Unterstützung, sagt Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement, und regt eine Vielzahl von Maßnahmen an.

Auf meiner allerersten wissenschaftlichen Konferenz – ich war gerade erst als Doktorand an der Universität Hamburg gestartet – hielt  ich einen Vortrag zum Thema Marktversagen im Journalismus. Ich war schrecklich aufgeregt und mein Vortrag war ganz sicher keine Sternstunde der Wissenschaft.  Zu diesem Vortrag gab es aber genau eine einzige Reaktion des Publikums: „Marktversagen? Das ist so 80er,“ lautete das professorale Feedback. Also quasi wie koksen, dachte ich mir.

Nun verhält es sich in letzter Zeit aber so, dass die 80er eine Renaissance erfahren. Die Musik war doch ganz cool, selbst der Modestil kehrt zurück.

Ähnlich ergeht es dem Thema Marktversagen und Journalismus. Victor Pickard, Professor an der University of Pennsylvania, hat kürzlich darüber geschrieben und Jay Hamilton (Stanford University) veröffentlichte 2016 ein viel beachtetes Buch dazu.

Ende März hat nun Phil Napoli (Duke University) im Wired Magazin ein Meinungsstück veröffentlicht, in dem er die These aufstellt, dass die Corona-Krise das Marktversagen im Journalismus erst so richtig zum Vorschein bringt, oder – wie er es formuliert – illustriert.

Steigende Nachfrage – sinkende Erlöse

Der Aufhänger seiner Geschichte ist das paradoxe Phänomen, dass die Corona-Krise zu einem spektakulären Anstieg der Nachfrage nach journalistischen Inhalten geführt hat, gleichzeitig die Einnahmen der Erzeuger dieser Inhalte aber in weiten Teilen regelrecht einbrechen – weit über den allgemeinen Trend hinaus.

Dieser Befund bezieht sich bei Napoli auf die USA, lässt sich aber in Deutschland genauso konstatieren. Die deutschen Verlage verzeichnen sprunghafte Anstiege bei den Zugriffszahlen auf ihre digitalen Angebote und auch die Old School Medien (sozusagen aus den 80ern) wie gedruckte Nachrichtenmedien und TV-Nachrichten erzielen plötzlich Traumreichweiten (fast wie in den 80ern).

Gleichzeitig gehen die Werbeerlöse drastisch zurück, sodass sich die Reichweiten über den Werbemarkt historisch schlecht monetarisieren lassen. Denn viele Werbetreibende geben bedingt durch die Krise plötzlich kein Geld mehr für Werbung aus, und Corona-Inhalte (die eben vermehrt nachgefragt werden) sind ohnehin verständlicherweise kein gutes Werbeumfeld – zu viele negative Assoziationen.

Die Folge: Verlage und Sender haben noch mehr zu kämpfen als ohnehin schon (SZ) und auch pure Onlineanbieter stehen unter zunehmendem Druck.

Die Demokratie leidet

Die Folgen für die demokratische Gesellschaft sind alarmierend. Denn dass eine Demokratie von einer funktionierenden Institution Journalismus profitiert, ist theoretisch wohlbekannt und empirisch gut belegt (Adsera und Kollegen 2009, Snyder & Strömberg 2008). Denn der Journalismus sorgt für eine informierte Gesellschaft, die dadurch bessere Entscheidungen treffen kann. Er kontrolliert die Mächtigen und entlarvt Desinformationen – eine Funktion, die in digitalen Zeiten mit ihren sozialen Netzwerken und geringen Markteintrittsbarrieren dramatisch an Relevanz gewonnen hat.

All diese Funktionen stellen in freien Märkten für die Nachrichtenerzeuger allerdings ein Problem dar, das in der Mikroökonomik unter dem Konzept der positiven Externalitäten bekannt ist . Das Konzept besagt, dass diejenigen, die nicht bereit sind für etwas zu bezahlen, nicht vom Nutzen dieser Sache ausgeschlossen werden können. Das begünstigt Trittbrettfahrerverhalten und im Fall des Journalismus bedeutet es, dass alle von ihm profitieren, auch diejenigen, die ihn nicht konsumieren oder nicht dafür bezahlen.

Im Ergebnis ist die private Nachfrage nach dem Gut Journalismus also geringer als der tatsächliche gesellschaftliche Nutzen. Dies führt dazu, dass der Journalismus weniger Ressourcen bekommt als wohlfahrtstechnisch optimal wäre. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen dies als „ineffiziente Ressourcenallokation“. Das hat also nichts mit Normativität oder Paternalismus zu tun, es ist „harte“ Ökonomik. Im Endeffekt führt der Marktmechanismus zu einer Unterversorgung des Gutes: Ökonomen nennen das Marktversagen.[1]

Marktversagen gab es schon immer – jetzt ist es sichtbar

Das war natürlich immer schon der Fall, auch im 20. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter des Journalismus. Es fiel aber aufgrund einer glücklichen Fügung aber nicht so sehr ins Gewicht.

Diese glückliche Fügung bestand darin, dass die Tageszeitung die effizienteste Möglichkeit darstellte, mit Werbebotschaften, Immobilienanzeigen oder Stellenausschreibungen Menschen zu erreichen. Mit dem Inhaltebündel „Tageszeitung“ ließ sich die erzielte Reichweite so gut monetarisieren, dass landauf landab Rendite über 20% erzielt wurden – teilweise bis in das aktuelle Jahrzehnt hinein.

Zuerst der Rundfunk und spätestens die Digitalisierung hat diese fast exklusive Allianz zwischen Journalismus und Werbung zu großen Teilen aufgebrochen und offenbart zudem die wahre Nachfrage nach journalistischen Inhalten. Denn dachte man Jahrzehnte lang, die Rubrikenanzeigen wären eine Zugabe zu den demokratierelevanten journalistischen Inhalten der Zeitung, war es doch wohl eher anders herum: der Politikteil kam mit den Rubrikenanzeigen, dem Lokalsport und dem Veranstaltungskalender.

Während das Fernsehen – und speziell das Privat- und Kabelfernsehen – den Konsumenten unterhaltende Ausweichmöglichkeiten zu informierenden Inhalten gab, die Konsumenten diese Möglichkeiten gerne nutzten und die Werbetreibenden diesen naturgemäß folgten, entriss die Digitalisierung dem Journalismus auch noch die Rubrikenanzeigen. Diese stehen nun mit eigenständigen digitalen Job- und Immobilienportalen unabhängig von journalistischen Inhalten.

Zudem brachte die Digitalisierung mit den schier unendlichen Weiten des Internets und niedrigen Markteintrittsbarrieren eine Fülle an neuen medialen Angeboten und damit ungeahnte Konkurrenz um Aufmerksamkeit. Die Folge: Medien bekommen für den Verkauf von Werberaum und -zeit nur noch „pennies on the dollar“: Reichweite ist auf dem digitalen Werbemarkt nur noch einen Bruchteil dessen wert, was in klassischen Medien damit verdient werden konnte.

Darüber hinaus lassen sich Inhalte im Digitalen viel schneller kopieren. Das hat den prinzipiellen Vorteil, dass sich Informationen schneller verbreiten und eine effizientere Kommunikation möglich ist. Eigentlich toll für die Demokratie.

Für diejenigen, die selbst teuer recherchierte Informationen auf den Markt bringen, bedeutet es aber, dass sich dieser Aufwand nicht mehr so stark in der Nachfrage niederschlägt. Denn Interessierte müssen nicht mehr Stunden oder Tage warten, bis auch andere Medien über einen frisch aufgedeckten (und wie gesagt teuer recherchierten) Sachverhalt berichten, die Nachricht ist mittlerweile Sekunden später überall kostenlos im Netz verfügbar – bei web.de, gmx, t-online, focus.de und so weiter. Das Zeitfenster für die kommerzielle Verwertung exklusiver Inhalte hat sich dramatisch verkürzt.

Es profitiert also nicht nur der Produzent solcher Inhalte von der entstandenen Nachfrage, sondern auch eine Vielzahl anderer, die mit dieser Information Reichweite erzielen und diese monetarisieren können – und das ohne den Produzenten für diesen Nutzen zu kompensieren. Das Ergebnis ist wieder: Trittbrettfahrerverhalten. Positive Externalitäten. Marktversagen. Unterversorgung mit Journalismus.

Der Rezipientenmarkt ist nicht genug

Es stellt sich nun die Frage, ob das anfangs konstatierte gestiegene Interesse an journalistischen Inhalten im Zuge der Corona-Krise nicht in zahlende Kundschaft umgemünzt werden könnte. Hier gibt es ermutigende Beispiele, viele Verlage berichten seit Ausbruch der Corona-Krise deutlich mehr Abschlüsse digitaler Abos. Sie können aber aller Wahrscheinlichkeit nach die Verluste aus dem Werbemarkt nicht annähernd kompensieren.

Dass einige Publisher wie Gruner+Jahr zudem ihre Paywalls in Corona-Zeiten fallen lassen, ist gesamtgesellschaftlich selbstverständlich lobenswert, der unmittelbaren direkten Monetarisierung der Inhalte aber natürlich wenig zuträglich.

Zumal das Corona-Thema – so wollen wir hoffen – irgendwann auch wieder an Relevanz verliert und es sich damit bei Lichte betrachtet ohnehin nur um ein temporäres Nachfragehoch handelt.

Und selbst wenn der Rezipientenmarkt den wegbrechenden Werbemarkt rein hypothetisch betrachtet auffangen könnte, es würde nicht reichen. Das für den Journalismus sterbende Geschäftsmodell der Werbefinanzierung offenbart lediglich das immer schon dagewesene, aber vormals gut verdeckte Marktversagen im Journalismus. Die private Nachfrage nach Journalismus wird immer deutlich hinter dem gesellschaftlichen Nutzen zurückbleiben und dies wird nun so offensichtlich wie nie zuvor. Die schicke Fassade der Werbefinanzierung ist abgetragen und das Elend dahinter freigelegt.

Der Journalismus braucht Hilfe

Der Journalismus braucht dringend gesellschaftliche Unterstützung, um ökonomisch auf einem effizienten Niveau leisten zu können. Denn jeder profitiert davon – egal ob man selbst Journalismus konsumiert oder bezahlt.

Dabei darf es in erster Linie nicht darum gehen, etablierte Verlage und TV- Sender zu retten. Die Marktbedingungen haben sich im Zuge der Digitalisierung so drastisch verändert, dass niemand weiß, wie der optimale Markt für Journalismus in Zukunft konkret ausgestaltet sein wird.

Es muss vielmehr darum gehen, die Institution Journalismus zu erhalten und adäquat auszustatten. Wie genau journalistische Aktivität in Zukunft organisiert wird, steht an zweiter Stelle und sollte nicht hoheitlich vorgegeben, sondern möglichst ergebnisoffen gehalten werden.

Wie kann Hilfe also aussehen ? Wie kann dem eingangs beschriebenen Marktversagen entgegengetreten werden?

  1. Stärkung des ÖRR im Digitalen
  2. Mehr Geld ins System, etwa durch direkte Subventionen, Journalismus-Gutscheine (ähnlich der Idee von Bildungsgutscheinen), Steuerzuschreibungen (über die Steuerzahler entscheiden können), Steuermittel (die über eine unabhängige Institution an Medienorganisationen weitervergeben werden, wie etwa die Corporation For Public Broadcasting in den USA), Stiftungen, Förderung einer Kultur der Philanthropie.
  3. Eine Art „digitales Pressegrosso“ um die quasi-monopolistischen Strukturen auf der Distributionsstufe (Facebook, Google) aufzubrechen und publizistischen Wettbewerb zu ermöglichen.
  4. Besteuerung der großen Plattformunternehmen (u.U. für die Nutzung von publizistischen Inhalten).
  5. Start-Up- und Innovationsförderung im Journalismus.

Diese Liste ist nur exemplarisch, es wird aber auch schon einiges davon umgesetzt: Einerseits Maßnahmen, die eher auf den Erhalt des Status Quo und der Großen der Branche abzielen, wie das Leistungsschutzrecht und die Subventionierung der Zeitungszustellung. Andererseits aber auch Start-Up-Förderung durch die öffentliche Hand (Media Lab Bayern, Journalismus Lab der LfM NRW) und das Bestreben Journalismus als gemeinnützig einzustufen, um damit Unterstützung durch Stiftungen zu vereinfachen.

Wenn man aber sieht, dass Google und Facebook heutzutage zu den größten Geldgebern in der Journalismusförderung  zählen, dann kann die Konsequenz nur heißen: da muss mehr gehen, Demokratie. Wir sind nicht mehr in den 80ern. Vielleicht hilft Corona das zu erkennen.

 

[1] Dieser Zusammenhang ist eines der wichtigsten ökonomischen Argumente für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Denn wenn der Markt ein Gut nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen kann, dann könnte darauf mit einem gesellschaftlichen Angebot bzw. einer gesellschaftlichen Finanzierung geantwortet werden  – wie es in weiten Teilen des öffentlichen Lebens der Fall ist: Schulen sind steuerfinanziert, die meisten Straßen Häfen und Flughäfen auch, Polizei und Feuerwehr sowieso. Menschen, die diesen Zusammenhang nicht ordentlich erklärt bekommen haben, sagen häufig Sätze wie “Warum sollte ich für etwas (den ÖRR) bezahlen, das ich gar nicht nutze.” Weil du trotzdem davon profitierst. Wie bei Leuchttürmen und Autobahnen und Häfen und Schulen und insgesamt großen Teilen der öffentlichen Infrastruktur.

 

Erstveröffentlichung: “Wie Digitalisierung und Corona endlich das Marktversagen im Journalismus offenbaren” auf Horizont.net vom 27. April 2020; dieser Beitrag wurde auch in der Beitragsreihe “Zukunft des unabhängigen Journalismus” des Instituts für Journalistik der TU Dortmund veröffentlicht. 

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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