Frau von heute, Frau von Welt

11. Juli 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Rheinischer Merkur

Die öffentlich-rechtlichen Sender leisten sich ein dichtes Korrespondentennetz, dennoch lassen sie zunehmend prominente Moderatoren wie Marietta Slomka ausschwärmen. Erfahrene Journalisten haben es dagegen mit ihren Geschichten aus der Fremde schwer.

ZDF-China-Korrespondent Johannes Hano ging für das Auslandsjournal mitten in Peking, ohne nach links und rechts zu sehen, über einen Fußgängerüberweg, um die Verkehrstauglichkeit in China zu testen; Marietta Slomka, Moderatorin des heute journals, griff für ihre Sendung das Thema fast gleichzeitig auf. Sie reiste extra nach Peking, ihr Kollege arbeitet da. Merkwürdig? Nein, Vorsatz.

Gerade weil die ZDF-Korrespondenten im Studio in Peking Land und Leute genau kennen, kam Slomka aus Mainz. „Sie ist unbefangen, vieles ist für sie nicht selbstverständlich“, erläutert Katharina Riwola von der ZDF-Pressestelle. Slomka gehört zu den bekannten Gesichtern auf deutschen Fernsehbildschirmen. Diese Woche zeigt sie unter dem Titel „Exotik des Alltags“ in fünf Beiträgen ihre Erlebnisse – vom Besuch beim Drachenbauer bis zu den Hürden, die die Staatssicherheit ihr bei der Arbeit in den Weg stellte. In den Hauptrollen: China und Slomka.

Wird der beobachtende Journalist, der im Hintergrund bleibt, abgelöst durch den Star-Journalisten, der selbst auf der Bühne agiert? Marietta Slomka empfindet solche Vermutungen als zu bedeutungsschwanger. Ihre Prominenz sei nützlich, um die kleinen Geschichten zu erzählen, die ein großes Publikum interessieren – Geschichten über eine ganz normale chinesische Familie, über Radfahren in Peking. Mit solchen alltäglichen Themen hätte ein Korrespondent es schwerer, in eine tägliche Nachrichtensendung zu kommen.

Moderatoren gewinnen Einfluss, sie lenken immer häufiger Beiträge in eine bestimmte Richtung und treten auch als Reporter auf. Für ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ist dies Programm: Viele waren Reporter und sollen dieses Wissen dem Sender auch zur Verfügung stellen; sie wirken zudem glaubwürdiger, wenn sie wissen, wie es vor Ort aussieht. „Wir wollen aber nicht den Rollentausch.“

Dass auf diese Weise ein klassisches Format wie das Auslandsjournal verkümmert, bestreitet Brender. Die Zuschauerzahlen seien konstant, seit das Magazin zwar mittwochs im Spätprogramm läuft, aber dafür nicht mehr hin und her geschoben wird oder ausfällt. Der ARD-Weltspiegel hat seit langem einen festen Sendeplatz am frühen Sonntagabend, die Quote ist stabil.

Ob der Zuschauer wirklich Neues aus aller Welt erfahren will, ist fraglich. Im Frühjahr überführte die chinesische Staatsagentur Xinhua einige westliche Medien der Manipulation. Sie hatten Gewaltszenen Tibet zugeordnet, die in Wirklichkeit Auseinandersetzungen in Nepal zeigten. Das war nicht nur ein „Versehen“, sondern entlarvend. Kein Journalist wusste, was in Tibet wirklich los war. Aber er wusste, durch welchen Filter er seinem Publikum diesen Teil der Welt und die Rolle der Chinesen zeigen wollte: Steine, Blut, Demonstranten und Polizisten. Das Bildmaterial passte zu gut.

Wer von daheim aus in die Fremde sieht, schaut nicht so genau hin – ein altes Leid für Reporter im Ausland. Sie müssen mitunter zu Tricks greifen, um ihre „Heimatredaktionen“ zu überzeugen. „Geschichten über das Elend in Afrika kann ich nur in der Vorweihnachtszeit verkaufen, sonst nur solche, in denen es knallt, und andere eigentlich gar nicht“, beklagt sich ein Afrika-Korrespondent: „Die Kollegen im Stammhaus glauben, sie sehen klarer, was ist, als wir.“ Sie vertrauen Agenturen mehr als Reportern: Erst was über den Ticker geht, wird zum Thema.

Beim Süddeutschen Journalistentag in Mainz machten Korrespondenten ihrem Unmut Luft, die Diskussionen brechen seither nicht ab. Wortführer ist der Fernsehreporter Ulrich Tilgner. Seit dem Frühjahr arbeitet er nicht mehr fürs ZDF in Teheran, über die Gründe gehen die Meinungen auseinander. Doch viele Kollegen schließen sich seiner Grundsatzkritik an der Auslandsberichterstattung an. Aktuelle Beiträge mache er vorerst nur noch für das Schweizer Fernsehen, weil er sich bei den Eidgenossen auch als Journalist auf neutralerem Boden fühlt als bei der Arbeit für einen deutschen Sender. Tilgner erlebt die Schweizer Außenpolitikredakteure als feinfühliger. „In den Redaktionen bestimmen nicht, wie in Deutschland, Kollegen, die nur bedingt sachkundig sind.“

Auslöser für Tilgners Reaktion waren seinen Angaben zufolge Erfahrungen in der Berichterstattung über Afghanistan. Zentral war ein Erlebnis vor gut einem Jahr, als Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Kundus fuhr, sein Presseoffizier vor Ort das aber nicht bestätigen wollte. Tilgner: „Hinterher stellte sich heraus, dass der Außenminister exklusiv mit zwei Bild-Journalisten unterwegs war, und das Ganze stand dann auf Bild.de.“ Als die eigene Redaktion beim ZDF nicht begriffen habe, was ein solcher Vorgang für seine Arbeit bedeutet, hatte er genug.

Demnächst erscheint eine vom Dortmunder Erich-Brost-Institut finanzierte Studie, für die Interviews mit 300 deutschen Auslandskorrespondenten in der ganzen Welt geführt wurden. Kommunikationswissenschaftler und Journalisten beschreiben auf 534 Seiten bildhaft die Bedingungen, die Reize und die Abgründe der Auslandsberichterstattung.

Jörg Armbruster war bis 2005 für die ARD im Nahen Osten. Er erzählt von einem Tagesschau-Redakteur, der ihn gegen zwei Uhr morgens aus dem Bett klingelte und ihm von einem Anschlag berichtete: von einer brennenden Diskothek, von zerstörten Hotels und toten Touristen. „Mein Einwand, ich müsse mich erst einmal informieren, zählte wenig“, schreibt Armbruster. Karin Storch, die für das ZDF aus Israel berichtet, beklagt sich: „Die vielen Ideen, Initiativen, Erfindungen, die das kleine Volk hervorbringt, interessieren in den Heimatredaktionen nur mäßig.“ Man wolle immer nur den Konflikt mit den Palästinensern, und zwar in einer Minute dreißig Sekunden.

Die Konflikte zwischen Heimatredaktion und Korrespondent sind nie lösbar, bestätigt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Das sei eine Frage der Perspektive. Im öffentlich-rechtlichen Programm sind weder die Kollegen in der Heimatredaktion noch im Korrespondentenbüro heute weniger sachkundig als früher, widerspricht er. Es gebe eher weniger Häppchenkost: „Wir bilden mittlerweile im heute-journal Themenschwerpunkte, die ausführlicher behandelt werden. Ist das China, muss anderes, zum Beispiel Nahost, rausfliegen, weil wir weiterhin nur 30 Minuten Sendung haben.“

Anders als früher werde bei großen Dokumentationen viel vernetzter gearbeitet. Brender nimmt die Entlassungen bei Nokia in Nordrhein-Westfalen als Beispiel. Der Beitrag war ein Gemeinschaftswerk von Kollegen, die für Wirtschaft, Rumänien und die EU zuständig sind. Gezeigt wurde, was es heißt, wenn in Nordrhein-Westfalen Arbeitsplätze abgebaut werden, sie aber in Rumänien neu entstehen. „Das hätten wir in diesem Rahmen so früher nie gemacht. Heute ist das nötig, um Ängste abzubauen. Wir müssen ja die Welt erklären“, sagt Brender. „Dass da der für Rumänien zuständige Korrespondent fragt, warum mache ich das nicht alleine, kann schon sein. Aber die Welt ändert sich, auch die Herangehensweise an unsere Features und Dokumentationen ändert sich. Das kann gar nicht anders sein.“

Auch die Technik hat sich geändert: Der Korrespondent ist nicht mehr der Einzige am Ort. Redaktionen greifen über Bildagenturen auf Bilder aus Dutzenden von Kameras zu, die Digitalisierung beschleunigt und verbilligt alles. Das Korrespondentennetz des ZDF blieb konstant bei 17 Vollzeitplätzen, wandelt sich aber auch. Rückt eine Region stärker ins Blickfeld, wird nicht ausgebaut, sondern gewechselt, erklärt Brender; deshalb ging jetzt ein Japan-Korrespondent zur Verstärkung ins chinesische ZDF-Studio.

Die Arbeitsbedingungen von Journalisten, vor allem von Korrespondenten, werden allenfalls innerhalb der Medienhäuser diskutiert, dem Publikum aber selten transparent gemacht. Dabei macht es einen großen Unterschied, zu wissen, ob ein Journalist allein oder nur mit Begleitung von Bundeswehrsoldaten oder Politikern reiste, wie er zu seinen Informationen kam und welche er nicht bekam – auch diese Jalousien in die Welt müssen geöffnet werden.

Literaturtipp: Oliver Hahn, Julia Lönnendonker, Roland Schröder (Hrsg.):Deutsche Auslandskorrespondenten. Ein Handbuch. uvk Verlag, Konstanz 2008. 534 Seiten, 45 Euro.

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