Verlage und Medienhäuser in Deutschland greifen für die journalistische Bildkommunikation zu aktuellen Themen neben Agenturmaterial auch auf die Arbeit von freien Fotojournalisten zurück. Wie die Arbeitsbeziehungen in diesem Feld in der Praxis aussehen und welche Herausforderung mit der Arbeit als Freier verbunden sind, darüber sprach Felix Koltermann mit dem Fotojournalisten Björn Kietzmann.
Felix Koltermann: Herr Kietzmann, was interessiert Sie am Fotojournalismus?
Björn Kietzmann: Was mich an journalistischer Fotografie begeistert, ist das Erzählen von Geschichten, die auch über Bilder funktionieren und nicht nur über Text. Fotojournalismus macht Themen greifbarer. Ich bin selbst vom Schreiben zum Fotografieren gekommen und fotografiere inzwischen fast ausschließlich. Ich hatte immer den Anspruch, bei einfachen Geschichten – also nicht bei Geschichten, wo ich wochenlang an einem Thema arbeite – wo ich nur einen Termin wahrnehme, nicht alles machen zu wollen. Ich möchte nicht in die „Lokalfalle“ tappen, wo es heißt „Ach du bist da? Dann mach doch auch noch mal ein Foto“. Es gibt diese Momente, wo man einfach ein gutes Foto machen könnte, aber im gleichen Moment auch eine Frage stellen oder etwas aufschreiben müsste. Es ist nicht so, dass das überhaupt nicht kompatibel wäre, aber meist leidet meiner Meinung hierbei die Qualität.
In der Praxis bedeutet dies dann, dass in den Redaktionen Ihre Bilder mit Text von anderen Autor*innen kombiniert werden. Trifft das Ihren journalistischen Anspruch?
In den meisten Fällen funktioniert das schon. Wenn jemand z. B. allgemein über die Flucht- und Migrationsbewegungen auf den griechischen Inseln berichtet, dann ist es ja durchaus ok, da ein Bild von mir zu nehmen. Es ist dann ein Problem, wenn die Geschichte konkrete Protagonist*innen hat. Da wäre es für ein Magazin ratsam, eine*n Fotograf*in zu beauftragen, der*die dann mit den Kolleg*innen als Team unterwegs ist, was ja zumindest im Magazinbereich noch häufig passiert.
Was ist Ihnen denn wichtig bei der Kontextualisierung Ihrer Fotografien bzw. welche Ansprüche stellen Sie an die Bildunterschriften?
Da würde ich auf die Leser*innenperspektive wechseln. Mir als Leser ist es wichtig, dass das eingeordnet wird. Wenn es etwa um Flüchtlinge geht, die in Lampedusa ankommen, kann man nicht einfach ein Bild von Lesbos nehmen. Das muss Hand und Fuß haben. Einerseits muss das Motiv passen, andererseits muss gesagt werden „Flüchtlinge kommen im Frühjahr 2016 in Lesbos an“ oder was auch immer. Bei Flüchtlingen, die auf Lesbos ankommen, gibt es sehr starke Nuancen, wie es ausgesehen hat, wenn ein Boot am Strand ankommt. Es gab Phasen, das sind Boote angekommen und niemand war da. Und es gab Phasen, da ist ein Boot angekommen und die Geflüchteten sind umringt worden von NGOs und anderen. Das macht in so einem Fall natürlich einen Unterschied.
Wie kommen Sie denn als freier Fotojournalist an Ihre Aufträge bzw. wie kommen Ihre Bilder in die Redaktion?
Da gibt es unterschiedliche Wege. Meine Bilder kommen entweder in die Redaktion, weil ich mit einzelnen Zeitungen oder Magazinen schon zusammengearbeitet habe und über deren FTP-Zugang verfüge und ihnen freie Angebote zur Verfügung stelle. Oder über den klassischen Agenturweg, wo ich mit Action Press und SZ Photo zusammenarbeite. Der dritte Weg wäre, dass ich ein freies Angebot an jemanden schicke. Sagen wir mal ich bin in Hannover und mit Reporterglück stolpere ich in etwas rein, ohne dass andere Kolleg*innen da sind. Ich fotografiere das und denke, dass es nicht nur für meine bestehenden Kunden, sondern auch für die Zeitungen hier vor Ort interessant ist. Das würde dazu führen, dass ich der Fotoredaktion der HAZ eine Mail schreibe oder kurz anrufe und Bescheid gebe, dass ich das gerade fotografiert habe und ob ich das mal unverbindlich zuschicken soll. Das sind dann die klassischen Fälle, wo ein Bild nicht nur als Symbolbild benutzt wird, sondern wo Bilder in Redaktionen ankommen und aus diesen dann die Geschichten entstehen, weil sich jemand dransetzt und das nachrecherchiert und mit mir telefoniert und fragt, wie das ablief.
Gerade bei aktuellen News-Themen sind ja vor allem die Nachrichtenagenturen sehr prominent. Stehen Sie nicht in einer immensen Konkurrenz mit deren Fotograf*innen?
Naja doch, die Konkurrenz ist natürlich immer da. Die ist echt hart, wenn man überlegt, dass es Abomodelle gibt und es die Bereitschaft braucht, zusätzlich Geld für ein Foto auszugeben, obwohl man ein Abo hat. Und was die Geschwindigkeit angeht, wäre es natürlich einfacher, wenn ich jemanden im Backoffice hätte, der die Beschriftung und alles andere macht und ich nur noch alles aus der Kamera schicken müsste. Das ist sonst ein großer Zeitverlust. Ein gutes Beispiel ist ein längerer Termin der ein bisschen turbulenter ist, wie die G20 Ausschreitungen in Hamburg. Da muss man sich dann selbst erst mal einen Ort suchen, der sicher genug ist, dass man seinen Laptop auspacken und zumindest rudimentäre Beschriftungen machen kann, um das rauszuschicken. In den Momenten vergeht natürlich Zeit, in denen ich nicht fotografieren kann und mich auch geografisch aus einem Bereich entfernen muss, um sicher arbeiten zu können. Vom Zeitverlust abgesehen gehören Beschriftung und Nachbearbeitung aber klassisch zum Aufgabenfeld von Fotojournalist*innen. Gerade beim Beschriften eines komplexeren Motivs durch jemanden, der die Szene nicht selbst gesehen hat, können schnell Fehler passieren. Es ist mir daher lieber, wenn ich Beschriftung und Nachbearbeitung selber mache.
Was sind denn Ihre Erwartungen an die Bildredakteur*innen?
Ich habe eigentlich immer sehr gute Erfahrung damit gemacht, wenn man vor Ort als Team zusammenarbeitet. Und was die Bildredaktion angeht ist wichtig, dass man schon einen groben Rahmen und einen klaren Wunsch formuliert bekommt, was die sich denn überhaupt vorstellt, aber das Ganze trotzdem so flexibel bleibt, weil es natürlich auch auf die Gegebenheiten vor Ort ankommt. Aber ich brauche kein fertiges Skript, was dann nicht einzuhalten ist und keinem journalistischen Standard mehr entspricht.
Immer wieder wird über die Krise des Fotojournalismus gesprochen. Schaffen Sie es, mit der journalistischen Fotografie Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten?
Bis Corona hat es im Endeffekt bei mir funktioniert. Jetzt ist es echt schwierig geworden, weil wenig Termine stattfinden und bestimmte Bereich komplett brach liegen. Das führt dazu, dass Leute, die sich ansonsten um andere Bereiche kümmern, wie z. B. roter Teppich, Kultur oder sonst was, plötzlich auch nichts mehr haben und die Konkurrenzsituation dadurch noch größer ist. Klar, man kann natürlich versuchen, jeden Tag die gleichen Bilder im Corona-Zentrum zu machen, jedes Mal in einer anderen Stadt. Aber das macht für mich gerade auch nicht viel Sinn. Was ich noch als größere Projekte hatte, waren im letzten Jahr die Geschichten rund um den Dannenröder Wald. Das habe ich jetzt einfach genutzt und die letzten Wochen an einem Buchprojekt gearbeitet. Den Bildband habe ich jetzt rausgebracht. Aber das ist jetzt auch nichts, was das insgesamt auffängt. Also sprich, es ist mitunter durchaus prekär.
Wie wichtig bzw. sinnvoll sind für Ihre Vertragsgestaltung und Abrechnung Instrumente wie der Tarifvertrag der Zeitungsverlage oder die Empfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (mfm)?
Teils teils. Ich arbeite durchaus mit der mfm-Liste. Aber bei einer kleinen Zeitung, die üblicherweise keinen Fotografen bucht oder keine Fotos einkauft, ist es natürlich nochmal eine ganz andere Sache. Ganz realistisch gesehen ist es einfach so, dass auch die großen Verlage ihre Standardpreise haben. Da ist es dann extrem schwer, was anderes zu verhandeln, außer man hat halt wirklich das Foto! Etwa wenn man zufällig das erste Foto eines Babys einer Königsfamilie gemacht hat, theoretisch gesprochen. Bei solchen Fotos werden ganz andere Preise ausgerufen. Aber das ist kein Bereich, in dem ich arbeite, das wäre dann wirklich Zufall.
Sind Sie denn mit den Preisen der großen Verlage zufrieden?
Man merkt natürlich, dass da selten Erhöhungen zustande kommen und die Preise sich selten dem Inflationsausgleich o.ä. anpassen. Da passiert einfach fast nicht. Viel realistischer ist, dass die Auflagen zurück gehen und die Honorare schrumpfen.
Sie machen jetzt auch Printverkauf im Netz. Ist das jetzt ein realer Zuverdienst oder nur sozusagen ein kleines Angebot für treue Kund*innen?
Im Endeffekt ist es ein Versuch. In der Coronazeit habe ich ein zwei Tests und Versuchssachen gemacht. Den Bildband z.B. habe ich über ein Crowdfunding finanzieren können. Es ist an sich schon eine Möglichkeit, sich auf solche Projekte überhaupt einzulassen. Das Crowdfunding hat mir die Sicherheit gegeben, dass Leute sagen, das finde ich spannend, den Band möchte ich haben. Wenn das Crowdfunding schiefgegangen wäre, hätte es das Buch nicht gegeben.
Wie sehen Sie denn den bildethischen Aspekt. Finden Sie es legitim, ein Bild aus einem fotojournalistischen Kontext an die Wand zu hängen?
Die Frage ist natürlich auch in welchem Kontext das gemacht wird. Bei mir sind die Formate mit A5 und A4 eher klein gewählt. Und ich sehe da auch eigentlich eher den Anspruch, dass jemand ein Foto aus Afghanistan bestellt, weil er da groß geworden ist. Und natürlich ist es in gewisser Weise auch eine Möglichkeit zu zeigen, welche Arbeit man macht und im Gespräch zu bleiben. Die Hoffnung ist, dass sich daraus etwas ergibt und zum Beispiel man eine Ausstellung mit dokumentarischem Charakter zu einem bestimmen Thema machen kann. Ich habe mich schon relativ bewusst entschieden, viele Fotos nicht in den Shop zu nehmen, insbesondere Flucht- und Migrationsthemen. Ich möchte Menschen nicht als Kulisse verkaufen. Für mich ist ein Bild nach wie vor etwas Dokumentarisches, nicht nur ein Schmuckstück.
Haben Sie auch auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen fotografiert. Wie haben Sie das persönlich erlebt? War das für Sie ein neueres und schwierigeres Auftragsarbeitsfeld insbesondere für Deutschland?
Schwieriger und neu nicht. Aber es ist ein schwieriges Arbeitsfeld und keine 0815 Demo, die man da fotografiert. Es hat mich an andere Felder erinnert, die es in Deutschland schon gab, wie die Migrationsmärsche in Schneeberg oder die Pegidabewegung. Das sind Ereignisse, wo man den Leuten ihre Feindseligkeit gegenüber Medienvertreter*innen nicht sofort angesehen hat. Das ist nicht der Klischeenazi mit Springerstiefeln und Glatze. Das hat eine Qualität, bei der man einfach davon ausgehen muss, dass es eine bestimmte Klientel gibt, die Gewalt gegenüber Journalist*innen anwenden würde und das auch tut. Dazu kommt eine große Masse die nicht nur schweigt, sondern das wahrscheinlich auch begrüßen würde. Das habe ich damals in Schneeberg erlebt und das könnte einem auch auf einer Corona-Demo passieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview ist Teil eines Projektes zur Bildredaktionsforschung von Felix Koltermann am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover.
Schlagwörter:Fotojournalismus, freie Fotojournalisten, journalistische Bildkommunikation