«Gelenkte Informationen», «Einheitsbrei», «Erschöpfung» – die Medienkritik verschärft sich und warnt vor den Auswirkungen massiver Einsparungen in Schweizer Redaktionen. Alarmierende Entwicklungen im Journalismus sind hinlänglich bekannt, doch solide Daten sind Mangelware. Eine Studie der Universität Freiburg (Schweiz) zeigt anhand der Aussagen von über 1.000 Schweizer Medienschaffenden auf, wie sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert haben und die Berichterstattungsfreiheit eingeschränkt wird.
Die Signale aus den Redaktionen sind alarmierend: Durch Zusammenlegungen und Stellenkürzungen wird in zahlreichen Redaktionen der Verlust von Fachwissen beklagt. Der Zeitdruck sei soweit gestiegen, dass selbst basale Fakten nicht mehr ausreichend geprüft werden und Zeitungen unter «chronischem Stress» entstehen. Lassen sich diese Entwicklungen tatsächlich verallgemeinern? Für eine Studie des Departements für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg wurden insgesamt rund 3.300 Mitglieder des Journalistenverbandes «impressum» angeschrieben. Über 1.100 Journalistinnen und Journalisten haben an der Studie teilgenommen, die das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) finanziell unterstützt hat.
Zunehmender ökonomischer Druck
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der ökonomische Druck in den letzten fünf bis zehn Jahren zugenommen hat und die Arbeitsbedingungen prägt. Die Mehrheit der Befragten (53 – 55 Prozent) gibt an, dass die Redaktion deutlich mehr Beiträge erstellen muss und die Zeit für die Produktion einzelner Beiträge stark abgenommen hat. Das fest angestellte Personal wurde in vielen Redaktionen gekürzt. Zugleich sind die Ressourcen für Reisen, technische Ausstattung und andere Spesen zurückgegangen.
Ein großer Teil der Journalistinnen und Journalisten (52%) spürt in starker Weise, dass die Finanzierung des eigenen Mediums unsicherer geworden ist. Gleichzeitig hat auch die Konkurrenz mit anderen Medien deutlich zugenommen. Im Zuge dessen ist die Bedeutung von Klickraten gestiegen. So prägen die Onlinenutzungszahlen in vielen Redaktionen den Entscheid mit, welche Themen ausgewählt und wie sie dargestellt werden.
Beim Vergleich verschiedener Medientypen zeigt sich, dass insbesondere die Tageszeitungen unter einem steigenden ökonomischen Druck leiden (Abbildung 1). Redaktionen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) haben im Vergleich zwar die geringsten Personalkürzungen und sehen ihre Finanzierung kaum gefährdet, spüren jedoch am stärksten eine zunehmende Konkurrenz mit anderen Medien und einen deutlich ansteigenden Produktions- und Zeitdruck. Wochenzeitungen und Zeitschriften sind von diesen Entwicklungen ebenfalls stark betroffen. Beim privaten Rundfunk wird der ökonomische Druck dagegen am geringsten erlebt. Zwischen den verschiedenen Sprachräumen zeigen sich in diesem Bereich kaum Unterschiede. Auffallend ist allerdings, dass Journalistinnen und Journalisten aus deutschsprachigen Redaktionen einen deutlich höheren Produktionsdruck spüren als ihre Kollegen aus der Romandie und dem Tessin.
Unzufriedenheit mit eigenen Arbeitsbedingungen
Mit Blick auf die individuellen Arbeitsbedingungen zeigt sich, dass für grundlegende Aufgaben im redaktionellen Alltag gegenwärtig nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht. Dies gilt für das Verfassen eigener Beiträge und insbesondere für vertiefende Recherchen vor Ort sowie für die Pflege eines eigenen Netzwerks von Informanten. Für die Überprüfung von Informationen und Quellen wird die meiste Zeit aufgewendet (Abbildung 2).
Auch für die inhaltliche Überarbeitung von vorliegendem Material, wie Agenturmeldungen und Medienmitteilungen, bleibt nur begrenzt Zeit. Angesichts des hohen Anteils von externem Material innerhalb der Berichterstattung lässt sich vermuten, dass dieses in Teilen nicht ausreichend überprüft und ergänzt werden kann. Entsprechend sind die befragten Journalistinnen und Journalisten mit ihren Zeitressourcen eher wenig zufrieden. Viele von ihnen können ihre täglich anfallenden Aufgaben kaum in zufriedenstellender Weise erfüllen. Sie stehen folglich unter starkem Zeitdruck und verfügen nach eigenem Verständnis nicht über die notwendigen Ressourcen, um ihre Arbeit gut zu machen.
Die Arbeitsbedingungen sind tendenziell über alle Medientypen hinweg ähnlich. Beim privaten Rundfunk zeigen sich jedoch vergleichsweise schlechtere Arbeitsbedingungen. Auch schneidet die Tagespresse in einigen Bereichen, wie etwa der Zufriedenheit mit den eigenen Zeitressourcen, schlechter ab. Diese Ergebnisse korrespondieren mit jenen einer kürzlich veröffentlichten Befragung deutscher Zeitungsjournalisten und -journalistinnen.
Leichte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
Ist diese Situation auf Entwicklungen in den letzten fünf Jahren zurückführen? Unsere Ergebnisse sprechen nicht für starke Veränderungen. Ein jeweils etwa gleich großer Anteil der Befragten berichtet, dass die Zeit für bestimmte Aufgaben weniger geworden, gleich geblieben oder zugenommen hat. Insofern ist es innerhalb der Redaktionen vielfach zu Umverteilungen von Aufgaben und Ressourcen gekommen. Leichte Verschlechterungen zeigen sich jedoch bei vertiefenden Recherchen vor Ort, bei der Netzwerkpflege und bei der Zufriedenheit mit den eigenen Zeitressourcen.
Dies trifft wiederum insbesondere auf die Tagespresse zu. Hier hat die Zeit für das Schreiben eigener Beitrage überdurchschnittlich stark abgenommen. Auch sind bei den Zeitungsjournalisten und -journalistinnen die Möglichkeiten zur Netzwerkpflege und die Zufriedenheit mit den Zeitressourcen stärker zurückgegangen. Bedenklich sind aber zum Teil auch die Befunde zum öffentlichen Rundfunk: Ein überdurchschnittlich hoher Anteil der hier arbeitenden Redakteurinnen und Redakteure gibt an, dass die Zeit für die Informationsprüfung und für Recherchen vor Ort abgenommen hat. Im Vergleich der Sprachräume zeigt sich, dass die Westschweiz etwas stärker von einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen betroffen ist als die Deutschschweiz.
Gefährdete Berichterstattungsfreiheit?
In Zeiten des Sparens stellt sich verschärft die Frage, inwiefern sich nicht nur die Arbeitsbedingungen verschlechtern, sondern auch die Berichterstattungsfreiheit eingeschränkt wird. Die internationale Forschungsliteratur geht davon aus, dass die kritische und unabhängige Berichterstattung über Werbekunden, das eigene Unternehmen sowie Mediensystem und Medienpolitik eingeschränkt ist. Die Studie der Universität Freiburg machte sich daran, diese Zusammenhänge für die Schweizer Medien zu prüfen.
Verschwimmende Grenzen von Journalismus und Werbung
Zuerst zu den Werbekunden: In der Schweiz wird derzeit wieder vermehrt diskutiert, inwieweit sich die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung aufweichen. Im Bereich der Schweizer Gratiszeitungen gibt es dafür anschauliche Beispiele. Aber lassen sich diese Entwicklungen für die gesamte Medienbranche verallgemeinern? Wir wollten wissen, inwieweit Redaktionen Werbekunden möglichst positiv darstellen und ob sie auf deren Druck reagieren.
Es zeigt sich, dass eher selten Nachrichten veröffentlicht werden, die für das Image der Werbekunden schädlich sein könnten. Dieses Ergebnis weist bereits darauf hin, dass in den Schweizer Medien auf die Interessen von Werbekunden Rücksicht genommen wird. Werden negative Meldungen über einen Werbekunden aber in anderen Medien verbreitet, so werden solche Nachrichten selten unterdrückt. Auch auf den direkten Druck von Werbekunden wird nur in begrenzter Weise reagiert (Abbildung 3).
Zwischen den verschiedenen Medientypen gibt es allerdings starke Unterschiede. Bei den Wochenzeitungen und Zeitschriften ist der Einfluss der Werbekunden am stärksten. Zudem hat der direkte Druck von Werbekunden die stärksten Auswirkungen auf die Tages- und Wochenpresse. Angesichts der finanziellen Lage der Presse kann diese offenkundig am wenigsten den Entzug von Werbeaufträgen in Kauf nehmen.
Aus den Daten lässt sich kein konsistentes Bild dazu ableiten, ob der Einfluss von Werbekunden im Zuge der Medienkrise zugenommen hat. Allerdings lässt sich bei der Wochenpresse und den Tageszeitungen feststellen, dass Anzeigenkunden zunehmend möglichst positiv dargestellt werden und vermehrt auf den direkten Druck von Werbekunden eingegangen wird. Zudem wächst der Einfluss von Werbekunden in der Deutschschweiz und im Tessin stärker als in der Romandie.
Möglichst positive Darstellung des eigenen Medienunternehmens ist gängige Praxis
Angesichts der zunehmenden Medienkonzentration im Schweizer Medienmarkt ist genauer zu betrachten, inwieweit Redaktionen kritisch und unabhängig über das eigene Medienunternehmen berichten können. Die Ergebnisse sind hier sehr deutlich. Die Befragten geben zu einem überwiegenden Teil an, dass sie gar nicht oder kaum Nachrichten bringen, die das eigene Medienunternehmen kritisch beleuchten (Abbildung 4).
Auch berichten Redaktionen in eher geringem Masse über Vorgänge im Medienunternehmen, die bereits in der öffentlichen Kritik stehen. Wenn sie diese Ereignisse jedoch in ihrer Berichterstattung aufgreifen, so können die jeweiligen Journalistinnen und Journalisten kaum über Inhalt und Umfang des Berichtes frei bestimmen. Darüber hinaus stimmen die Befragten in starkem Maße der Aussage zu, dass es für ihre Redaktion selbstverständlich ist, über positive Meldungen des eigenen Medienunternehmens zu berichten.
Es zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Medientypen. Die Möglichkeiten, öffentliche Kritik am Medienunternehmen aufzugreifen, sind bei der Tagespresse und beim öffentlichen wie privaten Rundfunk höher als bei den Wochenzeitungen und Zeitschriften.
Etwa drei Viertel aller Befragten stellen fest, dass sich dieser Einfluss in den letzten fünf Jahren nicht gewandelt hat. Eine bemerkenswerte Veränderung zeigt sich aber mit Blick auf positive Meldungen über das eigene Medienunternehmen. Rund 27 Prozent der Befragten geben an, dass es selbstverständlicher geworden ist, solche Nachrichten zu veröffentlichen. Bei der Tagespresse und dem öffentlichen Rundfunk ist diese Entwicklung noch stärker ausgeprägt. Die ohnehin stark von PR-Interessen geprägte Berichterstattung über das eigene Medienhaus nimmt also weiter zu.
Eingeschränkte Berichterstattung über Medienpolitik
Auch die Medienpolitik ist für Journalistinnen und Journalisten per se ein sensibles Thema, da sie die eigene Branche betrifft und Interessen des eigenen Medienunternehmens berühren kann. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Schweizer Medien insgesamt in eher geringfügigem Ausmaß über medienpolitische Nachrichten berichten. Wenn dies geschieht, gilt es in einigen Redaktionen als selbstverständlich, «der Position des Medienunternehmens zu entsprechen». Rund 27% aller Befragten stimmen dieser Aussage stark bis sehr stark zu.
Engt man den Themenkreis auf jene medienpolitischen Entwicklungen und Entscheidungen ein, «die für das eigene Medienunternehmen folgenreich sind», so zeigen sich auch hier tendenziell Einschränkungen. Einige Redaktionen greifen diese folgenreichen Entwicklungen zwar auf, jedoch können die Autoren und Autorinnen dann nur in einigen Fällen «den Inhalt frei bestimmen» oder das Thema in «gewünschter Länge behandeln». Medienpolitischen Themen wird also insgesamt wenig Raum gegeben. Zugleich wird die Berichterstattung von den Unternehmensinteressen beeinflusst (Abbildung 5).
Auffällig ist, dass es bezüglich der Übernahme der medienpolitischen Position des Medienunternehmens keine nennenswerten Unterschiede zwischen den verschiedenen Medientypen gibt. Insofern hängt dieser Einfluss offenkundig nicht von der Finanzierungsform und den organisatorischen Eigenheiten ab. Unterschiede zeigen sich dagegen insbesondere bei der Frage, ob überhaupt über medienpolitische Themen berichtet wird. Wochenzeitungen und Zeitschriften greifen medienpolitische Themen am seltensten auf und erlauben den Redakteuren und Redakteurinnen dabei auch weniger Freiheit in der Gestaltung des Artikels.
Über zwei Drittel der Befragten geben an, dass sich diesbezüglich in den letzten fünf Jahren keine Veränderungen eingestellt haben. Daneben sagt jeder vierte Teilnehmer der Befragung, dass die Thematisierung medienpolitischer Nachrichten in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. Etwa gleich viele Befragte geben an, dass sich die medienpolitische Berichterstattung nun verstärkt an der Position des eigenen Medienunternehmens ausrichten muss. Auch sind Journalistinnen und Journalisten zunehmend in der Gestaltung ihrer Berichte eingeschränkt. Die medienpolitische Berichterstattung nimmt also zu, ist aber zugleich auch stärker von den Unternehmensinteressen beeinflusst.
Ökonomischer Druck erzeugt Handlungsbedarf
Die Resultate unserer Studie zeigen deutlich, dass Schweizer Journalistinnen und Journalisten mehrheitlich eine deutliche Verschärfung des ökonomischen Drucks wahrnehmen. Für grundlegende journalistische Aufgaben bleibt im Alltag oft zu wenig Zeit – und dieses Problem hat sich in den letzten fünf Jahren zwar nicht gravierend, aber tendenziell verstärkt. Die Berichterstattung über Werbekunden ist eingeschränkt. Noch stärkere Einschränkungen zeigen sich in der Berichterstattung über das eigene Medienunternehmen und über medienpolitische Themen.
Der Journalismus lebt gerade in Zeiten zunehmender Medienkonkurrenz von seiner Glaubwürdigkeit und Qualität. Diese Standards sind durch ökonomische Einflüsse und Interessen gefährdet. EJO veröffentlicht daher in der nächsten Woche einen Beitrag über die Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten, die sich angesichts dieser Studienergebnisse ergeben.
Erstveröffentlichung: Medienwoche online vom 28. Januar 2015
Literatur:
Manuel Puppis, Philomen Schönhagen, Silke Fürst, Brigitte Hofstetter & Mike Meißner (2014) Arbeitsbedingungen und Berichterstattungsfreiheit in journalistischen Organisationen. Studie finanziert durch das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM).
Bildquelle: Jose Maria Cuellar/flickr.com
Schlagwörter:Journalistische Unabhänigikeit, Medienkritik, Silke Fürst, Werbekunden