Stephan Russ-Mohl und andere Medienwissenschaftler, die Kritik an der Corona-Berichterstattung geübt haben, kommen in einem Kommentar des Ex-FAZ-Herausgebers Werner D’Inka nicht gut weg. Seine Kritik zieht neue Kritik auf sich.
„Medienkritik tut not und gut, aber gerade wer eine wache wissenschaftliche Begleitung des Journalismus für berechtigt und notwendig hält, darf erwarten, dass sie sich auf den Gegenstand einlässt, den zu kritisieren sie vorgibt”, schreibt der ehemalige Herausgeber in einem Kommentar in der FAZ.
„Warum erfahren wir so viel über ganz wenige Länder (Hotspots: China, Italien, Schweiz, Spanien, USA) und so wenig über Länder, die bisher bei der Eindämmung von Corona „erfolgreicher“ waren als wir?“ fragte Russ-Mohl in seinem Dossier und D’Inka wundert sich, ob Russ-Mohl nicht „die beeindruckende Ausführlichkeit“ kenne, „mit der Zeitungen und Sender längst über andere Weltregionen berichten – einmal beiseitegelassen, dass dem deutschen Publikum bestimmte Länder geographisch und mental näher sind als andere, wovon Redaktionen nicht ganz absehen können?“
Die Journalismusforscher Klaus Meier und Vinzenz Wyss schrieben am 9. April auf meedia.de, dass die folgenden Fragen in der Corona-Berichterstattung gestellt werden müssten: „Wann kehren wir wieder zur Normalität zurück und wovon machen wir das abhängig? Nur von den Fallzahlen? Auch vom Ausmaß der Nebenwirkungen sozialer Isolation? Oder nur von der Zahl der zur Verfügung stehenden Masken, wie es in den letzten Tagen den Anschein hatte? Wie könnte ein schrittweiser Exit aussehen?“
Und D’Inka kommentiert: „Stimmt, aber liest er denn keine Zeitung? Hier werden sie nämlich seit längerem gestellt.“ „Nirgends“ werde „die abwägende Debatte darüber, was gerade noch hinzunehmen sei, und auch das nicht auf Dauer, seriöser geführt als in ‚den‘ Medien“, schreibt D’Inka und fragt: „Lesen und sehen die Medienkritiker das nicht?“
Die Debatte wird nun in den sozialen Medien fortgeführt, wo sich Nutzer gegen die Pauschalisierungen von D’Inka richten:
Sich gegen Pauschalität verwahren und dann pauschalierend von „den“ Medienkritikern zu sprechen – dabei Zwischentöne (Primärtexte überhaupt gelesen?) und Gegenbeispiele auszublenden – ist das eine Art glossierender Meta-Witz?https://t.co/F6WaTSMvT4
— Gerret von Nordheim (@gvnordheim) April 19, 2020
Meier/Wyss bezeichnen das als Prozess, und einige Redaktionen seien bei der Behebung der Defizite bereits weiter als andere. Nix da mit einem pauschalen “die Medien” (d’Inka) die ohne Distanz/Kritik mit Zahlen umgingen.
— Markus Pössel (@mpoessel) April 18, 2020
Das ist ein bedenkenswerter Text, ja, aber er hat auch selbst etwas von Pauschalschelte. Klaus Meier und Vinzenz Wyss sprechen z.B. von den Anfängen der Corona-Berichterstattung bis Mitte März. Die Beispiele, die gegen ihre Beobachtungen angeführt werden, sind von Mitte April.
— Klaus Raab (@klaus_raab) April 19, 2020
Update vom 23. April 2020:
Stephan Russ-Mohl hat auf kress.de auf die Kritik des Ex-FAZ-Herausgebers Werner D’Inka geantwortet. Er betont, dass D’Inka und die FAZ ihren Leserinnen und Lesern „die wichtigsten Informationen aus dem Dossier vorenthalten“ hätten.
D’Inkas Kommentar beginne stattdessen „mit der Unterstellung, wir Medienforscher würden offenbar keine Zeitung lesen und pauschal ‘Medienschelte’ betreiben“. Russ-Mohl betont, dass das Dossier „vielstimmig differenzierte Wortmeldungen“ enthalte. Zudem habe D’Inka mit „allerjüngsten Beispielen aus der Berichterstattung“ zu belegen versucht, dass der Journalismus sehr wohl die „angebliche Alternativlosigkeit des Shutdown vom Kopf auf die Füße“ stelle. Die Kritik der Medienforscher habe aber auf die Berichterstattung „unmittelbar vor dem Shutdown“ abgezielt.
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