Ein neues Werkzeug zur Wirkungsmessung von investigativem Journalismus

30. Oktober 2023 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Internationales, Qualität & Ethik • von

Investigativer Journalismus ist die Basis für viele bahnbrechende Enthüllungen – ein neues Werkzeug soll helfen, seine Wirkung mess- und sichtbar zu machen.

Übersetzt von Judith Odenthal

Medien-Outlets sollen demnächst Hilfe dabei erhalten, die Auswirkungen ihrer investigativen Projekte zu messen.

Hin und wieder erregt eine Schlagzeile mit atemberaubenden Enthüllungen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Der Watergate-Skandal, das Aufdecken des Hackings von Handys bei News of the World oder die Panama Papers sind nur einige Beispiele für Geschichten, die den Status quo in Frage stellten. Jeder dieser Berichte entstand auf demselben Fundament: monatelangem, akribischem investigativem Journalismus. Und doch ist diese Praxis in der heutigen Clickbait-Ökonomie, wo Nachrichtenagenturen mit schwindenden Ressourcen zu kämpfen haben, eine aussterbende Kunst.

Deswegen ist es besonders jetzt wichtig, die Macht und Bedeutung des investigativen Journalismus zu demonstrieren, indem man seinen Einfluss misst. Medienorganisationen sollten über Werkzeuge und Instrumente verfügen, um genau dies zu tun. Es könnte ihnen helfen, schon vor dem Beginn einer monatelangen Recherche festzustellen, ob es ein Publikum für einen ausführlichen Bericht gibt, oder dabei, Geldgebern die Wirkung eines investigativen Berichts zu zeigen, etwa in Form eines politischen Wandels.

Da sich solche Techniken zur Wirkungsmessung ständig weiterentwickeln, entwickelten wir im Team eine Taxonomie – ein Instrument, das unser Wissen zusammenfasst und eine systematische Methode zur Wirkungsmessung vorschlägt.

In unsere aktuelle Arbeit „Understanding Journalism Impact: A Multi-dimensional Taxonomy for Professional, Organisation, and Societal Change“ haben wir Dutzende verschiedene Indikatoren aufgenommen. So können Organisationen spezifische Maßnahmen auswählen, um zu versuchen, Wirkungen sichtbar zu machen und erhalten die Anleitung und Instrumente, die sie dazu benötigen.

Wir stützen unsere Untersuchung auf die Erkenntnisse des Buches „The Journalism of Outrage: Investigative Reporting and Agenda Building in America“, die nahelegen, dass sich Wirkung in drei Phasen über den Lauf der Zeit entfaltet: individuell, beratend und inhaltlich. Wir bauten außerdem stark auf Phil Napolis umfassenden Bericht aus dem Jahr 2014 über die Messung von Wirkungen auf. Unsere Taxonomie umfasst sowohl die Auswirkungen, die kollaborative investigative Projekte im Journalismus auf den Einzelnen haben können, als auch diejenigen, die die Berichterstattung auf Netzwerke von Journalisten und die Gesellschaft hat.

Wir haben interne Messgrößen erfasst, etwa die Auswirkungen von investigativer Zusammenarbeit im Journalismus auf die Überzeugungen und Einstellungen von Journalisten, sowie die Auswirkungen dieser Arbeit auf die Politik, das Verhalten von Medienorganisationen, und auf die Institutionen und Kultur der Journalistengemeinschaft. Unsere Checkliste der Auswirkungen umfasst aber auch die Effekte, die eine Berichterstattung wie die Panama Papers auf die Überzeugungen und Einstellungen von Bürgern, das Verhalten und die Richtlinien von Regierungen und Organisationen, und auf gesellschaftliche Institutionen hat.

Gezielte Beurteilungen

Mit Dutzenden von Metriken und einer Tabelle, die der schon erwähnten dreiteiligen Struktur folgt, wollen wir es für Organisationen, die versuchen, ihre Wirkung zu messen, ermöglichen, die für sie interessanten Fragen auszuwählen. Eine Organisation, die zum Beispiel untersuchen möchte, wie sich Gesetze infolge von investigativer Berichterstattung geändert haben, würde einen Teil unserer Taxonomie verwenden, während ein Redakteur, den der Einfluss auf die beteiligten Reporter interessiert, zum Beispiel das Erlernen neuer Fähigkeiten, eine andere Funktion betrachten könnte.

Obwohl eine Kosten-Nutzen-Analyse des investigativen Journalismus so gut wie unmöglich ist, gelang es James T. Hamilton Schätzungen für einige in seinem bahnbrechenden Buch „Democracy’s Detectives“ beschriebenen Fallstudien vorzunehmen. Aufbauend auf seinen Ansätzen bezogen wir Messgrößen mit ein, die sich in einen wirtschaftlichen Nutzen ummünzen lassen: Dazu zählt etwa ein Journalist, der nach der Beteiligung an einem großen investigativen Projekt einen neuen Job bekommt.

Abhängig von dem, was gesucht ist, gibt es natürlich viele Möglichkeiten, Wirkung zu messen. In einigen Fällen können Umfragen hilfreich sein, in anderen kann es aufschlussreicher sein, Daten aus dem Internet zu schürfen. Wieder andere Fälle können es verlangen, Fokusgruppen durchzuführen oder zu analysieren, welche Gesetze verabschiedet oder welche politischen Maßnahmen nach der Veröffentlichung eines großen investigativen Projekts ergriffen wurden.

Im Rahmen unserer Forschung haben wir frühere Umfragen des Internationalen Netzwerkes investigativer Journalisten unter Reportern ausgewertet und eine neue Umfrage mit Fragen zu unserer Taxonomie erstellt. Die nächste Phase unserer Forschung wird darin bestehen, mit verschiedenen Nachrichtenorganisationen zusammenzuarbeiten, um ihnen bei der Analyse der Auswirkungen ihrer investigativen Berichterstattung zu helfen und so zu sehen, ob unsere Taxonomie und Fragenliste in der realen Welt nützlich sind.

Letztendlich war es unser Ziel, eine umfassende und flexible Taxonomie zu erstellen. Kein Messinstrument wird jemals perfekt widerspiegeln, was jede Einrichtung gerne erreichen will. Dennoch fühlen wir uns durch die Fortschritte bei der Messung von Medienwirkung ermutigt und hoffen, dass unsere Taxonomie einen Beitrag zur Zukunft der Forschung auf diesem Gebiet leisten wird.

Über die Autoren der Studie:

Anya Schiffrin ist Direktorin des Fachbereichs Technologie, Medien und Kommunikation an der School of International and Public Affairs (SIPA) der Columbia University. Sie schrieb die Studie zusammen mit ihrem SIPA-Kollegen, dem außerordentlichen Professor André Corrêa d’Almeida, Adelina Yankova, Doktorandin an der Columbia University, Lindsay Green-Barber, Mitbegründerin von Impact Architects, und Dylan W. Groves, Assistenzprofessor am Lafayette College.

Bildquelle: Pixabay/ 02.07.2018 https://pixabay.com/photos/announcement-article-articles-3509489/

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