Unternehmenskultur der Öffentlich-Rechtlichen muss sich ändern

11. Februar 2020 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Stillstand statt Visionen: Die meisten öffentlich-rechtlichen Medien in Europa und Nordamerika hängen an ihrer Organisationsstruktur und Arbeitsweise. Dabei könnten sie, wie eine Studie zeigt, von innovativen High-Tech-Clustern noch viel lernen.

Nur wenige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Europa und Nordamerika experimentieren mit ihrer Organisationsstruktur und Arbeitsweise. Grund dafür sind verschiedene Faktoren: die Verweigerung von Innovation, eine fordistische Art der Massenproduktion, Protektionismus, Mitgliedschaften in nationalen Verbünden (während die Medienlandschaft eher international geprägt ist) und der Glaube daran, die öffentlich-rechtlichen Medien seien unfehlbar und für die Ewigkeit gemacht. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, ist aber dringend notwendig, dass sie schneller und über mehr Kanäle auf die Forderungen eines breit aufgestellten Publikums reagieren. Ohne diese Veränderung werden sie Sichtbarkeit einbüßen müssen, vor allem bei den jungen Gesellschaftsschichten – dem Publikum der Zukunft.

Ziel unseres vierjährigen Forschungsprojekts „Organisational Culture of Public Service Media: People, Values and Processes” war es deshalb, die Unternehmenskultur zehn erfolgreicher High-Tech-Cluster in Europa und Nordamerika zu analysieren und die Werte und Prozesse zu identifizieren, die sich die Öffentlich-Rechtlichen für eine Neuausrichtung zu eigen machen könnten.

Wir haben sechs High-Tech-Regionen in Europa betrachtet: London (Vereinigtes Königreich), Warschau (Polen), Kopenhagen (Dänemark), Brüssel (Belgien), Tallinn (Estland), und Wien (Österreich) sowie vier in Nordamerika: Austin (Texas), Boston/Cambridge (Massachusetts), Detroit (Michigan) und Toronto (Kanada).

Zudem haben wir in diesen Ländern auch jeweils Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen in die Forschung einbezogen.

Wir besuchten Unternehmen und Redaktionen, führten 150 teilstrukturierte Interviews, analysierten unternehmensinterne Publikationen und Erhebungen sowie über 500 beobachtende Fotografien aus der Nachbarschaft. Sechs komplex miteinander verwobene Eigenschaften der Unternehmenskulturen zeichneten sich in den untersuchten High-Tech-Clustern besonders ab – und stehen den Charakteristiken der Öffentlich-Rechtlichen nicht selten stark konträr gegenüber.

1. Zusammenschluss vs. Isolation

High-Tech-Cluster vereinen große, mittelgroße und kleine Unternehmen, die durch Innovationen und Verbesserungen durch Symbiose profitieren. In den zehn Städten, in denen Interaktionen zwischen kreativen und hochtechnologisierten Firmen in Zusammenhang mit neuen Medien beobachtet wurden, spielen zum Beispiel Podcasts und Social Media eine bedeutende Rolle. Durch sie wollen Unternehmen, unterstützt von datenbasierten Technologien, die Distribution von Inhalten an ihr Publikum verbessern. Öffentlich-private Kooperationen waren in allen Städten deutlich sichtbar. Sie fungieren als Katalysatoren mit dem Effekt der Beschleunigung interner Prozesse. Von den dadurch entstehenden Symbiosen profitieren auch Universitäten und kommerzielle Unternehmen. Wo sich kleinere Firmen zusammenschließen, zum Beispiel in Co-Working-Einheiten, geht der messbare Erfolg häufig mit der Unternehmensdichte pro Arbeitsraum einher – ein Beweis für die große Bedeutung von Clusterbildungen.

Die Studie fand heraus, dass die Öffentlich-Rechtlichen eher mit Kulturinstitutionen als mit High-Tech-Unternehmen zusammenarbeiten. Außerdem basieren diese Kooperationen häufig auf dem Konzept der Auftragsvergabe. Kreative Zusammenarbeit ist eher die Ausnahme. Damit unterscheiden sich die Öffentlich-Rechtlichen stark von Firmen in High-Tech-Clustern, deren Kooperationsstrukturen weit über die bloße Aufteilung von Aufträgen hinausgehen. Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien haben, so ein Ergebnis der Studie, ein niedrigeres Bewusstsein für die Dringlichkeit eines Wandels innerhalb ihrer Strukturen. Durch diese Art der Anspruchshaltung drohen sich die Öffentlich-Rechtlichen zu isolieren.

2. Unternehmertum vs. Inseln der Innovation

Aus der Studie geht hervor, dass Firmen in High-Tech-Clustern sehr unternehmensfreudig sind. Diese Eigenschaft ist gekuppelt an eine hohe Risikotoleranz und die Ansicht, dass Fehler ein wichtiger Teil jedes Entwicklungsprozesses sind. Risiken werden durch die Fokussierung auf kleine Projekte oder Teilprojekte größerer Unternehmungen sowie durch stetige Tests und Wiederholungen verringert. Dadurch passen sich High-Tech-Firmen besser aktuellen ökonomischen Herausforderungen an als die konservativ organisierten öffentlich-rechtlichen Medien. Erfolgreiche High-Tech-Betriebe (vor allem kleinere Firmen) charakterisieren sich durch diese Form des Unternehmertums. Die meisten der untersuchten Firmen orientieren sich an einer Unternehmensphilosophie, die auf öffentliches Wohl und globale Zielsetzungen, zum Beispiel Gesundheit und den Kampf gegen den Klimawandel, ausgerichtet ist. Diese ethische Einstellung ist stark kompatibel mit der ethischen Ausrichtung der Öffentlich-Rechtlichen.

Sie kennzeichnet jedoch ein weitaus geringeres Level an Unternehmertum. Dort wird beispielsweise in kleineren Abteilungen eher isoliert gearbeitet. Die Interviewten gaben an, das Gefühl zu haben, auf „Inseln der Innovation” zu arbeiten. Vor allem kleine Neuerungsversuche und Tests werden oft aufgrund mangelnden Entwicklungspotenzials und fehlender Ressourcen nicht weiterverfolgt. Wir vermuten jedoch, dass gerade diese Art unternehmerischer Aktivitäten, bei denen ökonomische Risiken zu Gunsten des öffentlichen Wohls eingegangen werden, für die öffentlich-rechtlichen Medien von hoher Bedeutung sein kann. Dieses Konzept richtet sich gegen die Kommerzialisierung, den Monetarismus und somit die potenzielle Ausbeutung des Publikums.

3. Bewegung vs. Stillstand

Durch ihre Netzwerkbildung und dem gegenseitigen Vertrauen zwischen Kooperationspartnern haben High-Tech-Unternehmen häufig besonders flexible Unternehmensstrukturen. Oft orientieren sie sich an Prozessen, die einen stetigen Wandel bewirken sollen. Entscheidungen werden schnell getroffen, wodurch die Fähigkeit, unmittelbar auf plötzliche technologische, kulturelle und soziale Ereignisse zu reagieren, gestärkt wird.

Die fließbandartigen, starren, stark segregierten Unternehmensstrukturen, die häufig bei den Öffentlich-Rechtlichen vorzufinden sind, verlangsamen hingegen den Entscheidungsprozess deutlich. Diese Eigenschaft ist ein Überbleibsel der militären Rahmenbedingungen, aus denen der Rundfunk in den 1920er Jahren hervorgegangen ist. Vielen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten steht ein Generaldirektor vor. Die Abteilungen Produktion und Technik sind oft voneinander getrennt, was bei den High-Tech-Firmen hingegen nicht der Fall ist.

4. Fortgeschrittene vs. entstehende soziale Arbeitsumgebung

Viel spricht dafür, dass bei der Gestaltung der Arbeitsumgebung in High-Tech-Firmen Erkenntnisse der Sozialforschung herangezogen werden, um zu gewährleisten, dass ein optimaler Austausch zwischen den Mitarbeitern stattfinden kann. Denn bevor Projekte begonnen werden, muss Vertrauen aufgebaut werden. Das kann in Cafés, Bars, Projekträumen, an Info-Ständen, in Rooftop-Gärten, Relax-Bereichen und Leseecken geschehen. Solche pro-sozialen Umfelder lassen sich häufig in High-Tech-Unternehmen finden. Die Rituale, die beispielsweise mit dem gemeinsamen Essen und Trinken verbunden sind, können die Beziehungen zwischen Mitarbeitern stärken. Infotafeln, die zentral in diesen Bereichen angebracht sind, tragen auch dazu bei, die Binnenstrukturen eines Unternehmens zu stärken und Mitarbeiter verschiedener Bereiche zusammenzubringen.

Einige der untersuchten öffentlich-rechtlichen Medienanstalten haben dieses Konzept des pro-sozialen Arbeitsumfeldes teilweise übernommen. Dennoch sind diese Strukturen laut der Analyse noch nicht tiefgreifend genug ausgebaut, um die Gemeinschaft und die Entwicklung neuer Projekte zu fördern.

5. Lerngemeinschaften vs. starre Rahmenstrukturen

Kooperationen zwischen Unternehmen waren in der Studie die häufigste Form des Zusammenschlusses von Firmen in High-Tech-Clustern. Dieses Konzept hilft vor allem kleinen Betrieben, in ihren Projekten aus einem großen Pool von Ideen und Fähigkeiten schöpfen zu können. In jeder Kooperation zwischen Unternehmen sind die Community Manager die kritischsten Mitarbeiter. Es liegt in ihrer Verantwortung, das Netzwerken aufrecht zu erhalten und gemeinsame Events zu planen. Vertrauen wird in Gesprächen, die vor jedem Projekt stattfinden, aufgebaut. Wenn die Unternehmung gut anläuft, erklärt einer der Interviewten, werden das Projektmanagement und die Kommunikation auf Online-Kanäle umgelegt. Das macht es möglich, Projekte über größere geographische Distanzen zu steuern. Sobald aber Probleme auftreten, wird wieder auf die Methode des persönlichen Gesprächs zurückgegriffen.

Bei den Öffentlich-Rechtlichen ist das Pendant zum Community Manager der Redakteur vom Dienst, der sich in der Regeln jedoch weniger auf die sozialen Aspekte der Arbeit konzentriert. In größeren öffentlich-rechtlichen Anstalten gibt es häufig die Kundenmanager, die die Strukturen zwischen Unternehmen und Abnehmern überwachen und steuern.

6. Technologie-orientierte Nachbarschaft vs. zentrale Hauptverwaltung

High-Tech-Cluster finden sich fast ausschließlich in gentrifizierten und restaurierten Stadtregionen. Das hängt mit der Strategie zusammen, sogenannte Ideenräume und kreative Umgebungen schaffen zu wollen. Eine Analyse erfolgreicher „historischer” Cluster wie beispielsweise dem Silicon Valley und der East London Tech City zeigt, dass aufkommende Cluster von bereits vorhandenen Modernisierungsprozessen in ihrem Wachstum profitieren. Das schließt fast immer aktive Zusammenarbeiten mit den Wissenschafts- und Technikfakultäten von Hochschulen ein. Im Silicon Valley spielten beispielsweise sowohl die Nähe zu den Militärbasen und ihren fortgeschrittenen Rundfunk-Einrichtungen als auch die Zusammenarbeit mit Kommunikationsforschern an Universitäten eine Rolle. In der East London Tech City profitierten die High-Tech-Cluster von der schnellen Internetverbindung, die wegen des angrenzenden Finanzdistrikts bereits vorhanden war.

30% der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten operieren in der Nähe von High-Tech-Clustern. Die übrigen Einrichtungen haben ihre Hauptsitze außerhalb der Stadtgrenzen oder in die Nähe kultureller Orte gelegt. In Brüssel beispielsweise will die flämische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt VRT ihren Sitz in die Nähe kreativer Unternehmen verlegen. Damit folgt man dem Modell der BBC, Unternehmensbereiche in der Nähe von Universitäten, privaten Medienunternehmen und kulturellen Einrichtungen anzusiedeln wie in der MediaCityUK vor den Toren Manchesters.

 

Das Projekt wurde vom Nationalen Wissenschaftszentrum in Polen (Narodowe Centrum Nauki, NCN) finanziert und von der Universität Warschau und der  London South Bank University unterstützt.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Roman Winkelhahn

 

Zum Thema auf EJO: Ein Ruf nach grundlegenden Veränderungen

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