Wie NewsGuard in Europa ankommt

7. Juni 2019 • Digitales, Internationales, Qualität & Ethik • von

Das US-amerikanische Medien-Start-up NewsGuard, das 2018 mit dem ehrgeizigen Ziel gegründet wurde, den Internetnutzern eine zuverlässige Orientierungshilfe zu bieten, um die Vertrauenswürdigkeit von Nachrichten-Webseiten einzuschätzen, ist nach Europa expandiert. Die Reaktionen sind zweigeteilt. 

Die Browsererweiterung, die Nutzern anzeigt, wie glaubwürdig eine Nachrichtenwebseite ist, ist seit April für Großbritannien und seit Mai für Italien, Deutschland und Frankreich verfügbar. Das deutsche EJO hatte bereits über den Start in Deutschland berichtet. EJO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter haben nun unter die Lupe genommen, wie NewsGuard in den vier Ländern wahrgenommen wird.

Die NewsGuard-Analysten bewerten die Webseiten anhand von neun Qualitätskriterien für Glaubwürdigkeit, vier für Transparenz. Unter anderem prüft es, ob die Nachrichtenseiten regelmäßig Falschinformationen publizieren, ob und wie diese korrigiert werden, ob verantwortungsvoll recherchiert wird, ob Nachricht und Meinung klar voneinander getrennt werden, ob die Eigentümerstruktur des Mediums offengelegt wird, und ob transparent gemacht wird, wer die redaktionell Verantwortlichen und die Journalisten sind. Die Kriterien werden unterschiedlich gewichtet, so gibt es für die Erfüllung der Glaubwürdigkeitskriterien mehr Punkte als für Transparenz. Insgesamt ergeben die Punkte eine Summe von 100. Eine Webseite, die weniger als 60 Punkte erzielt, bekommt ein rotes Label.

Die von NewsGuard begutachteten Webseiten können auf die Bewertungen reagieren und Verbesserungen vornehmen, um dann eine bessere Beurteilung zu erreichen. „Wir sind Journalisten, wir rufen immer Leute zur Stellungnahme auf”, sagte Co-CEO Steve Brill gegenüber EJO.

Zwischen 20 und 25 Prozent der bewerteten Webseiten hätten zu Anfang ein rotes Label bekommen, so Brill, aber viele davon – darunter auch die britische Mail Online – seien auf grün umgestellt worden, nachdem das Medienunternehmen sich dazu bereit erklärt hatte, mit NewsGuard in einen Dialog über ihre Bewertung zu treten und Verbesserungen vorzunehmen.

„Etwa ein Viertel der von uns bewerteten Websites hat eine oder mehrere ihrer Praktiken geändert, nachdem sie mit unseren Analysten gesprochen haben, um ihre journalistische Praxis zu verbessern, womit wir natürlich sehr zufrieden sind”, sagte Brills CEO-Kollege Gordon Crovitz gegenüber EJO. Die Aktualisierungen der Bewertungen werden regelmäßig auf der Website von NewsGuard veröffentlicht.

Vorbehalte gegenüber NewsGuard

Websites, die nach wie vor ein rotes Label haben, haben ihren Unmut durch einige diskreditierende Bemerkungen geäußert.

So hat die rechtsextreme Webseite Breitbart News – die derzeit vier der Qualitätskriterien nicht erfüllt – NewsGuard als „das neueste Bestreben der etablierten Medien, alternative Medienseiten auf die schwarze Liste zu setzen” bezeichnet.

Auf RT (ehemals Russia Today) – dessen englischsprachige Website derzeit fünf Kriterien und dessen deutschsprachige Website derzeit sechs Kriterien nicht erfüllt – wurde NewsGuard als „Zensur-Plug-In“ und „Orwellsche Browsererweiterung“ bezeichnet.

Aber auch Medien, die im Bewertungsprozess von NewsGuard gar nicht schlecht abgeschnitten haben, haben Vorbehalte geäußert.

In einem Kommentar des Online-Magazins Slate, das mit der Erfüllung aller neun Kriterien vorbildlich abschnitt, wurde ein Wachstum der sogenannten „Trust Industry“ kritisiert. Slates Technologiespezialist Will Oremus betonte, dass es eine leidige Frage sei, wer über die Glaubwürdigkeit einer Quelle entscheiden sollte, da „selbst die Schiedsrichter mit den besten Absichten ihren eigenen Vorurteilen und äußeren Druck ausgesetzt“ seien.

Die französische Libération, die von NewsGuard als „generell glaubwürdig und transparent“ bewertet wurde, äußerte auch einige Vorbehalte gegenüber den engen Verbindungen des Start-ups zur Werbebranche und hob hervor, dass einer der Hauptinvestoren der französische Werbekonzern Publicis war.

Libération zitierte jedoch auch Chine Labbé, leitende Redakteurin für NewsGuard in Frankreich, mit den Worten: „Wir beurteilen nicht, ob eine Webseite rechts oder links oder proeuropäisch ist oder nicht. Es ist uns egal. Aber wenn sie für eine bestimmte Seite Partei ergreift, muss das für den Leser ersichtlich werden. Das Wichtigste ist Transparenz.”

Apolitischer Ansatz

Richard Sambrook, Direktor des Centre for Journalism an der Cardiff University und Berater von NewsGuard in Großbritannien, betonte ebenfalls den apolitischen Charakter des Projekts.

„Für die gelegentlichen Behauptungen, dass sich NewsGuard politisch einmische oder Sachverhalte verzerre, habe ich keinerlei Beweise gefunden. Ich habe volles Vertrauen in die Unabhängigkeit und Stabilität des Bewertungsansatzes”, sagte Sambrook gegenüber EJO.

Angelo Paura, Mitglied des italienischen NewsGuard-Teams, sagte gegenüber EJO, dass solch ein Angebot wie NewsGuard, das helfe, sich durch ein Meer von verwirrenden Informationsquellen zu navigieren, auf dem italienischen Medienmarkt dringend benötigt werde.

„NewsGuard ist ein unverzichtbares Instrument zur Bekämpfung der zahlreichen Fehlinformationen in Italien. Das Land ist ein großes Ziel für russische Propaganda und ganz generell für schädliche Akteure, die mit dem Ziel, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu schwächen, Wut und Desinformation verbreiten wollen, “, sagte er. „Wir sind kein Filter, wir sind ein Werkzeug, das dem Leser den Kontext zur Verfügung stellt, den er braucht, um zu verstehen, was die Quellen ausmacht, aus denen seine Nachrichten stammen.

Betonung journalistischer Grundprinzipien

Paura betonte ebenso wie Brill den journalistischen Ansatz von NewsGuard und den Vorteil, den dieser gegenüber dem Einsatz von Algorithmen biete. „Wir gehen mit menschlicher Intelligenz ein Problem an, das die künstliche Intelligenz des Silicon Valley nicht gelöst hat: die Plage von Online-Desinformationen”, sagte er gegenüber EJO.

Der Rückgriff auf die Grundprinzipien des Journalismus sei eine wesentliche Stärke von NewsGuard, betonte auch Matteo Scanni, Direktor des Journalismusprogramms an der Mailänder Università Cattolica: „Dienste wie NewsGuard, die auf Formen der kollektiven Intelligenz basieren, können einen wesentlichen Beitrag zu einer Debatte leisten, die Einsatz und ständige Wachsamkeit erfordert. Einer der interessantesten Aspekte von NewsGuard ist das Filtersystem, für das klassische journalistische Prinzipien zum Einsatz kommen: Redaktionssitzungen, in denen besprochen wird, welche Nachrichtenseiten bewerten werden sollen, eine detaillierte Bewertung ihrer Stärken und Schwächen und die Anwendung von neun Qualitätskriterien.“

Kein Monopol auf die Wahrheit

Mehrere deutsche Medienexperten haben allerdings einige Zweifel daran geäußert, ob NewsGuard wirklich als Instrument zur Stärkung der Medienkompetenz dienen kann. Philipp Müller, Medienwissenschaftler an der Universität Mannheim, sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, das Projekt basiere offenbar auf der Annahme, dass Nutzer nicht in der Lage seien,  die Vertrauenswürdigkeit von News-Seiten einzuordnen“, obwohl aktuelle Studien gezeigt hätten, „dass Nutzer bei ihrer Einschätzung von Quellen eigentlich gar nicht so falschliegen“.

Medienwissenschaftlerin Lena Frischlich von der Universität Münster, die sich auf die Verbreitung von Propaganda im Internet spezialisiert hat, teilt seine Ansicht. Frischlich sagte gegenüber EJO, dass es durchaus Beweise dafür gebe, dass „Mediennutzende gar nicht so schlecht darin sind, die Vertrauenswürdigkeit von alternativen und etablierten Nachrichtenseiten einzuschätzen”.

Dennoch glaubt sie, dass NewsGuard mit seinem transparenten Bewertungssystem „relevante Anstöße bieten kann, über Nachrichten, Journalismus und Meinungen im Netz zu diskutieren“, zum Beispiel auch in der Schule. Eigenes Nachdenken können ihrer Ansicht nach solche Kennzeichnungen aber generell nicht ersetzen – und sollten sie auch nicht.

Auch Christoph Neuberger, Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist der Ansicht, dass die Browsererweiterung von NewsGuard dazu beitragen könne, die Kritikfähigkeit der Nutzer zu schärfen. So sagte er gegenüber dem Deutschlandfunk, auch wenn sich Online-Desinformation nicht verhindern ließe, könne „gerade die Transparenz [von Newsguard], das Offenlegen von Kriterien und die Tatsache, dass Fehler korrigiert werden können, den Nutzern helfen, den Umgang mit Nachrichten zu erlernen und zu erkennen, dass niemand im Internet ein Monopol auf die Wahrheit hat”.

Autorin: 

Paula Kennedy, Redakteurin der englischen EJO-Seite, Reuters Institute for the Study of Journalism (RISJ), University of Oxford

Mitarbeit:

Tina Bettels-Schwabbauer, Redakteurin der deutschen EJO-Seite, Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus, Dortmund

Philip di Salvo, Redakteur der italienischen EJO-Seite, Institute of Media and Journalism, Università della Svizzera italiana, Lugano

David Gerber, Redakteur der französischen EJO-Seite, Académie du journalism et des médias (AJM), Université de Neuchâtel

Kornélia R. Kiss, EJO-Stipendiatin im European Journalism Fellowship-Programm der Freien Universität Berlin.

Bildquelle: NewsGuard Screenshots

 

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