Desinformation ist weltweit ein Thema, insbesondere nach der COVID-19-Pandemie. Dennoch sind die Erfahrungen in Mittel- und Osteuropa einzigartig. Eine besondere Mischung aus posttotalitärem Erbe, russischem Einfluss in der Region, dem Aufstieg des Populismus und dem Aufkommen autoritärer Regierungsführer:innen trifft dort auf globale Bewegungen zur Verteidigung der Demokratie. Dies hat zu verschiedenen Arten von Desinformation geführt, auf welche wiederum mit unterschiedlichen rechtlichen Ansätzen zu deren Bekämpfung reagiert wird.
Desinformationen werden in Mittel- und Osteuropa entweder „hausgemacht“ oder von in Russland ansässigen Organisationen (sogenannten „Troll-Fabriken“) verbreitet, häufig in Zusammenarbeit mit lokalen Personen, die dieselbe ideologische Perspektive teilen. Auch der Fokus der Desinformationsproduzenten variiert von Land zu Land. Im überwiegend katholischen Polen steht sie zum Beispiel oft mit Homophobie in Verbindung. Im Vergleich dazu scheint sie in Ungarn, wo es Bedenken wegen der autoritären Ansätze von Ministerpräsident Viktor Orbáns Regierungsführung gibt, eher „hausgemacht“ zu sein.
Einer der wichtigsten Faktoren, die Desinformation begünstigen, ist der Verlust des Vertrauens in etablierte politische und staatlichen Strukturen und Institutionen. Die Ursache für dieses schwindende Vertrauen ist die Verwischung der Grenzen zwischen Wahrheit und Lügen während politischer Kampagnen und die Enttäuschung darüber, dass lang erwartete gesellschaftliche Veränderungen nach dem Sturz der totalitären Regime in der Region nicht eingetreten sind. Diese Faktoren haben zu einem Anstieg von Populismus, gesellschaftlicher Polarisierung und zur Verbreitung von Fehlinformationen und Desinformationen geführt. Dies verschärfte sich während der COVID-19-Pandemie, insbesondere in Bezug auf die Impfungen, und zu Beginn des Krieges in der Ukraine.
Russische Propaganda
Russische Propaganda und Desinformation machen sich in der Region seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 bemerkbar. Es wurden sogar mehrere Online-Medien eingerichtet, die Misstrauen und Unruhe in der Gesellschaft zu schüren versuchen. Letztlich war deren Ziel, Vertrauen in prorussische Inhalte zu schaffen. Hierzu wurde die Unzufriedenheit der Bürger:innen mit der aktuellen Situation aufgegriffen sowie das verbreitete Gefühl, dass vor dem Regimewechsel alles besser und sicherer gewesen sei.
Beispiele für Medien, die fleißig Desinformationen verbreiten, sind die tschechischen Medien und die über Telegram publizierte tschechische Version von Sputnik News. Diese Medien verbreiten seit 2015 Hass gegen Einwanderer und haben wiederholt versucht, vor allem die Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen. Während der COVID-19-Pandemie verbreiteten sie Verschwörungstheorien, wie zum Beispiel die Idee, dass die Coronavirus-Impfung ein tödliches Werkzeug sei, mit dem Bill Gates einen Großteil der Weltbevölkerung auslöschen wolle. Sie haben auch dazu beigetragen, den Boden für die Rechtfertigung und Akzeptanz des Krieges in der Ukraine zu bereiten, indem sie Propaganda veröffentlichen, die Wladimir Putin als Verteidiger der Freiheit darstellte. Ihre Inhalte werden auf Facebook – der einflussreichsten Social-Media-Plattform für Menschen über 40 – weit verbreitet.
Verteidigungsstrategien
Die Reaktionen auf Desinformation sind von Land zu Land unterschiedlich. Baltische Staaten, die in der Vergangenheit Teil der Sowjetunion waren und an der unmittelbaren Grenze zu Russland liegen, sind traditionell besonders auf den Schutz ihrer Medienmärkte bedacht. Lettland ahndet Medien bei parteiischer Berichterstattung mit Strafgeldern oder suspendiert sie, während die Esten versuchen, einen ausgewogeneren (alternativen) Rundfunk in russischer Sprache zu entwickeln. In Litauen ist geplant, ein spezielles Zentrum zur Bekämpfung der Kreml-Propaganda einzurichten.
Ähnliche Mechanismen wurden auch in anderen Ländern etabliert. So wurde beispielsweise in der Tschechischen Republik 2017 das Zentrum für die Bekämpfung von Terrorismus und hybride Bedrohungen gegründet. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat die tschechische Regierung ein dreimonatiges Verbot von Desinformationsmedien verhängt, das kontrovers diskutiert wurde. Die Regierung hat außerdem einen Spezialbeauftragten für Medien und Desinformation eingesetzt, um Gesetze gegen Desinformation zu schaffen – allerdings wurde diese Position nach einem Jahr wieder abgeschafft. Das tschechische Innenministerium versuchte, diese Maßnahmen mit einem Gesetz zu untermauern, das dem Staat die Befugnis geben würde, Medien abzuschalten, die sich der Verbreitung von Desinformation schuldig gemacht haben. Dieser Vorstoß wurde allerdings nach einer öffentlichen Gegenreaktion gestoppt.
Während andere sich auf die Verteidigung gegen die Bedrohung durch russische Trollfabriken fokussierten, versuchte Ungarn, die allgemeine Stimmung gegen Desinformation zur Stärkung des herrschenden Regimes zu nutzen, indem es im März 2020 ein Gesetz zur Eindämmung des Coronavirus verabschiedete. Offiziell richtete sich das Gesetz gegen diejenigen, die vorsätzlich falsche oder verzerrte Informationen verbreiten, welche die Bemühungen zum Schutz der Öffentlichkeit vor dem Virus untergraben könnten. Aber das Gesetz wurde weithin kritisiert, weil es Orbán weitreichende Befugnisse einräumte. Tatsächlich war während des Ausnahmezustands die Verhängung von Freiheitsstrafen zwischen einem und fünf Jahren möglich, wenn jemand irgendetwas verbreitete hatte, das die ungarischen Institutionen als Fake News einstuften. Mehr als 100.000 Ungarn unterzeichneten die .
Unterstützung durch die Europäische Union
Im Allgemeinen unterstützen die EU-Institutionen diese Länder und andere mittel- und osteuropäischen Staaten in ihren Bemühungen, die Demokratie zu verteidigen und Desinformation zu verhindern. Derzeit schaffen sie immer mehr Rechtsvorschriften bezüglich Transparenz und gehen gegen irreführende politische Werbung vor. Als Reaktion auf den hybriden Krieg mit Russland und teilweise auf die Einschränkungen der Medienfreiheit in Ungarn und Polen, hat die Europäische Kommission im September 2022 das . Er muss noch vom Europäischen Parlament und den Regierungen der Mitgliedstaaten bestätigt werden, was schwierig, aber machbar sein wird. In Anbetracht der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten und Befürchtungen, dass die Verabschiedung neuer Gesetze zur Desinformation die Wähler entfremden würde, kann die EU-Mitgliedschaft als praktischer Vorteil betrachtet werden, da die Länder ein neues Gesetz als den Willen der Union verkaufen können.
Dieser Beitrag wurde zunächst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.
Schlagwörter:Desinformation, EU, Osteuropa, Propaganda, Russland, Zentraleuropa