Nepal: Die Corona-Krise und die Medien

24. April 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Einige private nepalesische Medien lassen sich nicht von der Regierung einschüchtern und berichten umfassend über verschiedene Aspekte der Pandemie – und schaffen es sogar, Druck auf die Politik auszuüben.

Nepalesische Medien begannen unmittelbar nach dem Ausbruch von Covid-19 in Wuhan über die Krankheit zu berichten und riefen die Regierung früh auf, sich auf eine Krankheitswelle vorzubereiten. Beispielsweise veröffentlichte The Himalayan Times am 9. Januar einen Beitrag der Agentur Reuters zum tödlichen neuen Virus. Zwei Wochen später bestätigte das Kontrollzentrum für Epidemien und Krankheiten, dass ein aus Wuhan zurückgekehrter Nepalese positiv auf Sars-Cov-2 getestet wurde. Sofort begannen Medien wie Republica, täglich neue Beiträge über die Appelle der WHO zu veröffentlichen, die Nepal dazu aufrief, achtsam zu bleiben und sich auf das schnell ausbreitende Virus vorzubereiten. Die Kathmandu Post schrieb eine Analyse zu den Maßnahmen – die die Regierung im „Schneckentempo“ eingeführt habe.

Der erste Infektionsfall in Nepal wurde bereits am 23. Januar gemeldet, als Wuhan gerade erst unter Quarantäne gestellt worden war. Am 22. April gab es 42 bestätigte Infektionen und noch keine Toten in Nepal. Im Ausland hingegen sind 28 Nepalesen an Covid-19 gestorben.

Bereits bevor der Ausbruch zu einer globalen Pandemie anwuchs, bereitete Nepal vor allem Sorgen, dass gerade erst die Kampagne „Visit Nepal 2020” gestartet war, die mehr als zwei Millionen Touristen ins Land holen sollte. Chinesen hatten jahrelang den Löwenanteil der Touristen in Nepal ausgemacht. Zudem lebten zum Zeitpunkt des Ausbruchs mehr als sieben Millionen Nepalesen im Ausland; die meisten von ihnen als Arbeitsmigranten in Westasien, Indien, Malaysia, Südkorea oder Japan. Kaum eine Familie hat keine Angehörigen im Ausland.

Im Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen belegte Nepal im Jahr 2019 den Platz 147 von 189 gelisteten Staaten. Dieses vergleichsweise schlechte Abschneiden liegt unter anderem an den ernsten Problemen des nepalesischen Gesundheitswesens: Es mangelte dem Land bereits vor der Covid-19-Pandemie an Ärzten, Krankenhausbetten, Intensivpflegeeinheiten, Beatmungsgeräten und Schutzausrüstung.

Langsame Reaktion

Die Regierung schenkte den Aufrufen der Medien und den Warnungen der Experten nicht viel Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Die Tourismus-Kampagne VNY2020 wurde beibehalten. Manche Minister erklärten Nepal sogar zum „Covid-19-freien Land” und behaupteten, die infizierte Person sei genesen und weitere Fälle gebe es nicht. Das Ministerium für Tourismus und zivile Luftfahrt ordnete alle nepalesischen Botschaften und Diplomaten an, diese Nachrichten in ihren Einsatzländern zu verbreiten.

Erst Anfang März begann die Regierung, ihr Handeln zu überdenken. Ausgelöst wurde dieser Sinneswandel durch den starken Druck, den die Medien auf die Politik ausübten, sowie durch die globale Verschärfung der Krise. Die VNY2020-Kampagne wurde gestoppt, Touristen durften den Mount Everest nicht mehr erklimmen und Bürgern von besonders von Covid-19 betroffenen Staaten wurden bei Ankunft in Nepal keine Visa mehr ausgestellt. Am 20. März setzte ein allgemeines Einreiseverbot ein, am 24. März dann der strenge Lockdown. Die Maßnahmen wurden eingeführt, nachdem ein Mädchen, das aus Frankreich anreiste, am 23. März positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde. Zu diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus im benachbarten Indien, mit dem Nepal eine 1690 Kilometer lange Grenze teilt, bereits stark aus. Die Regierung entschied, Schutzausrüstung aus China zu importieren, doch der Deal wurde gecancelt, nachdem Medienberichte einen massiven Korruptionsverdacht und außerdem Probleme in den Lieferketten und der Qualitätssicherung aufgedeckt hatten.

Angriffe auf die Medien

Nepals Medien berichten kontinuierlich über verschiedene Aspekte der Pandemie und zitieren dabei auch ausländische Beiträge und Experten. Am 18. Februar brachte The Kathmandu Post einen Artikel von Ivo Daalder, dem ehemaligen Ständigen Vertreter der Vereinigten Staaten bei der NATO. Der Text, der ursprünglich in The Korea Herald erschien, trägt den Titel „Chinas Geheimniskrämerei hat die Corona-Krise noch schlimmer gemacht“ und wurde mit einer Karikatur bebildert, die Mao Zedong mit einer Gesichtsmaske zeigt. Die chinesische Botschaft in Kathmandu reagierte empört. Sie veröffentlichte ein wütendes Statement, in dem sie The Kathmandu Post und ihren Chefredakteur Anup Kafle verurteilt und Kafle einen „Nachäffer von Anti-China-Stimmen“ nennt. Weiterhin heißt es in jenem Statement: „Die Botschaft Chinas in Nepal […] behält sich weitere Maßnahmen vor.“ Das war womöglich der extremste Angriff einer ausländischen Macht auf eine Zeitung oder Journalisten in Nepal, wo die Verfassung eine „vollumfängliche Pressefreiheit“ versichert.

Redakteure nepalesischer Zeitungen und Online-Portale reagierten sehr deutlich auf den Angriff. „Wir respektieren das Recht darauf, Meinungsverschiedenheiten zu medialen Themen anzusprechen“, heißt es in einem Statement der Redaktionen. „Aber wir sprechen uns gegen eine Verunglimpfung und Bedrohung von Medien und Journalisten aus. Solche Taten verurteilen wir.“ Das Bündnis Nepalesischer Journalisten (FNJ) kritisierte das Vorgehen Chinas ebenfalls.

Der Journalist Yubaraj Ghimire schrieb, dass China mit solchen Handlungen nicht allein sei. Er deckte auf, dass auch die US-amerikanische und die indische Botschaft die Medien in Nepal wegen ihrer Berichterstattung angegriffen haben. Das Medienbündnis in Nepal erwartete eine Entschuldigung der chinesischen Botschaft und forderte Nepals Regierung dazu auf, China daran zu erinnern, dass in Nepal Pressefreiheit herrscht. Keine dieser Forderungen wurde jedoch umgesetzt.

Die Angriffe auf Medien hören nicht auf. Am 1. April veröffentlichte das Online-Portal Kathmandu Press einen Bericht, laut dem Verwandte hochrangiger Politiker, wie auch der Sohn des Vize-Premiers, in die ominösen Verhandlungen mit China zur Versorgung mit Schutzausrüstung verwickelt waren. Der Bericht wurde später jedoch plötzlich von der Website gelöscht – nachdem sich Redakteure geweigert hatten, ihn zu entfernen. Man vermutet, dass dahinter der technische Betreiber der Seite, Shiran Technologies, steckt, an dem der IT-Berater des Premierministers Anteile hält. Erneut äußerten sich Redaktionen, die Federation of Nepalese Journalists  (FNJ) und die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ) zu diesem verfassungswidrigen Handeln. Später entschuldigte sich der Web-Betreiber für die Löschung der Nachricht. Trotz aller Widrigkeiten haben die Medien nicht aufgehört, das Handeln der Regierung während der Krise zu hinterfragen und zu kritisieren. Am 7. April brachte die Zeitung Nayapatrika die Headline „Wo die Menschlichkeit im Lockdown ist“. In dem Beitrag ging es um eine 28-jährige Frau, die in ihrem Haus zusammenbrach und zwei Tage später starb, nachdem sich Polizisten, Rettungshelfer und Ärzte weigerten, sie zu berühren – aus Angst vor Corona.

Um die Öffentlichkeit während des Lockdowns zu beruhigen, hielt Premierminister KP Sharma Oli am 7. April eine Ansprache an die Nation, in der er dazu aufrief, zuhause zu bleiben und die Maßnahmen der Regierung zu unterstützen. Der Premierminister, der in den 70ern und 80ern insgesamt 14 Jahre im Gefängnis saß, weil er sich gegen die Monarchie auflehnte, forderte seine Kritiker dazu auf, „den Mund zu halten“. Er sagte, es sei an der Zeit, sich zu entscheiden: „entweder Überleben oder Freiheit“. Medien und Oppositionelle reagierten scharf auf die Äußerungen.

Während des Lockdowns deckten die Medien die missliche Lage der Arbeiterklasse in der Hauptstadt Kathmandu auf. Obwohl sie am härtesten von der Krise getroffen wurde, beharrt die Regierung auf der Aussage, es gehe ihnen gut und sie hätten genug Lebensmittel. Diese Menschen müssen jeden Tag hart für ihre Ernährung kämpfen. Tausende von ihnen machten sich während des Lockdowns zu Fuß auf den Weg von Kathmandu in ihre Heimatorte. Teilweise wurden sie angehalten und bestraft. Sobald die Fälle in den Nachrichten landeten, kritisierte Premierminister Oli die Medien erneut, indem er fragte: „Wie kann es sein, dass die Medien behaupten, etwas zu wissen, was der Polizei und den Behörden nicht bekannt ist?“

Druckerpressen angehalten, Arbeit aus dem Homeoffice

Einige führende Zeitungen wie Kantipur, The Kathmandu Post, Nepali Times, Himal Magazine und The Himalayan Times schlossen ihre Redaktionen und stellten ihre Berichterstattung ein, als Ende März die Pandemie weiter um sich griff. Kantipur und The Post nahmen den Betrieb nach einer Woche wieder auf, aber andere Medien bleiben stumm und beschwören so Kritik herauf, die ihre Rolle als Wächter und Beobachter während der Krise hinterfragt.

Manche Tageszeitungen, unter anderem Nayapatrika, Annapurna Post und Nagarik stellten ihre gedruckte Ausgabe nicht ein. Nagarik kündigte sogar an, während des Lockdowns kostenlose Ausgaben zu verteilen. Die meisten Journalisten haben sich so gut wie möglich auf die Arbeit aus dem Homeoffice eingestellt. Manche Medienmacher, wie z.B. TV-Journalisten und Fotografen, sind jedoch immer noch in der Öffentlichkeit unterwegs. Die Regierung hat für sie spezielle Ausweise herausgegeben.

In Nepal kursieren viele Fake News zum Coronavirus. Der nepalesische Presserat nahm fast 18 unregistrierte Websites vom Netz, nachdem aufgedeckt wurde, dass diese Fake News verbreiten. Medienwissenschaftler, vor allem Mitarbeitende der Fakultät für Journalismus an der Tribhuvan-Universität, diskutieren regelmäßig (über Video-Chat) über Möglichkeiten, Menschen aufzuklären und alle Beteiligten auf ihre Verantwortung während der Krise aufmerksam zu machen.

 

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