Vertrauen in Nachrichten: Wenn äußere Werte zählen

28. April 2021 • Qualität & Ethik • von

Für eine Studie untersuchte ein Forschungsteam des Reuters Institute, warum das Vertrauen in Nachrichten weltweit sinkt, welche Auswirkungen dies haben kann und was Medien tun können, um es wiederherzustellen.

Ihre Ausgangsfrage, weshalb vielerorts das Vertrauen in  Medien und Nachrichten schwindet, konnten die Wissenschaftler zwar nicht beantworten, dennoch leistet ihre Studie „Listening to what trust in news means to users“ einen wichtigen Beitrag zum Forschungsfeld: Sie zeigt, wie wenig Rezipienten tatsächlich über journalistische Qualität wissen – und wie viel Wert sie stattdessen auf Ästhetik und Entertainment legen.

Bereits die Länderauswahl der Untersuchung ist interessant: Das Team des Reuters Institute befragte 132 Personen aus Brasilien, Indien, dem Vereinigten Königreich und den USA. Damit sind Mediensysteme vertreten, die erhebliche Unterschiede in der politischen Kultur und im Vertrauen der Bevölkerung in Institutionen aufweisen.

Während die Repräsentation bestimmter Communities und der persönliche Kontakt zu Journalisten für die Vertrauensbildung der Rezipienten eine eher geringere Rolle spielt, sind vor allem Faktoren wie die Vertrautheit mit bestimmten Medienunternehmen („familiarity with brands“) und generelle Urteile über das Erscheinungsbild des jeweiligen Mediums („stylistic factors“) ausschlaggebend für entsprechende Beurteilungen. „Redaktionelle Prozesse und Praktiken des Journalismus standen selten im Mittelpunkt der Überlegungen zum Thema Vertrauen“, stellen die Autoren fest. Ebenso zielten personelle Urteile häufig eher auf prominente Persönlichkeiten aus den jeweiligen Medien (z.B. Moderatoren) und weniger auf individuelle Journalisten ab. „Eine beachtliche Zahl von Befragten in Brasilien, im Vereinigten Königreich und in den USA konnten nicht einmal einen Journalisten nennen.“

Ausschlaggebend für die Beimessung von Vertrauen an bestimmte Medien ist laut der Autoren vor allem der äußere Eindruck: Ist eine Person mit Medium A vertraut, scheint sie diesem mehr zu vertrauen als Medium B, das sie vorher noch nie genutzt hat. „Manchmal hatte dieses Gefühl der Vertrautheit weniger mit rationalen Urteilen als vielmehr mit Intuition zu tun“, schreiben die Autoren.

Unterschiedliche Erwartungen an Nachrichten

Einige Befragte stützten ihre Überlegungen nicht bloß auf ein Medium, sondern gleich auf die gesamte Mediengattung, z.B. das Fernsehen. Ihr Misstrauen richtete sich dann pauschal gegen mehrere oder alle Formate. „Vertrauen und Misstrauen standen oft synonym für das, was die Personen an verschiedenen Nachrichtenquellen mochten oder nicht mochten. Gespräche über Vertrauen gingen in Richtung allgemeiner Kritik und Frustration, die viele über bestimmte Nachrichtenquellen empfanden – eine mögliche Erklärung dafür, warum sie bestimmte Kanäle oder Anbieter meiden oder nutzen.“

Emotionen scheinen in dieser Hinsicht eine allgemein wichtige Grundlage für Vertrauensurteile zu sein: „Bei der Beschreibung, wie sympathisch ihnen ein bestimmter Nachrichtensender oder eine bestimmte Nachrichtenquelle ist, bezogen sich viele nicht nur auf die Glaubwürdigkeit der Informationen oder die stilistische Auswahl bei der Präsentation, sondern auch darauf, wie sie sich beim Konsum solcher Nachrichten fühlen. Diese affektiven Reaktionen waren oft wichtig, um zu verstehen, warum die Befragten aussagten, dass sie bestimmten Quellen vertrauen und anderen wiederum nicht.“ Dieser Erkenntnis folgt unter anderem auch der Nutzen- und Belohnungsansatz.

Oft besteht eine Diskrepanz zwischen dem, was Menschen von den Medien erwarten, und dem, was sie – laut eigener Aussage – erhalten. Die Erwartungen an journalistische Qualität und die Vorstellungen von guter redaktioneller Praxis entsprechen unterdessen häufig eigenen vagen und unkonkreten Bildern von Journalismus: „Viele forderten ‚Professionalität‘ im Allgemeinen und betonten die Bedeutung von Reportern, die Geschichten ‚in die Tiefe‘ verfolgen und ‚schwierige Fragen‘ stellen. Diese Vorstellungen waren nicht immer in spezifischen Praktiken verwurzelt, sondern im Ruf der Marken, sich an beweiskräftige Standards zu halten und ehrlich zu sein.“ Tiefgehende Recherchen und entsprechend komplexe Inhalte wurden jedoch von manchen Befragten auch als lästig bewertet.

Ebenso bemängelten Rezipienten in allen vier Ländern Wiederholungen in den Nachrichten. Ein Teilnehmer aus Brasilien sagte: „Covid, Korruption, Abriegelung. Bolsonaro, der etwas falsch macht. Es ist immer das Gleiche. Schauen Sie einfach die Nachrichten und Sie werden es sehen.“ Laut der Autoren berge diese Wahrnehmung die Gefahr, dass Rezipienten alle Nachrichtenmedien als inhaltlich gleich bewerten und damit Vertrauen verlieren.

Weitere Vertrauens- oder Misstrauensfaktoren, die die Autoren in ihrer Studie feststellen konnten, sind unter anderem

  • die (nicht standardisierte) Bewertung der Objektivität und Parteilichkeit der Berichterstattung, die laut der Autoren häufig in eine generelle Skepsis gegenüber allen Nachrichtenmedien münde;
  • wahrgenommene politische oder ökonomische Einflüsse bis hin zu Verschwörungstheorien (vor allem im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten) und
  • wahrgenommene Korruption (vor allem in Indien und Brasilien).

Gespaltenes Vertrauen bei Google und Co.

Digitale Plattformen wie Twitter, Google oder WhatsApp (letztere vor allem in Indien und Brasilien) waren für einige Befragte „Werkzeuge, um Zugang zu Perspektiven, Geschichten und Originalberichten über Themen zu erhalten, die sie in der konventionellen Nachrichtenberichterstattung vermissen“, für andere, die sich der algorithmischen Funktion von Online-Inhalten bewusst waren, stellten sie jedoch auch eine Gefahr dar. Wieder andere „waren in Bezug auf solche Fragen weniger vorsichtig und sahen in der Art und Weise, wie Plattformen Nachrichten verdichten, aggregieren und vereinfachen, einen großen Vorteil im Vergleich zu linearen Medien, die oft als langsam und ineffizient wahrgenommen wurden.“ Besonders Google profitierte von dieser Einschätzung der Rezipienten, wiederum vor allem in Indien und Brasilien.

Wie gewinnen Medien mehr Vertrauen?

Aus den Ergebnissen der Studie generierte das Team des Reuters Institute drei Handlungsansätze, die zu mehr Vertrauen in Nachrichtenmedien führen sollen. Erstens sollen Medienunternehmen Informationen über ihre redaktionelle Praxis und ihre Identität – also Stärken und Alleinstellungsmerkmale – besser zugänglich machen. Diese Logik ergibt sich aus dem vielfach festgestellten Vertrauensfaktor der äußeren Erscheinung bzw. ‚Handlichkeit‘ des jeweiligen Mediums.

Zweitens stellen die Autoren fest: „Suchmaschinen, Social-Media-Plattformen und Messaging-Dienste könnten, wenn sie wollten, sicherlich auch mehr tun, um Nutzern zu helfen, zwischen den Quellen, die ihnen begegnen, zu unterscheiden.“ Hier bemängeln die Forscher vor allem die homogene Informationsflut in der digitalen Sphäre.

Drittens wird konstatiert, dass sich Medien, die besonders viel in Recherche und Transparenz investieren, in einem Dilemma befinden: „Nachrichten, die Vertrauen verdient haben, werden nicht automatisch als vertrauenswürdig wahrgenommen.“ Weiterhin schreiben die Autoren: „Das, was auf Facebook und WhatsApp Aufmerksamkeit erregt, ist möglicherweise nicht die Form von Journalismus, die Nachrichtenmedien am liebsten hervorheben würden.“ Wenn Inhalte zu komplex oder nicht reißerisch genug sind, könne es natürlich auch sein, dass sie nicht auf den digitalen Plattformen erscheinen. Hier müssten Medien abwägen, ob ihnen Qualität oder mehr Reichweite wichtiger ist.

Urbanes Sample mit hohem Bildungsgrad

Weil die Interviews und Diskussionsrunden mit den Studienteilnehmern pandemiebedingt digital stattfinden mussten, seien im Sample vor allem Personen vertreten, die in ihrem jeweiligen Land dem „oberen Ende des sozio-ökonomischen Spektrums“ zuzuordnen sind und über einen zuverlässigen Internetzugang verfügen, heißt es in der Studie. Laut den Autoren leben diese Menschen in der Regel in Ballungsräumen und weisen eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Bildung auf. Zwar hoffen die Autoren, in zukünftigen Studien den Fokus ausweiten zu können, dennoch kommt man bei der vorliegenden Studie einfach nicht umhin, Abstriche aufgrund der Zusammensetzung des Samples zu machen.

Denn spätestens dann, wenn die Teilnehmer von „Repräsentation“ sprechen, muss vor allem mit Blick auf das indische Kastensystem und die extrem ungleiche Einkommensverteilung in Brasilien beachtet werden, dass es sich bei den in der Studie befragten Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit um vergleichsweise weniger benachteiligte Menschen handelt, deren Vertrauen in Medien entsprechend wenig auf Erfahrungen mit mangelnder Repräsentation gründet.  „Da solche Personen nur einen kleinen Teil unserer Stichprobe ausmachten, kamen solche Bedenken nicht häufig zur Sprache“, so das Autorenteam.

Bildquelle: Brian McGowan/Unsplash

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