Schleichwerbung bleibt Schleichwerbung, auch wenn man es „Native Advertising“ nennt. Medien sollten sich nicht von den kurzfristigen finanziellen Verlockungen beeinflussen lassen.
Die viel beredete Medienkrise ist eigentlich eine Werbekrise der Printmedien: Die Werbung und mit ihr die Werbebudgets gehen neue Wege. Das alte Monopol der Medien, den Werbern ein aufmerksames Publikum zu liefern, ist unwiederbringlich verloren. Viel zielgenauer lassen sich Menschen online ganz ohne journalistischen Aufwand umwerben.
Dabei geht der ewige Wettlauf zwischen Hase und Igel weiter: Wie zuvor mittels Zapping und Digitalrecordern verbannen die Hasen nun mit Ad Blockern die Werbung vom Monitor. Doch die Werbe-Igel sind schon da und betreiben „Native Advertising“! Die Täuschung fängt schon beim Begriff an, der ein PR-Coup ist: Werbung in den journalistischen Medieninhalt einzubauen, ist weder neu noch natürlich, sondern eine Kunstform, die längst als Product Placement oder Schleichwerbung bekannt ist. Das erste dank EU legal, aber kenntlich zu machen, das zweite immer noch verboten.
Zugegeben: Spot- und Bannerwerbung nerven fürchterlich. Ist es da nicht ein Fortschritt, werbende Produkthinweise so harmonisch in die Zeitungsreportage oder die Onlinenachrichten einzubauen, dass sie uns nicht mehr stören? Und eröffnet „Native Advertising“ nicht den darbenden Printmedien neue Aussichten auf Werbegelder?
Tatsächlich werden in den USA bereits Milliarden mit Native Advertising umgesetzt. Qualitätsmedien wie New York Times, Washington Post, Guardian oder El País haben sich ihren Teil vom Kuchen bereits gesichert. Kurzfristig mag die Rechnung also aufgehen, zumal die Leser nicht immer merken, dass es sich um Werbung handelt, oder sie sich weniger gestört fühlen als durch Werbebanner und Anzeigen.
Langfristig aber könnte sich diese Strategie als fatal erweisen, wie Studien von Levi sowie von Austin und Newman zeigen. Denn es werden nicht nur Leser und Verbraucher getäuscht, sondern Geschäftsmodell und Institution der unabhängigen Presse infrage gestellt: Die Abhängigkeit der Redaktion vom Werbekunden reicht weit über den einzelnen Bezahlartikel hinaus. Und warum sollten nicht auch Regierungen „Native Advertising“ betreiben?
Journalismus beruht auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen in seine Unabhängigkeit, die nicht für kleine Münze verkauft werden sollte.
Literatur:
Conill, Raoul Ferrer: Camouflaging Church as State. Journalism Studies, 2016; http://dx.doi.org/10.1080/1461670X.2016.1165138
Austin, Shaun/ Newmann, Nic: Attitudes to Sponsored and Branded Content (Native Advertising). In: Reuters Institute for the Study of Journalism (Ed.): Digital News Report 2015, S. 101-107.
Manic, Marius: The Rise of native advertising. Bulletin of the Transilvania University of Brasov, Series V: Economic Sciences, Vol. 8 (57), Nr. 1 (2015), S. 53-58.
Levi, Lilli: A “Faustian Pact”? Native Advertising and the Future of the Press. Arizona Law Review, Vol. 57 (2015), S. 647-711.
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 11. September 2016
Bildquelle: Screenshot Native Advertising in der New York Times
Schlagwörter:Glaubwürdigkeit, Native Advertising, Presse, Printmedien, Product Placement, Schleichwerbung, Vertrauen, Werbung
“Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.”
Karl Marx
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Pressefreiheit ist nicht gleich Meinungsfreiheit, da Pressefreiheit eigentlich Kapitalfreiheit ist.