Wider die Dauer-Medienschelte

23. Februar 2012 • Ressorts • von

Wenn fast jeder Zweite im Land glaubt, der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff sei Opfer einer Medienhatz, dann müssen die Alarmglocken schrillen.

Denn offenbar besteht ein breites Missverständnis über das, was Medien zu tun haben. Es geht nicht darum, schwarze Schafe unter den Journalisten zu verteidigen, sondern soliden Journalismus.

Von der „Bild“-Zeitung, die noch vor dem „Stern“ herausfand, wer das Wulff-Haus in Großburgwedel maßgeblich finanzierte und damit den Stein ins Rollen brachte, bis zur „FAZ“, vom Boulevard bis zum Qualitätsblatt, regional wie überregional: in der Einschätzung der „Causa Wulff“ herrschte breite Übereinstimmung, und das war keine Hetzkampagne, sondern hatte Sachgründe. Journalismus heißt nicht, Halt machen vor einem Amt oder vor jemandem, den man nett findet. Gerade im Fall Wulff glaubten viele im Umkreis des Bundespräsidenten, durch Aussitzen und die Hoffnung, das Publikum sei des Themas bald überdrüssig, könne man die lästigen Medien loswerden. Gut, dass sie dennoch „dran blieben“, denn das war ihre staatsbürgerliche Pflicht…

Kritische Medien haben, das kann man nicht oft genug wiederholen, eine Schlüsselrolle für eine lebendige Demokratie, in der die Herrschenden sich nicht wie in Diktaturen alles erlauben können. Es ist untragbar, das Ansehen von Medien pauschal zu untergraben. Vor allem in Blogs und Foren graust einem vor dummen Nazi-Vergleichen, indem man Medien im Fall Wulff „Gleichschaltung“ unterstellt.

Ein besonders ärgerliches Beispiel pauschaler Medien-Schelte lieferte Jürg Dedial am Samstag in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Ausgerechnet er, ein Profi, bezeichnet die Art, wie seine deutschen Kollegen mit Wulff umgegangen sind, als „unrühmliches Kapitel politischer und medialer Auseinandersetzung in Deutschland“. Statt sich mit dem Elend der Welt, mit Katastrophen, Kriegen und Krisen zu befassen, „ergehen sich die politische Klasse und die Medien in unserem Nachbarland in eitlen Balzritualen und Empörungsexerzitien in einem Fall, der an Trivialität und Biederkeit fast nicht mehr zu überbieten ist.“

Und: Diese „Moralbuddhas“ der Medien sollten erst selber darlegen, wo sie sich verführen und einladen lassen. Was soll das!? Heißt das, solange es Krieg gibt auf der Welt, dürfen Spitzenpolitiker Vorteile in hohem Maße annehmen für Feste und Urlaube? Heißt das, solange es schwarze Schafe im Journalismus gibt, dürfen sich die Medien nicht mehr um die politische Hygiene eines Staates kümmern? Oder war das schlicht ein närrischer Kommentar? Nehmen wir es mal so und freuen uns zumindest diesbezüglich, dass Karneval vorbei ist.

Erstveröffentlichung: Kölner Stadtanzeiger vom 22. Februar 2012 (leicht geänderte Fassung)

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