Nach zwei Pandemiejahren, die das DW Global Media Forum in digitale Sphären verbannten, fand die weltweit bekannte Journalismus-Konferenz nun erstmals wieder vor Ort in Bonn statt. In ihrem Eröffnungsvortrag stimmte die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa ernste, aber optimistische Töne an.
„Meaning has been automized“, sagt Maria Ressa. Dieser Satz, mit dem die 58-jährige Journalistin ihre Ansprache zur Eröffnung des diesjährigen DW Global Media Forum einleitete, lässt sich wie folgt übersetzen: Deutung ist automatisiert. Welche Informationen uns erreichen und wie diese zu interpretieren sind, liegt dank Social-Media-Algorithmen, künstlicher Intelligenz und dem – wie Shoshana Zuboff ihn eindrücklich betitelte – digitalen Überwachungskapitalismus nicht mehr in unserer Hand.
2021 wurde Maria Ressa für ihre Errungenschaften um die Pressefreiheit auf den Philippinen der Friedensnobelpreis zuerkannt. Doch der „Kampf um die Fakten“ ist laut der Journalistin kein lokal begrenztes Phänomen: In der Ukraine und in Russland, im Brasilien unter Jair Bolsonaros Präsidentschaft oder in Kenia, wo Zensur und Korruption ein großes Problem darstellen – überall sei die Verteidigung von Fakten auch als Verteidigung der Demokratie zu verstehen. „Lügen und Wut verbreiten sich schneller als die Wahrheit“, sagt Ressa. Dieser Mechanismus hänge vor allem mit mangelndem Vertrauen in Medien zusammen: „Ohne Vertrauen gibt es keinen Wandel.“ Doch wie lässt sich Vertrauen wiederaufbauen?
Problem liegt „stromaufwärts“
„Apps auf dem Smartphone kennen uns besser als wir uns selbst“, sagt Maria Ressa. Anhand von maschinellem Lernen sind Tech-Unternehmen in der Lage, sogenannte Klone von Nutzern zu erstellen und so das Verhalten von Menschen hervorzusagen – in der digitalen wie auch in der analogen Welt. „Die Entwicklung künstlicher Intelligenz hat dieses ganze Konzept auf die kommerzielle Ebene gehoben“, so Ressa. Wieder fällt das Stichwort „Überwachungskapitalismus“. Informationen werden nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, sondern auf ihr Potenzial, Nutzerinteraktionen auszulösen – und so Umsätze zu generieren.
Fakten spielen auf den Plattformen von Meta, Google und Co. nur noch eine untergeordnete Rolle. „Welche Anreize liegen schon in der Wahrheit?“, fragt Ressa ironisch. „Die meisten Plattformentwickler behaupten, das Problem liege nicht in den Algorithmen, sondern bei der Moderation der Beiträge.“ Ressa rät Beobachtern jedoch, dem nicht zu glauben. Das Problem liege weiter „stromaufwärts“, direkt bei den Tech-Firmen, deren Geschäft nur bedingt gesetzlich reguliert wird (einen Durchbruch auf EU-Ebene, den auch Ressa lobt, hat es im April gegeben: das Digitale-Dienste-Gesetz).
Politik muss gesetzlich regulieren
Um „Tech“ zu regulieren und das Vertrauen in mediale Angebote wieder zu stärken, so Ressa, brauche es wiederum „Tech“. Es brauche gezielte Innovationen und weitere entsprechende Gesetze. An die Politik appelliert Ressa: „Ihr habt uns damit ein wenig zu lang im Stich gelassen.“ Ohne Gerechtigkeit in der virtuellen Welt wird es auch keine Gerechtigkeit in der analogen Welt geben, erklärt die Friedensnobelpreisträgerin. Ihr Beispiel: Was mit gefährlichen Meinungsartikeln aus den Federn von Kanälen wie Russia Today begann, resultierte im Januar 2021 in einen Angriff auf den Parlamentskomplex eines der größten und mächtigsten Staaten der Welt, das US-Kapitol.
Die Covid-19-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine stellen Journalisten weltweit auf die Probe. Das Vertrauen in Medien schwindet, trotz großem Informationsbedarf und einer mehr oder weniger großen Innovationslust, zumindest im digitalen Bereich. Ein ständiger Beobachter dieses Entwicklungen ist das Reuters Institute an der Universität Oxford. Nun haben die britischen Wissenschaftler den Digital News Report 2022 veröffentlicht. EJO hat die wichtigsten neuen Erkenntnisse zu Medienvertrauen und Nachrichtenverdrossenheit zusammengefasst. Hier gelangen Sie zum Artikel.
In einem Video-Clip auf YouTube hat die Deutsche Welle die Highlights ihrer diesjährigen Konferenz zusammengefasst.
Beitragsbild: ThisisEngineering RAEng/unsplash.com
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