„Journalismus machen, der zeigt, was ist“

29. November 2019 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Die meisten der tagesaktuellen Bilder, die in unseren Medien aus Kriegs- und Konfliktregionen zu sehen sind, stammen von Fotojournalisten großer Bild- und Nachrichtenagenturen, wie der European Pressphoto Agency (epa). Als Zwischenhändler mit weltweiten Netzwerken von Korrespondenten haben diese Akteure eine zentrale Stellung im Mediengeschäft. Bei einem Besuch in der Zentralredaktion der epa in Frankfurt am Main sprach Felix Koltermann mit Ben Wenz, Supervising Editor für den Bereich News, über den Umgang mit Kriegs- und Konfliktfotografie. 

Redakteur Ben Wenz bei der Arbeit im Newsroom der European Pressphoto Agency (epa) in Frankfurt am Main. Foto: Mauritz Antin/epa

Felix Koltermann: Welche Rolle spielt die Kriegs- und Konfliktfotografie im Portfolio der European Pressphoto Agency? 

Ben Wenz: Keine außergewöhnliche Rolle: Es ist eine von vielen Formen der Fotografie, die wir machen. Wir haben auch ein großes Augenmerk auf Sport, auf europäische Themen, Brüssel und Straßburg, dort wo europäische Politik gemacht wird. Arts, Culture und Entertainment natürlich auch. All das hält sich die Waage. 

Ab wann ist das Thema Krieg und Konflikt für Sie von Interesse? Geschieht das eher, wenn ihre Fotografen zufälligerweise vor Ort sind oder ist es eine bewusste Entscheidung, jemanden in eine solche Region zu entsenden? 

Wir erfahren durch unsere Fotografen vor Ort und durch die Berichterstattung anderer Medien, wie sich ein Konflikt entwickelt. Ein aktuelles Beispiel wäre der Marsch von General Haftar auf Tripolis. Da müssen wir gucken, wie wir an aktuelle Fotos kommen, da es dort zurzeit sehr schwierig ist, verlässliche Stringer zu finden. Also aktivieren wir unsere Netzwerke. In anderen Fällen, wenn wir selbst niemanden vor Ort haben, schicken wir auch einen unserer festangestellten Fotografen aus einem Nachbarland hin. In Libyen ist das aber wegen der aktuellen Sicherheitslage unmöglich. Anders sah es da z.B. damals in der Ukraine bei den Maidan-Protesten aus. Da hatten wir natürlich einen festen Fotografen in Kiew vor Ort, der uns schneller über alle Entwicklungen informiert und ständig Fotos gesendet hat. 

Gerade in Bezug auf aktuelle Konfliktregionen wie Libyen oder Syrien wird in den Medien immer wieder diskutiert, inwieweit man den lokalen Stringern vertrauen kann. Wie sichern Sie sich bei der Suche ab? 

So eine Suche nach Stringern machen wir nicht von Frankfurt aus. Wir haben regionale Fotochefs, hier z.B. für den Maghreb und den Nahen Osten die Kollegin Amel Pain in Amman. Sie ist für die Region zuständig, reist dort regelmäßig herum und hat ein Netzwerk von Journalisten und Kollegen, die auch Rückmeldung geben, wer vertrauenswürdig ist und wer nicht. Wir würden nie jemanden blind beauftragen, einfach nur, weil wir seinen Namen gesagt bekommen haben und er in der Region ist. 

Anders als Agenturen wie Reuters oder Agence France-Presse bieten Sie nur Bilder an. Was bedeutet dies für die Rolle der Fotografen? 

Unsere Fotografen sind unsere Korrespondenten vor Ort. Die kennen sich besser aus als wir in der Redaktion. Wenn zum Beispiel unser Fotograf aus dem Gazastreifen Bilder schickt, dann wissen wir manchmal noch gar nicht von einer bestimmten Entwicklung. Unsere Fotografen haben eine viel höhere Verantwortung, weil sie uns mit Informationen aus erster Hand versorgen, die bei anderen Agenturen von Textredakteuren kommen würden. Sie sind unsere Informationsgeber, die häufig eine Berichterstattung überhaupt anstoßen. 

Gleichzeitig haben wir aber natürlich noch unsere Shareholder-Agenturen, die jeweils Text anbieten, und uns da mit Informationen versorgen können. Umgekehrt greifen die aber auch auf Augenzeugenberichte unserer Fotografen zurück. Das kann einen Agenturtext, der ja häufig aus dem Büro geschrieben wird, deutlich aufwerten. 

Kommen wir zur Arbeit, die hier in der Frankfurter Redaktion erledigt wird. Wie viele Bilder werden bearbeitet und was sind die wichtigsten Arbeitsschritte? 

In der Redaktion schicken wir täglich zwischen 2.000 und 2.500 Fotos raus. Beim einzelnen Redakteur ist das sehr unterschiedlich, das sind zwischen 100 und 300, je nachdem, wie aufwändig sie zu bearbeiten sind. Wir machen eine Bildauswahl, redigieren die Caption auf Form und Inhalt, machen Korrekturen, recherchieren den Hintergrund zum Thema. Wir sind da zu einem großen Teil auch Textredakteure. Ein paar Fotografen können auch nicht so gut Englisch, da müssen wir manchmal nachhelfen. Letztlich hat man dann je nach Thema zwischen 10 bis 15 Bilder, die wir auf den Draht schicken, bei größeren Ereignissen natürlich mehr. 

Wie habe ich mir das zeitmäßig vorzustellen. Wie viel Zeit vergeht vom Moment der Aufnahme bis zur Veröffentlichung des Bildes? 

Das hängt von vielen Faktoren ab. Etwa davon, ob es ein geplantes oder ein ungeplantes Ereignis ist. Bei Breaking News muss ich überhaupt erst einmal davon erfahren, dann muss ich Kontakt zu meinem Fotografen aufnehmen, der oder die muss zum Ort des Geschehens fahren, muss sich vor Ort durchschlagen, um ein Foto zu machen, es uns in die Redaktion schicken, dann editieren wir das und es geht es raus an die Kunden. Wenn jeder dieser Schritte nur ein paar Minuten dauert, dann sind wir schon bei einer Stunde. Nimmt man aber nur die Zeit vom Auslösen und Schicken des Bildes durch den Fotografen bis zu dem Moment, in dem es auf den Draht geht, können es auch nur fünf Minuten sein. 

Lassen Sie uns über die Veröffentlichungspraxis von Bildern aus Kriegs- und Konfliktregionen sprechen. Welche Bilder sind veröffentlichbar, welche nicht? 

Kritische Fotos sind in erster Linie die, die Tote oder Verletzte zeigen. Wir haben den Anspruch, dass wir einen Journalismus machen, der zeigt, was ist. Andererseits haben wir auch einen ethischen Standard. Ab einer gewissen Grenze muss der Respekt vor den Toten und die Rücksichtnahme auf das Publikum höher gehalten werden, als die Informationspflicht. Wir versuchen, die Fotos so auszuwählen, dass die Betrachter sich nicht vor dem Bild ekeln, und Tote oder Verletzte respektvoll gezeigt werden. Im Zweifelsfall versehen wir die Bilder zusätzlich mit einem Hinweis „Attention editors: Picture contains graphic content“. 

Wann genau ist der Punkt, wenn diese Warnung zum Einsatz kommt? 

Das hängt zwar auch vom individuellen Empfinden ab, sobald ein Bild aber wirklich das Ergebnis großer Gewalt zeigt, also Blut, zerfetzte Körper oder Tote, gehen bei jedem Redakteur die Alarmglocken an. Da nimmt man sich dann einen Moment, schaut sich das sorgfältig an, und bespricht das nochmal mit einem Kollegen oder dem Supervising Editor. Ideal ist, wenn drei Augenpaare draufgeguckt haben und man eine einstimmige Meinung dazu hat, ob wir es schicken oder nicht. Aber wenn einer sagt, ich habe Probleme damit, dann lassen wir es im Zweifel lieber weg. Manchmal ist es aber auch so, dass Bilder mit furchtbarem Inhalt nötig sind, um den Kern eines Ereignisses zu verstehen. Dann muss unter den zehn ausgewählten auch ein solches sein. 

Die epa vermarktet Bilder weltweit. Gibt es in Bezug auf die Darstellbarkeit von Tod und Verletzung regionale Unterschiede? 

Natürlich differiert das. In Deutschland z.B. werden ja Fotos von Toten so gut wie gar nicht gedruckt. Im Nahen Osten ist das ganz anders, dort gibt es einen anderen Umgang damit. Bilder, von denen wir sagen, das können wir hier nicht auf den Draht geben, das ist zu heftig, würde man im Nahen Osten eventuell trotzdem drucken. Wir können Fotos gezielt regional verschicken. 

Bei zeitgenössischen Kriegen und Konflikten lässt sich beobachten, dass immer öfter auch Bilder von Amateuren zirkulieren. Welche Rolle spielt dieses Material bei epa? 

Fälle, in denen epa Bilder von Nicht-Berufsfotografen in den Bilddienst nehmen würde, wären fast ausschließlich bedeutende Breaking News wie Terroranschläge oder Katastrophen wie z.B. Flugzeugabstürze. Wenn dann unsere eigenen Fotografen noch fünf Stunden von der Absturzstelle entfernt sind, dann wird auch das Amateurbild vom Wrack auf Twitter interessant. Das Foto muss aber wichtig genug sein und ohne Alternativen. 

Wie kommen Sie denn in einem solchen Fall ganz konkret an ein Bild? 

Das ist sehr aufwendig. Es fängt damit an, überhaupt erst einmal ein Foto im Netz zu finden. Nehmen wir den Fall eines Terroranschlags. Wir gehen dann die sozialen Netzwerke durch, hauptsächlich Twitter. Da gibt es dann irgendwo ein Foto, das hundertmal retweetet wird. Wir versuchen dann, die Quelle zurückzuverfolgen bis zu demjenigen, der es zum ersten Mal getwittert hat. Manchmal dauert das allein zwei Stunden. Manchmal klappt es auch gar nicht, und dann stoppen wir da. 

Falls Sie tatsächlich den Urheber gefunden haben, wie gehen Sie dann weiter vor? 

Dann kontaktieren wir ihn direkt, fragen ob alles ok ist – denn er war ja gerade Zeuge eines schlimmen Ereignisses – ob das Foto von ihm ist, und ob wir es benutzen dürfen. Wenn die Person dies bestätigt, fangen wir an zu verifizieren. Dafür ist das Bild in Originalauflösung wichtig, nicht das von Twitter verkleinerte. Denn im Original sind die Metadaten wie Telefonmodell, Datum und Uhrzeit drin. Uns ist klar, dass man das manipulieren kann, aber es ist zumindest schon ein Hinweis darauf, dass nicht irgendwo geklaut wurde. Wir checken das Foto auch mit Google Maps gegen, schauen, ob die Tageszeit passt und vergleichen es mit Fotos von anderen Augenzeugen. So fügen sich einzelne Puzzleteile zusammen, um das Foto zu verifizieren. 

Immer wieder mit dieser Art von Bildern zu tun zu haben, was macht das auf persönlicher Ebene mit Ihnen als Bildredakteur? 

Natürlich entwickelt sich über die Zeit eine professionelle Distanz, weil man einfach auch sehr viele schreckliche Bilder schon gesehen hat, die sonst aber keiner zu Gesicht bekommt, weil wir sie hier aussortieren. Da kriegen wir noch eine ganz andere Dimension von Ereignissen zu sehen. Und das in einer Masse, die manchmal schon schwer zu bewältigen ist. Da gibt es schon Phasen, wo man kurz die Augen zumacht und durchatmen muss und sich vielleicht auch mal ein anderes Thema nimmt. Ich persönlich würde sagen, dass ich damit bislang gut klargekommen bin und es nur wenige Male gab, die mich wirklich betroffen gemacht haben. 

Abschließend würde ich von Ihnen gerne noch wissen, was für Sie in Bezug auf Kriege und Konflikte eine gute Nachrichtenfotografie ausmacht? 

Gute Nachrichtenfotografie ist für mich die, die den Kern einer Entwicklung so gut es geht herausstellt. In Syrien beispielsweise leben immer noch Menschen unter den aktuellen Konfliktbedingungen und gehen ihrem Alltag nach. Da brauche ich nicht unbedingt einen Panzer und Kampfgeschehen im Bild, sondern muss zeigen, was mit den Menschen dort passiert. Während in Libyen der momentane Kern der Geschichte ist, dass ein General einen Bürgerkrieg anzettelt. Dann kann gute Nachrichtenfotografie auch einfach die Armee auf dem Vormarsch zeigen, wenn das der Kern der aktuellen Entwicklung ist. Gute Fotografie aus Konfliktgebieten kann sich immer verändern. 

Herr Wenz, vielen Dank für das Gespräch. 

 

European Pressphoto Agency (epa) Die epa wurde im Jahr 1985 in Den Haag von den sieben europäischen Nachrichtenagenturen AFP (Frankreich), ANP (Niederlande), ANOP (Portugal, heute LUSA), ANSA (Italien), Belga (Belgien), dpa (Deutschland) und EFE (Spanien) gegründet. Ursprünglich gedacht als ein Service, um Bilder der nationalen Agenturen austauschen zu können, entwickelte sich die epa nach dem Ende des Kalten Krieges und der Eröffnung neuer Bildermärkte in Osteuropa und auf dem Balkan zu einer internationalen Bildagentur mit eigenen Fotograf*innen. Seit 2003 vertreibt epa ihre Bilder weltweit. Größere Umstrukturierungsphasen innerhalb der Agentur gab es mit dem Ausstieg der Gründungsmitglieder AFP (2003) und dpa (2017). Die Zentrale der Agentur ist in Frankfurt am Main wo die Bilder bearbeitet und an die Kunden geliefert werden. Heute gehören zu epa neben den Gründungsmitgliedern ANP, ANSA, LUSA und EFE die Agenturen ANA-MPA (Griechenland), APA (Österreich), Keystone (Schweiz), MTI (Ungarn) und pap (Polen).
Ben Wenz (Jahrgang 1982) hat ein Studium der Publizistik mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation in Mainz absolviert. Er arbeitete als Bildredakteur für Politik und Wirtschaft bei der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Seit 2013 ist er bei epa als Redakteur angestellt und ist aktuell einer der drei Supervising Editors (Chefs vom Dienst) für den Bereich News.

 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf der Webseite von FREELENS e.V., dem Verband der Fotograf*innen und Fotojournalist*innen, im Rahmen eines Online-Schwerpunkts zur „Kriegs-, Krisen- und Konfliktfotografie“, mit dem dieser sich im Jahr 2019 intensiv beschäftigt hat. Bei EJO erscheint eine kleine Serie ausgewählter Artikel aus dem Projekt mit einem Schwerpunkt auf berufspraktische Fragen rund um das fotojournalistische Arbeiten in Kriegs- und Krisenregionen.

Diese Artikel sind in der Serie bei EJO erschienen:

Der Journalismus und die Kriegsfotografie 

Kriegsreporter – Mythos und Wirklichkeit eines Berufsbildes

Auf eigene Rechnung in den Krieg

Eine Kamera ist wie eine Waffe: alle haben Angst

Wir wollen neue Perspektiven zeigen“

Ausbildung für die Kriegsfotografie?

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