Forscher im US-Wahlkampf: Mittendrin statt nur dabei

20. Oktober 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Wie sich Forscher und sogar die angesehensten wissenschaftlichen Fachzeitschriften in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf einmischen, ist ungewöhnlich und bemerkenswert. 

Anfang Oktober gab „Scientific American“ erstmalig in den 175 Jahren seiner Geschichte eine Wahlempfehlung, ein sogenanntes Endorsement, ab. „Nature“ ist ihm gefolgt, und auch „Science“ und das „New England Journal of Medicine“ haben in Editorials entschieden gegen Donald Trump Position bezogen.

Vor wenigen Tagen sind außerdem rund 70 Politik- und Medienforscher mit Empfehlungen an Journalisten herangetreten, was sie bei der Berichterstattung über die Wahl tun und was sie besser unterlassen sollten. Dies ist einerseits löblich, weil Wissenschaftler ja seit Jahr und Tag auf Defizite im medialen Umgang mit Wahlkampf hinweisen – und bei der jeweils nächsten Wahl diese guten Ratschläge meist schon wieder vergessen sind. Die Forscher erinnern an den Einfluss, den Medien und Journalisten gerade bei Wechselwählern und einem knappen Wahlausgang haben können und empfehlen insbesondere, Statements, die erkennbar nicht substantiiert sind, weniger Aufmerksamkeit zu schenken.

Nicht als „Pferderennen“ inszenieren

Im Klartext geht es vor allem um Trumps Tweets – um seine Fake News und Provokationen, mit denen er sich unentwegt Gratis-Aufmerksamkeit in den Medien sichert, die in Form von Werbespots unbezahlbar wäre. Außerdem sollten die Journalisten aufhören, ihre Wahlberichterstattung als „Pferderennen“ zu inszenieren, weil gerade dies für die Wähler keine nützliche Information enthalte, sondern sie im Gegenteil verwirren und demobilisieren könne. In der Tat sind Wahlprognosen zu Kopf-an-Kopf-Rennen nicht aussagekräftig, weil die Fehlerquote bei Umfragen bei plus-minus drei Prozent liegt. Insider-Wissen, das Journalisten ihrem Publikum viel zu oft vorenthalten, weil es eine vermeintlich „gute Story“ kaputt machen könnte.

Was indes irritiert – und eben auch hellhörig im Blick auf den Zustand der amerikanischen Demokratie machen sollte: Über lediglich drei Seiten beschäftigen sich die Empfehlungen mit der Schlussphase des Wahlkampfs, und zwar vor allem mit „Versuchen, die Wahl zu unterminieren“. Die folgenden fünf Seiten sind der Frage gewidmet, was Journalisten tun sollen, wenn das Wahlergebnis infrage gestellt wird, das Ergebnis unklar ist oder ein Kandidat seine Niederlage nicht akzeptiert.

 

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 19. Oktober 2020

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