Faktencheck-Projekt lehrt kritischeren Umgang mit Nachrichten

25. Februar 2021 • Aktuelle Beiträge, Ausbildung, Internationales • von

Mit dem Ziel, Fact-Checking im Lehrplan von journalistischen Ausbildungsstätten in Europa zu verankern, startete die European Journalism Training Association (EJTA) 2016 das Projekt EUfactcheck. Ein Ende 2020 erschienenes Handbuch erläutert die Methode und geht auf gewonnene Erkenntnisse ein.

Ziel von EUfactcheck sei es, angehende Journalistinnen und Journalisten für die Wichtigkeit einer faktenbasierten Berichterstattung zu sensibilisieren, heißt es in dem Handbuch „EUfactcheck: A pan-European project – Methodology and lessons learned“, das von Projektkoordinatorin (und derzeitiger ETJA-Direktorin) Nadia Vissers herausgegeben wurde.

Die Gesellschaft brauche in unserer sogenannten Post-Truth-Ära zunehmend Journalisten, die in der „Flut von ungeprüften Informationen und unbegründeten Meinungen als Leuchttürme der Verlässlichkeit“ agieren, schreibt darin Nico Drok, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Präsident der European Journalism Training Association, ein Zusammenschluss von über 70 Instituten und Schulen für Journalistenausbildung aus mehr als 30 europäischen Ländern.

Aus diesem Grund habe die EJTA im Jahr 2016 das Projekt EUfactcheck gestartet. Hauptaufgabe sei gewesen, eine gemeinsame Faktencheck-Methode und einen Leitfaden für Journalistenausbilder und Studierende zu erstellen. Wie Drok betont, habe sich das Projekt nicht zum Ziel gesetzt, einen 24/7-Faktencheck-Service anzubieten, sondern sich auf die didaktischen Aspekte zu konzentrieren.

Erstes übergreifendes Thema des EUfactcheck-Projekts war die Europawahl 2019. Studierende von 20 Journalistenschulen und Journalismus-Instituten überprüften im Vorfeld der Wahlen Behauptungen von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens in traditionellen und sozialen Medien, darunter die Aussage des Vorsitzenden der Nationalistischen Partei Maltas, Adrian Delia, in der Times of Malta, die bevorstehenden Europawahlen seien „ein Referendum über Abtreibung“ (falsch) oder die Behauptung in einem Beitrag des russischen Internetportals „Novosti“, dass die Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament seit den späten 1970er Jahren stetig gesunken sei (richtig).

Für ihre Faktenchecks nutzten die Studierenden aus ganz Europa das gleiche Flowchart, das sie Schritt für Schritt durch den Prozess führte. Bis dato, so heißt es im Handbuch, hätten alle Journalistenausbilderinnen und -ausbilder ihre eigene Faktencheck-Methode gehabt, die oft auf „gesundem Menschenverstand und Bauchgefühl“ beruht habe, was es schwierig gemacht habe, den Studierenden den komplexen Fact-Checking-Prozess zu erklären. Das Flowchart garantiere zudem eine objektive Bewertung und Transparenz – Ziel sei es, dass mehrere Faktenchecks derselben Behauptung zur gleichen Bewertung führen und dass auch Nutzer den Faktencheck überprüfen könnten.

Dreistufiger Faktencheck-Prozess

1. Analyse der Behauptung

In einem ersten Schritt nehmen die Studierenden alle Bestandteile der Aussage und eventuelle Unzulänglichkeiten unter die Lupe. Lücken oder Fehler in der Behauptung werden mit einer oder mehreren Warnleuchten (bis zu 11) gekennzeichnet. In diesem Teil des Faktenchecks analysieren die Studierenden auch den vollständigen Beitrag und prüfen, ob er Modifikationen der Behauptung enthält. Wenn eine Behauptung nicht zu 100% objektiv und sachlich richtig ist, wird sie als „unsicher“ gekennzeichnet, der Grad der Unsicherheit hängt dabei von der Anzahl der Warnleuchten ab.

2. Analyse des Autors und der Quelle

In einem zweiten Schritt identifizieren die Studierenden den Autor und die Quelle der Behauptung. Sie müssen herausfinden, ob der Autor qualifiziert ist, die Behauptung aufzustellen und welche Funktion und Zugehörigkeit er/sie hat; so muss geklärt werden, ob er/sie Mitglied einer politischen Partei, eines Think Tanks, einer NGO, etc. ist.

Darüber hinaus muss die Glaubwürdigkeit der Quelle geprüft und bewertet werden. Es muss geklärt werden, ob es sich um einen Experten, einen Forscher handelt, ob er/sie an ein Unternehmen, eine Organisation, eine Universität, etc. angeschlossen ist.

3. Der eigentliche Faktencheck

Der dritte Schritt des Prozesses ist der eigentliche Faktencheck. Die Studierenden identifizieren das Material, auf das die Primärquelle ihre Behauptung stützt (Forschung, Umfrage, Statistik, etc.; oft ist es eine Kombination). Sie überprüfen, ob das Material die Behauptung bestätigt oder nicht. Sie kontaktieren auch die Primärquelle, suchen weitere Experten und prüfen, ob diese die Behauptung bestätigen oder nicht. Abhängig von den Antworten und Erkenntnissen der Experten bewerten die Studierenden die Behauptung.

Wertvolle Erkenntnisse

Das Handbuch erläutert nicht nur die genutzte Methodik des Fact-Checking, sondern bietet auch Einblicke ins Projektmanagement sowie in Kommunikations- und Publikationsprozesse von Eufactcheck, die für Journalistenausbilder, die solche – oder auch kleinere Projekte – in die Lehre einbinden möchten, wertvolle Tipps bieten.

Das Handbuch zeigt auf, dass sich die Mühen und die Zeit, die in das länderübergreifende Projekt investiert wurden, gelohnt haben. So hätten die Studierenden einen kritischeren Umgang mit Nachrichten und Fakten entwickelt, erkannt, wie wichtig der Kontext von Informationen ist und festgestellt, dass die Überprüfung von Fakten ein analytisches, schrittweises Vorgehen erfordert. Zudem hätten die Studierenden ein größeres Interesse an der EU-Politik und der Berichterstattung über die EU gewonnen. Sowohl die teilnehmenden Studierenden als auch die Dozentinnen und Dozenten hätten gelernt, auf nationaler und internationaler Ebene zusammenzuarbeiten und dabei die interkulturellen Unterschiede innerhalb der verschiedenen Ansätze des Fact-Checkings zu schätzen gewusst.

Die Erfahrungen, die während der Projektphase zur Europawahl gesammelt wurden, stehen im Mittelpunkt des Handbuchs, seitdem sind auf der Website aber weitere zahlreiche Faktenchecks zu anderen Themen erschienen. 2020 lag der Fokus auf der Corona-Pandemie. Unter anderem prüften die Studierenden die Behauptung eines Berichts des russischen pro-Kreml-Senders Perwy Kanal, dass französische Frauen das Codewort „Maske 19“ in Apotheken verwenden sollten, um häuslicher Gewalt während des Lockdowns zu entkommen. Dieses Wort, so das Ergebnis des Faktenchecks, sei vom französischen Innenminister nur als Beispiel genannt worden, weshalb der Faktencheck zum Ergebnis „größtenteils falsch“ sei. Die Aussage „Diese Krise trifft Frauen anders als Männer“ der niederländischen Politikerin Petra Stienen, die in der Zeitung De Groene Amsterdammer veröffentlicht wurde, wurde dagegen als „größtenteils zutreffend“ bewertet. Erstens, so der Faktencheck, hätten Frauen in der Corona-Krise andere Bedürfnisse als Männer, die von Verantwortlichen außer Acht gelassen würden, zweitens seien Frauen in Berufen tätig, in denen sie dem Virus stärker ausgesetzt seien und drittens habe die Gewalt gegen Frauen in der Corona-Krise zugenommen.

Für die Zukunft, so ist auf der Website zu lesen, sind neue Formate geplant und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll ausgebaut werden – ein Aspekt, der in der heutigen Journalistenausbildung immer wichtiger wird.

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