Der schöne Schein

25. Juli 2019 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Medienanstalten gehen zu lax mit Influencern und deren Youtube-Kanälen um, wie eine Studie der Otto Brenner Stiftung ergibt.

Hat die jugendliche Zielgruppe genügend Werbekompetenz für Kanäle wie „Bibis Beauty Palace“?

Immer mehr Kinder- und Jugendzimmer sind Arenen für ungezügelten Konsum und für ein Weltbild voller Mädchen mit Size-Zero-Figuren und Designer-Taschen. Lehrer und Eltern übersehen die Macht der Influencer, Kontrolleure unterschätzten sie. Beides ist fatal.

Der Mediensoziologe Lutz Frühbrodt und die Historikerin Annette Floren haben für die Otto Brenner Stiftung unter dem Titel „Unboxing Youtube“ die nach Zahl ihrer Abonnenten führenden deutschen Youtube-Kanäle genauer angesehen. Ihr Befund: Kommerz und fragwürdige Unterhaltung dominieren. Influencer, die digitalen Meinungsführer und Stars vieler Kinder und Jugendlicher, bespielen 15 der 20 deutschen Top-Kanäle. Ihre Hauptbotschaften: Kaufen macht froh, ein intellektueller Horizont von Duschgel bis Lidschatten ist eines Mädels Lebenssinn. Frühbrodt und Floren kritisieren, dass die Medienanstalten viel zu nachsichtige Kontrolleure seien, die sich auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen tendenziell auf die Seite der Videoproduzenten und auf die der werbetreibenden Wirtschaft stellten. Hinter vielen erfolgreichen Youtubern stehen Agenturen und Netzwerke, die bei der Produktion der Videos bis zur Vermarktung der Inhalte professionelle Hilfe leisten.

Und eine Art Geschäfts- und Erfolgsgeheimnis bewahren: Influencer treten auf wie Video-Amateure, die einfach teilen, was sie echt, uneigennützig und ehrlich mögen und nutzen. Sie sind „Stars“ einer Zielgruppe, die teilweise unter 14 und damit rechtlich zu jung ist für eigene Kaufentscheidungen, beeinflussbar und daher besonders geschützt durch Regulierungen und Werbekodex-Richtlinien. Regeln, die bislang nicht systematisch auch werbetreibende Influencer einschließen – obwohl viele von ihnen reichweitenstarke Geschäftsprofis sind.

Wie ahnungslos zudem oft Eltern und Lehrende sind, belegt eine unter Federführung der Verfasserin durchgeführte, unveröffentlichte Studie am Beispiel des reichweitenstarken Kanals „Bibis Beauty Palace“ mit nicht Volljährigen als Hauptzielgruppe. Es geht hier um eine Strategie für mehr Werbekompetenz, aber letztlich um eine überfällige Grundsatzdebatte: Wie wollen wir den digitalen Raum verantwortungsorientiert gestalten und regulieren?

Lutz Frühbrodt/Annette Floren: Unboxing YouTube – Im Netzwerk der Profis und Profiteure, OBS-Arbeitsheft 98, Frankfurt am Main.

 

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 14. Juli 2019

Bildquelle: Youtube Screenshot

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