60 Jahre Römische Verträge: Stephan Russ-Mohl möchte weniger EU-Selbstdarstellung und mehr Mittel für Journalismus.
Die EU feiert sich dieser Tage selbst: Im März vor 60 Jahren wurden die Römischen Verträge besiegelt. Allein aus diesem Anlass werden die Brüsseler Eurokraten absehbar Millionen Steuergelder für Werbung und PR europaweit verpulvern.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Einmal abgesehen vom Wuchern der Brüsseler Bürokratie und vom Schlingern des Euro, ist der Prozess des europäischen Zusammenwachsens, der seit 1957 in Gang kam, eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Genau das möchte aber nach dem Brexit auch im kontinentalen Europa ein wachsender Teil der Wählerschaft nicht mehr wahrhaben – womöglich ja auch deshalb, weil europaweit die Regierungen unter Einschluss der EU zu viel in Selbstdarstellung investieren. Genau damit untergraben sie nämlich letztendlich die Glaubwürdigkeit des Journalismus, der sich gegen das tägliche Bombardement mit Regierungsverlautbarungen kaum noch zu wehren vermag.
Wichtig wäre stattdessen, mit dafür zu sorgen, dass unabhängige, gut ausgestattete Redaktionen diese Regierungen unter Einschluss der Brüsseler EU mit der nötigen Distanz und Kompetenz begleiten und auch zu kritisieren vermögen. Es ist mir unbegreiflich, weshalb der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit all den Milliarden Gebührengeldern, die er europaweit kassiert, es immer noch nicht geschafft hat, attraktive Programme auf die Beine zu stellen, die mehrsprachig in ganz Europa ausgestrahlt werden. Hätte damit nicht langfristig ein ähnlicher europäischer Integrations-Effekt erzielt werden können, den zum Beispiel – in seinen frühen Jahren, also vor Berlusconi – die RAI beim Zusammenwachsen Italiens zu einer Nation hatte? Und hätte das freie Europa, wenn es solche Programme über die letzten zwanzig Jahre hinweg auch auf Russisch und auf Türkisch angeboten hätte, gar eine Chance gehabt, der Propaganda entgegenzuwirken, mit der Erdogans und Putins Spin Doctors inzwischen ganz Europa überziehen und vor allem ihre eigenen Bürger manipulieren?
Bislang hat der Berg gekreißt und ein paar Mäuslein geboren: Euronews, Eurosport sowie im deutschen Sprachraum 3sat und als deutsch-französisches Projekt Arte. Ein Blick in die Schweiz, auf SRG, SRR und RSI hätte die Brüsseler Eurokraten lehren können, wie mehrsprachiges Integtrationsfernsehen „richtig“ funktionieren kann und sogar Einschaltquoten erzielt.
Zu fragen ist aber auch, weshalb die „Digital News Initiative“ nicht von der EU, sondern von Google veranstaltet wird. Dabei handelt es sich um einen europaweiten Wettbewerb um die besten Ideen und Projekte, wie der Journalismus digital überleben kann. Google verstreut mit dieser Initiative bis 2018 150 Millionen Euro unter Medienhäusern und bindet diese so an sich. Gemessen an den Milliardengewinnen des Konzerns sind das Almosen. Dank der Ausschreibung verschafft sich Google obendrein Jahr für Jahr auf geniale Weise einen Überblick, was gerade wo in der digitalen Start up-Szene an journalistischen Projekten bis in die hintersten Winkel Europas angedacht ist: Circa 1000 Bewerbungen gehen pro Jahr ein, 120 davon werden gefördert, so der deutsche Google-Sprecher Gerrit Rabenstein.
Verschlafen hat die EU auch das Projekt einer europäischen Suchmaschine, während Russland und China Google und Bing die Stirn bieten und mit Yandex und Baidu ihre eigene Infrastruktur aufgebaut haben. „Würde uns in Europa der Zugang zu diesen Suchmaschinen abgeklemmt“, so warnt der Würzburger Informatik-Professor Andreas Hotho, „würden wir die Informationen im Netz, die wir brauchen nicht mehr finden können“. Suchmaschinen seinen der zentrale Hub zu so gut wie allen Informationen im Netz. Die neuen Monopolisten, denen wir uns in Europa ausgeliefert haben, hätten auch die Möglichkeit „Informationen zu verbergen oder zu einem bestimmten Thema die ,falschen‘ Informationen oder Fakten zu präsentieren. Das gilt mit allen Konsequenzen auch für die journalistische Arbeit.“
Irritierend ist nicht zuletzt, wie wenig die EU seit Jahrzehnten in journalistische Infrastruktur investiert, sprich: in die Aus- und Weiterbildung von Journalisten, die ja dabei helfen könnten, das hochkomplexe europäische Projekt ihren Publika mit angemessenem Fachwissen zu erschliessen – trotz oder gerade wegen ihrer hoffentlich kritischen Distanz zu den jeweils Regierenden. Das Europäische Hochschulinstitut in Florenz bildet als EU-Einrichtung seit Jahren künftige Top-Juristen, -Ökonomen und -Policy-Experten aus. Fehlanzeige dagegen bei den Journalisten, die als Kommunikatoren doch so wichtig wären. Für sie gibt es, sehr viel bescheidener ausgestattet, in Maastricht das European Journalism Center. Es muss seit Jahren immer wieder um sein Überleben kämpfen.
Wenn wir trotz aller Widrigkeiten am Europäischen Projekt festhalten wollen, braucht dieses mehr Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Ihn könnte ein kritisch-distanzierter „europäischer“ Journalismus generieren helfen, der sich nicht einfach als Sprachrohr der EU versteht, sondern ihren Institutionen immer wieder auf die Finger guckt. Würden die Eurokraten solch kritische Stimmen als „Freunde und Helfer“ statt als Gegner begreifen, könnte dies nicht nur Europa festigen helfen, sondern auch die in Europa vielerorts massiv bedrohte Presse- und Meinungsfreiheit stärken.
Erstveröffentlichung: Die Furche vom 30. März 2017
Eine Kurzfassung des Beitrags erschien am 5. März auf tagesspiegel.de
Schlagwörter:Brexit, Digital News Initiative, EU, Europa, Europäische Union, Google, Journalismus, Römische Verträge