Medien und ihre Berichterstattung können auch für Forscher außerhalb der Kommunikationswissenschaft wertvolle Erkenntnisse bringen. Doch bei der Interpretation der Daten ist Vorsicht geboten.
Womit beschäftigen sich Ökonomen? Mit dem BIP und seinem Wachstum, Preisen, Gütern, Steuern und Geldpolitik würden viele Menschen wahrscheinlich auf diese Frage antworten. Was ihnen wohl eher nicht in den Sinn käme: Medien und ihre Berichterstattung. Dabei ist es in den vergangenen Jahren unter Wirtschaftswissenschaftlern immer beliebter geworden, sich mit Mediendaten zu beschäftigen. Forscher versuchen damit ein Phänomen zu messen, mit dem sich die Ökonomie schwertut: Unsicherheit.
Volkswirte denken über die Zukunft nach, indem sie in die Vergangenheit blicken. Ihre Modelle und Wahrscheinlichkeiten beruhen auf den Daten von gestern. Das mag in Zeiten, in denen halbwegs stabile wirtschaftliche und politische Verhältnisse herrschen, gut funktionieren, stößt jedoch nicht erst seit Corona an seine Grenzen. Die vergangenen Jahre waren geprägt von unerwarteten Entwicklungen. Seien es die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten oder das Votum der Briten für den EU-Austritt. Die ebenso einschneidende wie für die meisten überraschende Finanzkrise von 2008 gerät da schon fast in Vergessenheit.
Ein etablierter Ansatz zur Messung von Unsicherheit mit Mediendaten ist der von einem US-amerikanischen Forscherteam entwickelte Economic Policy Uncertainty Index (EPU). Dieser zählt die Zahl der veröffentlichen Artikel, in denen bestimmte Wortkombinationen vorkommen, die mit Unsicherheit in Verbindung gebracht werden. Für den deutschen EPU werden die FAZ und das Handelsblatt genutzt. Erscheinen viele Texte zum Thema Unsicherheit, steigt der EPU und nach Lesart der beteiligten Forscher auch die Unsicherheit.
Diese Daten sollten jedoch vorsichtig interpretiert werden. Denn wer versucht, Medienberichterstattung zur Interpretation und Analyse der echten Welt heranzuziehen, sollte sich einiger ihrer Eigenschaften bewusst sein. Sonst läuft man schnell Gefahr, im besten Fall unbedeutende, im schlimmsten Fall fehlinterpretierte Ergebnisse zu liefern.
Vor einer Veröffentlichung müssen Kriterien erfüllt sein
Wer Mediendaten verstehen will, sollte sich damit beschäftigen, wie Medien produziert werden. Journalisten wählen die Dinge, über die sie berichten, nicht unter der Maßgabe aus, ein möglichst getreues Bild der Wirklichkeit in all ihren Einzelheiten zu erschaffen. Sie berichten über das, was ihnen wichtig erscheint. Was heute passiert ist wichtiger, als das was gestern war. Werden Probleme adressiert? Gibt es vielleicht sogar einen Konflikt zwischen verschiedenen Akteuren? Das sind die Aspekte, die Nachrichten für Journalisten spannender erscheinen lassen.
Auch der Blick auf den Leser, Zuschauer oder Zuhörer ist ein wichtiges Entscheidungskriterium: Betrifft das beschriebene Ereignis ihn oder zumindest sein Umfeld? Kennt er die handelnden Personen? Bedient es eine bekannte Erzählung oder berichten bereits andere Medien darüber? Hinzu kommt, dass Themen, die leicht zu erfassen sind, sich leichter kommunizieren lassen.
Das Problem hinter diesem Auswahlprozess sind diejenigen Themen, die ihm nicht standhalten: Vorgänge, die sich nur langsam entwickeln oder sich keinem speziellen Ereignis zuordnen lassen, positive Entwicklungen, neue Trends, abstrakte und komplexe Ereignisse, insbesondere wenn sie an weiter entfernten Orten stattfinden.
Wer selbst Journalist ist oder sich ausgiebig (wissenschaftlich) mit Medien beschäftigt, weiß das. Doch was heißt das für die Interpretation von Mediendaten? Zunächst einmal, dass man sich bewusst machen muss, was hier eigentlich gemessen wird. Nicht die Unsicherheit selbst, sondern die Wahrnehmung eben dieser. Und das auch nur, wenn sie von Journalisten erkannt und beschrieben wird.
Woher kommt die Unsicherheit?
Am Dortmund Center for Data-based Media Analysis (DoCMA) versuchen wir, diesem Problem mit einem eigenen Medienindikator gerecht zu werden. Unser Uncertainty Perception Indicator (UPI) untersucht die Berichterstattung von Handelsblatt, Welt und Süddeutscher Zeitung. Ähnlich wie beim EPU werden zunächst die Artikel gezählt, die sich mit Unsicherheit beschäftigen. Dann geht der UPI jedoch einen Schritt weiter: Mittels des Topic-Modelling-Verfahrens LDA lassen sich Themen identifizieren, die die Unsicherheit hervorrufen.
Einer der Vorteile des LDA-Verfahrens liegt dabei darin, dass es unbeobachtet ist. Vor der Analyse wird nicht festgelegt, nach welchen Themen der Algorithmus suchen soll. Entsprechend ermöglicht er auch Entwicklungen zu erkennen, die sich nur schwer oder spät durch klassische Messmethoden wie Manager- oder Bevölkerungsumfragen erfassen lassen.
Zu dieser Kategorie gehört auch die Corona-Pandemie. In unserem Verfahren findet sich die Berichterstattung zu Covid-19 in einem Themencluster, das zuvor größtenteils Texte zur Energieversorgung und den Klimawandel enthielt. Eine Verbindung zwischen den Themen liegt nahe. Durch das Corona-bedingte Herunterfahren des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sind die CO2-Emissionen während der Pandemie weltweit gesunken. Das hat wiederum die Debatte um einen früheren Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung befeuert.
Zudem gibt es eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle entspringen nicht direkt dem politischen oder wirtschaftlichen System. Weder eine Wahl noch schlechtes Management haben die Covid-19-Pandemie ausgelöst. Zwar bedingt das Verhalten von Politik und Wirtschaft, wie und vor allem wie stark die globale Erwärmung vonstattengeht. Doch wie stark die nächste Trockenperiode wird, wann ein neuer Hurrikan die Küste bedroht oder wo der nächste Waldbrand droht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das einzige was klar ist, ist, dass diese Ereignisse zunehmen. Genauso verhält es sich mit dem Ausbruch einer globalen Pandemie, vor dem Experten auch schon längere Zeit gewarnt haben. Die dahinterstehenden Mechanismen sind komplex. Gerade das macht es so schwer, sie zu prognostizieren.
Dabei nimmt die Bedeutung dieser Ereignisse, die wir als echte exogene Unsicherheit bezeichnen, zu. Der Klimawandel schreitet voran, die Welt ist vernetzter denn je und die Menschheit kann auch nach Corona von einem Virus heimgesucht werden. Auch unsere jüngste Messung des UPI legt nahe, dass echte exogene Unsicherheit steigt. Gleichzeitig hat 2020 die Unsicherheit aus dem politischen System in Relation abgenommen. Diese war in den vergangenen Jahren mit Ereignissen wie der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und dem Brexit-Votum einer der Haupttreiber der Unsicherheit. Geradem wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, kann ein medienbasierter Indikator wie der UPI seine Stärke ausspielen.
Denn auch das gehört zu Wahrheit über Unsicherheitswahrnehmung. Journalisten können sich mit dem Geschehen viel stärker, fokussierter und ausführlicher beschäftigen als viele andere Menschen. Damit kann ihre Berichterstattung auch Entwicklungen aufzeigen, bevor sie von anderen Systemen und Akteuren wahrgenommen werden. Genau das macht die Analyse von Mediendaten so interessant – trotz der beschriebenen Einschränkungen.
Literatur
Baker, S. R., Bloom, N., & Davis, S. J. (2016). Measuring Economic Policy Uncertainty. The Quarterly Journal of Economics, 131(4), 1593–1636. https://doi.org/10.1093/qje/qjw024
Harcup, T., & O’Neill, D. (2017). What is News? Journalism Studies, 18(12), 1470–1488. https://doi.org/10.1080/1461670X.2016.1150193
Larsen, V. H., & Thorsrud, L. A. (2019). The value of news for economic developments. Journal of Econometrics, 210(1), 203–218. https://doi.org/10.1016/j.jeconom.2018.11.013
Der Text beruht zu Teilen auf einem DoCMA-Working-Paper:
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Bildquelle: pixabay.de
Schlagwörter:Corona-Pandemie, Covid-19, DoCMA, Economic Policy Uncertainty Index (EPU), Ökonomie, Uncertainty Perception Indicator (UPI), Unsicherheit, Unsicherheitswahrnehmung